Chronik | Taschler-Prozess

Gefährliches Ablenkungsmanöver

Falvio Moccia wirft eine Grundsatzfrage zum Gebrauch von Abhörprotokollen auf. Wahrend seine Kanzleikollegin Annalisa Esposito eine Nebelgranate steigen lässt.
Im Gerichtssaal ist er ein alter Fuchs. Bevor Flavio Moccia mit seinem Plädoyer beginnt, ersucht er das Gericht um eine kurze Unterbrechung. Jeder im Saal weiß, dass der renommierte Bozner Strafverteidiger vor seinem Auftritt eine Zigarette braucht. Als es dann weitergeht, schäkert der Vorsitzende Richter Carlo Busato: „Ich dachte, Sie hätten aufgehört zu rauchen?“. „Nein nur reduziert“, antwortet Moccia.
Flavio Moccia verteidigt Gottlieb Taschler. Die Antholzer Biathlon-Legende weiß, dass es in diesem Prozess indirekt auch um seine Lebensleistung geht. Deshalb dürfte Taschler auch einen der besten und versiertesten Strafverteidiger Südtirols engagiert haben.
An diesem Nachmittag wird im großen Saal der Bozner Landesgericht schnell klar, dass das Geld gut investiert ist. Moccia ist keiner der laut wird. Er spricht deutlich, sehr ruhig und mit viel Nachdruck in der Stimme. Dass der Anwalt dabei mit allen Wassern gewaschen ist, dürfte keinen Neuigkeitswert mehr haben.
 

Zuckerbrot & Peitsche

 
Flavio Moccia beginnt zuerst die Zeugen der Anklage zu zerlegen. „Das sind Ermittler, die keinerlei wissenschaftliche Ausbildungen haben“, sagt der Taschler-Anwalt ruhig, „ihre Aussagen waren gelinde gesagt sehr bescheiden“. Immer wieder streicht der Anwalt dabei die Tatsache heraus, dass sich diese Zeugen ausschließlich auf die Abhörprotokolle bezogen haben.
Dann lässt Moccia noch einmal die alten Freundschaft zwischen Gottlieb Taschler und dem Sportarzt Michele Ferrari Revue passieren. Man kennt sich aus der aktiven Zeit, als Ferrari in den 1980er Jahren die italienische Biathlon-Mannschaft betreut habe. Seit damals sei man freundschaftlich verbunden. In dieses Beziehungsgeflecht stellt der Taschler-Verteider dann auch die Behandlung von Daniel Taschler. Es sei eine Art Freundschaftsdienst gewesen. Für den Sohn eines Freundes, der gesundheitliche Problem hatte. Allein die Tatsache, dass Ferrari nichts für die Behandlung verlangt habe, sei der Beweis, dass es keinen illegalen Dopingplan gegeben haben kann. So der Verteidiger.
 
2010 sei Michele Ferrari noch keineswegs als „Doktor EPO“ in den Schlagzeilen gewesen. Die Prozesse und die Berichterstattung über den umstrittenen Sportarzt seien erst später losgegangen. Deshalb hätte Taschler von den Dopingvorwürfen gegen Ferrari auch nichts mitbekommen.
Dazwischen versucht Flavio Moccia an diesem Nachmittag dem Gericht Honig ums Maul zu schmieren. „Ich erachte sie als einen Lehrmeister in der Prozesskultur“, bauchpinselt der Taschler-Anwalt in seinem kurzen Plädoyer den Vorsitzenden Richter Carlo Busato.

 

Falsche Beweisführung

 
Alle drei Verteidiger in diesem Prozess haben ein großes Problem. Es ist das 1068 Sekunden dauernde Gespräch zwischen Daniel Taschler und Michele Ferrari, das die Ermittler am 17. Oktober 2010 in Ferraris Camper an der Autobahnausfahrt Ferrara Nord mitgeschnitten haben. Es ist der Trumpf der Anklage.
Diesen Trumpf muss die Verteidigung irgendwie aus dem Spiel nehmen. Flavio Moccia starten in seinem Plädoyer bei den Tatsachen: Gottlieb Taschler war bei diesem Gespräch nicht dabei und es komme weder das Wort „Doping“ noch das Wort „Epo“ vor. Vor allem aber würde die Anklage gegen seinen Mandanten ausschließlich aus einer Interpretation des Gesagten gründen. „Es sind nichts als Deduktionen“, wettert Falvio Moccia. Eine Verwicklung seines Mandaten werde ausschließlich daraus abgeleitet, dass Daniel Taschler mehrmals im Gespräch den Plural verwendet habe. Moccia erklärt das mit den Sprachschwierigkeiten des Taschler-Sohnes.
Den zentralen Punkt seiner Verteidigungsrede widmet Flavio Moccia aber einer rechtstechnischen Betrachtung der Abhörprotokolle und ihrer Verwendung vor Gericht. „Ein Abhörprotokoll an und für sich kann niemals ein Beweisstück sein“, referiert der Strafverteidiger. Abhörungen können den Ermittlern zur Beweisführung dienen, aber sie können nicht objektive Beweise für eine strafbare Handlung ersetzen. Einfach ausgedrückt: Reden allein genügt nicht, die Anklage muss andere Beweise vorlegen, um Doping nachzuweisen. Moccia verweist auf Grundsatzurteile der Kassation, die er in einem Schriftsatz wenige Tage später vor Gericht hinterlegt.
Am Ende seines Plädoyers fordert der Anwalt von Gottlieb Taschler einen vollen Freispruch für seinen Mandanten.
 

