Gesellschaft | Flüchtlinge

Keine neuen Unterkünfte für Obdachlose

Eiertanz im Umgang mit Flüchtlingen ohne Anrecht auf Unterkunft: Wirkliche Unterstützung für Bozen ist nach einem Treffen zwischen Land und Gemeinde nicht zu erwarten.
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Foto: LPA

 

Das Schicksal der 30 Flüchtlinge, die am Wochenende mangels Unterkunft am Boden der  Mayr-Nusser-Garage übernachten mussten, hat das Problem noch einmal verdeutlicht: In der Landeshauptstadt gibt es immer mehr Menschen ohne Dach über dem Kopf. Menschen, die unter Brücken schlafen, ihre Notdurft im Freien verrichten müssen, versuchen, von Tag zu Tag zu überleben. Sie standen heute Morgen im Mittelpunkt eines Gipfeltreffens zwischen den politischen Vertretern der Landeshauptstadt und des Landes. Bozens Bürgermeister Renzo Caramaschi, Vizebürgermeister Christoph Baur und Stadtrat Sandro Repetto auf der einen Seite, Landeshauptmann Arno Kompatscher und Soziallandesrätin Martha Stocker auf der anderen.

Zumindest laut ihren Wortmeldungen am gestrigen Montag kann man vom Aufeinandertreffen von zwei Lagern treffen: „Die Behörden können nur im Sinne der Gesetze handeln und somit stehen bestimmte Leistungen nur jenen zu, die einen rechtlichen Anspruch dazu haben“, hatte Soziallandesrätin Stocker am Montag bei einem Treffen mit Quästor Giuseppe Racca noch einmal eine klare Linie zwischen „echten“ Asylwerbern und all anderen Personen gezogen, die kein Anrecht auf Aufnahme haben. Weicher klang das bei Bozens Stadtpolitikern, die bei der Presskonferenz nach dem wöchentlichen Stadtrat deinen fast verzweifelten Eindruck gemacht hatten. Die Zahl der Flüchtlinge in der Landeshauptstadt ändere sich ständig und sei zahlenmäßig kaum mehr zu erfassen, erklärte der Bürgermeister dort. Stadtrat Sandro Repetto sprach von einer "neuen, nie dagewesenen humanitären Notlage“, mit der die Landeshauptstadt konfrontiert sei.  Deshalb könne man nicht mehr von einer klassischen Versorgung von Obdachlosen sprechen, die eine Stadt wie Bozen allein bewältigen kann. Statt auf ihren rechtlichen Status ging Bürgermeister Caramaschi nicht zuletzt auf Fluchtgründe wie den Klimawandel ein, die dafür verantwortlich seien, dass beispielsweise Menschen aus der Sahelzone nun auf den Weg nach Nordeuropa seien. Da sie vielfach an der österreichischen Grenze gestoppt würden, würden sie dann in Bozen stranden. Deshalb fordert Bozen Stadtpolitik, die bisher auf die Wintermonate beschränkten Notunterkünfte auf das ganze Jahre auszudehnen. „Mehr als 125 Betten können aber von der Stadt nicht gewährleistet werden, auch wenn in der neuen Obdachlosenmensa die Essensausgabe neben den Abendessen auch auf die Verabreichung von Mittagessen erweitert werden soll“, unterstrich Stadtrat Repetto.

"Grundversorgung garantieren, Regeln respektieren"

Zumindest in der Pressemittteilung nach dem heutigen Treffen zwischen Land und Gemeinde wurde die Lage etwas entdramatisiert. Zahlenmäßig gäbe es im Vergleich zum Vorjahr keine außerordentliche Zunahme an Personen mit prekärem Status, heißt es darin. Rund 180 solcher Menschen würden sich derzeit in Bozen aufhalten; im Schnitt seien es zwischen 150 bis 200. Viele davon seien nur für kurze Zeit in der Stadt. Ein Teil halte sich aber auch länger in Bozen auf.

Doch wie sehr kann man sie einfach ihrem Schicksal überlassen bzw. inwiefern ist eine humanitäre Grundversorgung gewährleistet? Zumindest von offizieller Stelle wurde diesbezüglich am Dienstag auf „zahlreiche Dienste von Land und Gemeinde“ verwiesen. Beim Zugang dazu will man aber besonders bei Angeboten, die über die humanitäre Grundversorgung hinausgehen, stärker zwischen dem Status der Hilfebedürftigen unterscheiden und klarerer Regeln für den Zugang zu verschiedenen bestehenden Angeboten schaffen, hieß es nach dem Treffen. Denn die Gründe für ihre Obdachlosigkeit seien sehr unterschiedlich: von Migranten auf der Durchreise, Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, Menschen, die aufgrund von Verstößen gegen die Hausordnung aus Aufnahmeeinrichtungen ausgeschlossen wurden oder Personen, die aus polizeilichen oder aus anderen Gründen nicht in die Aufnahmeeinrichtungen aufgenommen werden können.

Bei der Diskussion über die bestehenden und notwendigen Angebote im Gemeindegebiet Bozen wurde einmal mehr die Befürchtung laut, dass ein Ausbau Anziehungswirkung für weitere Menschen hätte. Die Antwort des Landeshauptmannes auf diesen Balanceakt: „Es werden keine neuen Einrichtungen geschaffen, aber die bestehenden besser genutzt", so Kompatschers Ansage. Der Landeshauptmann erklärte aber auch, dass eine "Grundversorgung für alle gewährleistet sein muss, unabhängig vom Rechtsstatus". Wenn dabei „sehr wohl die bestehenden Regeln gelten müssten“.

Ob die Gemeinde damit ihr Ziel erreicht, für eine möglichst geordnete und überschaubare Situation zu sorgen? Vereinbart wurde in jedem Fall die Zusammenarbeit zwischen Land, Gemeinde und Ordnungskräften zu intensivieren; ein erstes weiteres Treffen wurde bereits programmiert, als Grundlage für weitere Entscheidungen. Kurzum: Eine Lösung lässt weiter auf sich warten. 

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Michael Bockhorni Mi., 01.03.2017 - 17:04

die ständige Vermischung von "Obdachlosen" mit Flüchtlingen bzw. Asylbewerbern und anderen Personen in Wohnungsnotlagen erschwert eine sinnvolle Planung und Umsetzung von Hilfe. International wird von fachlicher Seite seit über 10 Jahren die Notlage (nicht die Menschen) in 4 Gruppen unterteilt: Obdachlosigkeit, Wohnungslosigkeit, ungesichertes Wohnen und ungenügendes Wohnen (s.a. auch ETHOS Typologie http://www.bawo.at/de/content/wohnungslosigkeit/definitionen.html). Dort finden sich auch die im Artikel angeführten unterschiedlichen Gründe für die Situation in Bozen.
Menschen, die voraussichtlich Anrecht auf Leistungen haben, sind nach dem "Housing First Prinzip" (https://de.wikipedia.org/wiki/Housing_First) bedarfsgerecht zu unterstützen (NICHT zu versorgen), damit so so schnell als möglich selbstständig werden. Die anderen sind, entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den (christlich-sozialen) Werten Südtirols entsprechend humanitär zu versorgen.

Mi., 01.03.2017 - 17:04 Permalink