Gesellschaft | Schlanders

"Wir brauchen Visionäre"

Die ehemalige Drususkaserne, in deren Herzen sich die BASIS befindet, ist heute ein pulsierendes Zentrum. Ein Teil des Areals soll demnächst aber abgerissen werden.
Drususkaserne Schlanders
Foto: Salto.bz

Mit leuchtenden Augen läuft Ariel Trettel durch die Gänge und Treppenhäuser der alten Drususkaserne in Schlanders. Sein federnder Schritt und der warme Februarwind, der ihm durch die zerbrochenen Fensterscheiben folgt, wirbeln den groben Mauerstaub auf, der noch immer weite Teile der alten Militärkaserne bedeckt. Dabei liegt das Areal heute alles andere als brach: Im Magnetfeld der BASIS, Knotenpunkt für soziale und wirtschaftliche Innovation, haben sich über die letzten Jahre Handwerkerinnen, Künstler und andere kreative Köpfe angesiedelt und einzelne Räume in Studios und Ateliers verwandelt. So auch der aus Völs stammende Künstler Ariel Trettel, der zwei Räume für seine Holz- und Marmorarbeiten nutzt.

 

Aus den Mauern und Freiräumen des ehemaligen Kasernenareals hat sich - Dank dem Vertrauen der lokalen Verwaltung und dem Engagement einzelner Bürger - ein wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und künstlerischer Hub entwickelt. “Ein Korallenriff auf kargem Beton”, wie der Initiator der BASIS, Hannes Götsch, betont, “das von der lokalen und internationalen Bevölkerung gleichermaßen geschätzt und besucht wird”. Dass die künstlerischen und wirtschaftlichen Aktivitäten heute über das Hauptgebäude hinauswachsen, schreibt Götsch dem Vernetzungs- und Aktivierungspotenzial der BASIS sowie der entgegenkommenden Haltung der lokalen Verwaltungsebenen, allen voran dem Schlanderser Bürgermeister Dieter Pinggera, zugute.

 

Trotz der erfolgreichen Entwicklung und der vielen bunten Korallen, die sich seit 2018 in den alten Gemäuern festgesaugt haben, steht das Areal heute jedoch unter Druck: Schon in wenigen Monaten sollen Teile der Kaserne abgerissen werden, um so Platz für ein neues Wohnviertel zu schaffen, das auch Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie öffentliche Infrastruktur umfassen soll. Ein von langer Hand geplantes Projekt, das den Bedürfnissen des Verwaltungs- und Dienstleistungszentrums in Schlanders Rechenschaft tragen soll, gleichzeitig aber die inspirierenden Freiräume der alten Mauern beschneidet.

 

Gemeinschaftlicher öffentlicher Raum

 

Was aus diesen Freiräumen entstehen kann, haben Hannes Götsch und Mitglieder und Unterstützer der BASIS gezeigt: Dank dem Engagement einzelner Bürgerinnen und Bürger und der finanziellen Unterstützung von Gemeinde, Provinz und Europäischer Union wurde aus den leeren Mauern in nur wenigen Jahren ein gemeinschaftlicher öffentlicher Raum. Dieser wird heute unter anderem als Co-Working-Space, Video- und Filmstudio, als Soundstudio und als Innovationswerkstatt für landwirtschaftliche und kulinarische Produkte genutzt. Gleichzeitig bietet das Areal eine voll ausgestattete Club-Location und sogar einen alten Pizzaofen, der für private Feste angemietet werden kann. Das Angebot ist vielfältig; wer eine Idee umsetzen möchte, findet nicht nur den Raum, sondern oft auch ein entsprechendes Netzwerk dafür.

 

All das wird heute nicht nur von der lokalen Bevölkerung genutzt, sondern findet auch im Ausland viel Zuspruch: “Wir haben Personen aus aller Welt hier, die für einige Monate bei uns arbeiten”, erklärt Götsch. “Gleichzeitig empfangen wir beinahe jede Woche Vertreter von verschiedenen Universitäten, die begeistert sind von dem, was wir hier aufbauen konnten. Menschen kommen aus Berlin und aus Amsterdam nach Schlanders, um sich an der BASIS zu orientieren und auszutauschen.”

 

Historisches Spannungsfeld

 

Dabei war das alte Kasernenareal in Schlanders noch vor wenigen Jahren alles andere als beliebt: “Ich bin als Kind eigentlich nie hierhergekommen”, erinnert sich Götsch. Die alte Drususkaserne existierte abseits des Dorflebens und war - und ist es für viele auch heute noch - mit negativen Emotionen behaftet: In den 1930er-Jahren von den Faschisten erbaut, wurde das Kasernenareal, das mit rund 2.500 Mann beinahe doppelt so viele Menschen beherbergte wie der gesamte Dorfkern von Schlanders - mitten ins Grünland gesetzt und führte dort ein Eigenleben, das in den 40er-Jahren von den Nazis und nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1995 von den Alpini übernommen wurde. Die historischen Überbleibsel des Faschismus und Nationalsozialismus sind auch heute noch an einigen Wänden der Drususkaserne zu entdecken.