Freiwillige Bluttests

 
Annalisa Esposito ist eine Kämpferin. Die Anwältin von Daniel Taschler hält an diesem Tag eindeutig das engagierteste Plädoyer. Als Strafverteidigerin in der Kanzlei Moccia hat sie gelernt, wie man Eindruck schindet. Sie reden genau im richtigen Tempo, wird an manchen Punkten laut und an anderen demonstrativ nachdenklich.
Vor allem aber brennt Esposito ein Feuerwerk an Argumenten ab, die für ihren Mandaten sprechen und gleichzeitig dem Gericht die Sicht vernebeln sollen.
Esposito doziert, dass der Strafbestand Doping drei Dinge voraussetze. Erstens die Einnahme bzw. Verabreichung, zweitens das Auffinden einer illegalen Substanz durch einen Test oder eine Beschlagnahme und drittens den Sportbetrug durch ein Wettkampfresultat. „Bei Daniel Taschler aber hat man keine dieser drei Voraussetzungen beweisen können“, meint Esposito.
Ihre These: Daniel Taschler habe sich wegen akuter gesundheitlicher Problem an Ferrari gewandt. Auch dieser habe ihm letztlich aber nicht helfen können. Der junge Biathlet habe im Oktober 2010 im Training einen Kreislaufkollaps erlitten. Freiwillig habe er daraufhin im Brunecker Spital mehrere Bluttests gemacht. „Das würde ein Dopingsünder nie tun“, so Esposito.
Für die Anwältin beweise das Abhörprotokoll genau das Gegenteil der Anklage. Sollte auch der Dopingplan bestanden haben, hat Taschler junior aus den besagten gesundheitlichen Gründen niemals mit dem Doping begonnen.
 

Absurder Zeitvergleich

 
Es gibt aber eine Tatsache, die Annalisa Esposito, in dieser Argumentation im Weg steht. Nach der Behandlung durch Ferrari schaffte Daniel Taschler das beste Ergebnis seiner gesamten Karriere. Taschler wurde im Jänner 2011 beim Europacup-Rennen in Altenberg im Erzgebirge Fünfter. Ein Monat später dann wiederholte er dieses Resultat in Ridnaun. Weil Taschler im Weltcup normalerweise um den 80. Rang landet, ist das für die Anklage der Beweis fürs Doping.
 
Annalisa Esposito macht in ihrer Verteidigungsrede aber einen gewagten Vergleich. Sie setzt Taschlers Altenbergzeit mit den Zeiten der Weltcuprennen vom Jänner 2011 in Relation. „Dann kommt heraus, dass Daniel mit dieser Zeit im Weltcup auf Platz 85 gelandet wäre“, triumphiert die Anwältin. Das sei der Beweis, dass es kein Doping gab.
Esposito baut diese Beweisführung gekonnt auf, obwohl sie genau weiß, dass das ganze völliger Humbug ist. Man kann eine Zeit in Altenberg niemals mit einer Zeit in Antholz oder in Finnland vergleichen. Obwohl der Parcours gleich lang ist, hat man völlig andere Streckenverläufe und andere Schnee- und Wetterverhältnisse.
Esposito führt dennoch den Vergleich ausführlich und ernsthaft aus. Es ist der augenscheinliche Versuch eine Nebelgranate zu werfen. Ob dieses Ablenkungsmanöver ihrem Mandaten wirklich dienlich ist, wird sich zeigen. Esposito fordert für Daniel Taschler ebenfalls einen vollen Freispruch.
 

Arzt von Weltruf

 
Sandro Mason macht einen müden Eindruck. Der Anwalt aus Padua hält sein Schlussplädoyer so leise und emotionslos, dass man im Gerichtssaal fast einschlafen könnte. Man merkt, dass Mason Michele Ferrari schon seit vielen Jahren verteidigt. Business as usal. So wirkt es.
Mason stellt Michele Ferrari als international gefragten Sportarzt dar, der Universitätsassistent war und Trainingsprogramme entwickelt hat, die auch heute noch im Spitzensport gefragt sind. Vor allem aber streicht Mason immer wieder heraus, dass sein Mandat nicht vorbestraft sei. Eine Verurteilung aus dem Jahr 2002 sei aufgehoben worden.
 
Der Ferrari-Anwalt verweist darauf, dass das Taschler-Verfahren nur ein Folgeprozess eines Verfahrens sei, das in Padua anhängig ist. Die Carabiniersondereinheiten ROS und NAS ermittelten 2010/2011 gegen Ferrari. Dabei wurden auch die Abhörungen zum Fall Taschler gemacht. „Seit fast vier Jahren geht der Prozess in Padua nicht weiter“, erklärt Sandro Mason, „und wir wissen nur zugut, dass das in Italien der beste Beweis ist, dass nichts herauskommen wird.
Der Ferrari-Anwalt ist überzeugt, dass sein Mandant im Paduaner Verfahren am Ende freigesprochen wird. Demnach könne er auch in Bozen nicht schuldig gesprochen werden.
 

Lesen Sie morgen: Die Beweise der Staatsanwaltschaft und die Forderungen der Nebenkläger.