 

Zwischen Wohn- und Schulzentrum eingebettet

 

Als das Areal 2010 vom Staat an die Provinz und 2013 dann von der Provinz an die Gemeinde verkauft wurde, wollte man die physischen und psychologischen Barrieren zwischen der Bevölkerung und dem Kasernenareal einreißen und so gleichzeitig dem wachsenden Flächendruck in Schlanders entgegenwirken: Eingeklemmt zwischen einer neu errichteten Wohnsiedlung und der Schulzone von Schlanders sollte das Kasernenareal in ein neues Viertel umgewandelt werden, das als Wohn-, Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungszentrum dienen und auch öffentliche Infrastrukturen beherbergen sollte.

 

Ein Vorhaben, das, wie der Bürgermeister Dieter Pinggera (SVP) betont, sowohl beim Land als auch bei der Bevölkerung viel Zuspruch erfuhr: “Wir haben Zukunftsforen mit rund 200 Bürgerinnen und Bürgern veranstaltet und auch eine digitale Umfrage zur Sanierung der Zone durchgeführt”, erklärt Pinggera. Darauf aufbauend wurde ein Konzept erstellt, das neben den geplanten Wohn- und Bildungseinrichtungen auch die Grundlage für den Wirtschafts- und Innovationsstandpunkt der BASIS legte.

 

Spontane Eigeninitiative und Engagement

 

Dass die BASIS heute das ist, was sie ist, hat sie jedoch vor allem ihrem Gründer Hannes Gösch zu verdanken: Aus spontaner Eigeninitiative, aber mit dem Vertrauen und der Unterstützung der Gemeinde machte sich Gösch 2017 daran, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Areals voranzutreiben, stellte Finanzierungsanfragen bei der EU und begann seine Ideen in die Praxis umzusetzen: “Schlanders war immer ein Verwaltungs- und Dienstleistungsstandort”, so Götsch. “Viele junge und kreative Menschen wanderten aber ab”. Mit der BASIS wollte Götsch ein Ökosystem schaffen, das Schlanders auch für junge und innovative Köpfe attraktiv machen würde. Die rege Aktivität der BASIS selbst sowie die Ansiedelung der Kreativwerkstätten in einem der beiden Flügel geben seinem Einsatz heute Recht.

 

Abriss und Wiederaufbau als günstigste Lösung

 

Auch Bürgermeister Pinggera schätzt die Entwicklung und wünscht sich, dass sowohl die BASIS als auch die Zwischennutzung in einem der beiden Flügel durch die Kreativwerkstätten für einen längeren Zeitraum erhalten bleiben können. Trotzdem hält er an dem Projekt, die alten Kasernengebäude (bis auf jenen Teil, der die BASIS beherbergt), schrittweise abzureißen und durch eine neue Mischzone zu ersetzen, fest: “Wir haben sehr konsequent und unbeirrt an diesem Projekt gearbeitet”, gibt Pinggera zu bedenken. “Und haben auch mehrere Studien in Auftrag gegeben. Der Abriss und Wiederaufbau wurde jedes Mal als günstigste Version gewertet.”

 

Die erste der drei diesbezüglich geplanten Phasen soll schon in wenigen Monaten vollzogen werden: Der Abriss der Kommandoabteilung und des bahnhofsnahen Flügels, die bis dato ungenutzt sind. Der Abriss des zweiten Flügels - der im Moment die Kreativwerkstätten beherbergt - sowie der Wiederaufbau des Areals sollen in einem zweiten und dritten Moment folgen. Dabei ist das Projekt, das in dieser ersten Bauphase realisiert werden soll, noch in Ausarbeitung: Was genau an die Stelle der Kaserne treten wird und wie die diesbezügliche Ausschreibung aussehen wird, steht noch nicht fest. Mit dem Abriss muss laut Pinggera jedoch bereits in wenigen Monaten gerechnet werden.

 

Götsch kann die Entscheidung des Bürgermeisters nachvollziehen, würde sich jedoch wünschen, dass das Potenzial, das das Areal bietet, besser erfasst werden würde: “Schlanders ist ein Knotenpunkt im Vinschgau und steht deshalb unter Druck, neuen Wohnraum und Infrastrukturen zu schaffen, so Götsch. “Die Zone ihrer eigenen Entwicklung zu überlassen, wäre natürlich keine einfache Entscheidung; das würde unglaublich viel Mut erfordern.” Gleichzeitig sei das Potenzial, das in diesem Gebiet für die Entwicklung des gesamten Vinschgaus stecke, jedoch immens. “Wir brauchen Visionäre”, ist Götsch überzeugt.

 

Ariel Trettel ist einer von ihnen.Zum x-ten Mal läuft er durch die verlassenen Gebäude. Er kennt jede Ecke, jedes Fenster, jede Marmortreppe und jeden Türbogen und lässt seinen Vorstellungen freien Lauf: Hier könnte eine Wohnung entstehen, dort ein Studio und da ein Atelier… Je weiter wir die Treppen nach oben laufen, desto verlassener wirken die sonnendurchfluteten Räume. Und desto stärker zehren Vorstellungskraft und Tatendrang an den noch leeren Wänden.