Politik | Geburtenstationen

Es wird Sterzing treffen

Die Landesregierung ist zum Schluss gekommen, dass die Geburtenstation in Sterzing wohl kaum mehr zu retten sein wird – “auch wenn wir uns die Kleider zerreißen”.

“Es wird sicher nicht Bozen oder Meran sein, es wird auch nicht Brixen sein und nicht Bruneck. Auch nicht Schlanders.” Übrig bleibt also nur eine der (noch) sechs Geburtenstationen im Land, die in naher Zukunft geschlossen werden könnte: jene in Sterzing. Und es schaut gar nicht gut aus, darf man dem Landeshauptmann und seiner Gesundheitslandesrätin glauben. “Die Chancen sind gering”, sagt Arno Kompatscher, “auch wenn wir uns die Kleider zerreißen, werden wir uns etwas, wenn nicht sogar sehr schwer tun”, Martha Stocker.


Analyse der Argumente

Noch sind die Würfel nicht gefallen. Doch bei ihrer heutigen Sitzung hat sich die Landesregierung ausführlich mit den Geburtenstationen beschäftigt – Zahlen und Daten analysiert, gesichtet und gewertet – und ist zum Schluss gekommen: Will man alle vom Staat vorgegebenen und vom Land sich selbst auferlegten Qualitäts- und Sicherheitsstandards an den Geburtenstationen gewährleisten, wird das kaum für alle möglich sein. “Die EU-Arbeitszeitregelung und die Einsicht, dass wir vier Fachfiguren brauchen, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche den Dienst an den Geburtenstationen abdecken, verknüpft mit dem Personalmangel im Sanitätsbereich, haben uns vor Herausforderungen gestellt, die sehr viel größer sind als noch vor wenigen Jahren”, beginnt Landesrätin Stocker ihren Erklärungsversuch am Dienstag Mittag. Und das nicht nur in Sterzing und Schlanders, sondern auch in Bruneck und Brixen. Bozen und Meran sind die einzigen Krankenhäuser, die heute in den Geburtenstationen bereits die Voraussetzungen in Sachen Qualität und Sicherheit gewährleisten.

Und doch, wenn am 28. Juli aller Voraussicht nach die Schließung der Geburtenstation Sterzing verkündet wird, dann aus einem vordergründigen Motiv: Es ist weniger das fehlende medizinische Personal, das zur Gewährleistung des 24-Stunden-Aktiv-Dienstes notwendig ist – in Sterzing fehlen 7,75 Vollzeitäquivalenzen während es in Schlanders 9,35 sind und in Bruneck gar 12,15 – sondern vielmehr die kurze Entfernung, die zwischen Sterzing und Brixen, also zum nächst gelegenen Krankenhaus, liegt. “Die Entfernung ist eine Frage der Qualität und spielt in unserer Bewertung, welche Dienste wo essentiell sind, aufrecht zu erhalten, mit eine Rolle”, erklärt die Gesundheitslandesrätin. Während die weiteste Entfernung, die Bewohner des Einzugsgebietes zurücklegen müssten, um das nächstgelegene Krankenhaus zu erreichen bei Schlanders 83 Kilometer und mehr als 1,5 Stunden Fahrzeit beträgt, beläuft sie sich im Falle von Sterzing 46 Kilometer und 43 Minuten Fahrzeit. “Zu berücksichtigen gilt es auch die Anzahl der Geburten”, so Stocker. So kommen etwa von den 357 Geburten, die Schlanders 2015 verzeichnet hat, nur fünf nicht aus dem Bezirk. In Sterzing sind es von 460 Geburten im Vorjahr ganze 220, also fast die Hälfte, die von auswärts kommen.


Entweder richtig oder gar nicht

Und schließlich sind da noch die fehlenden Ärzte und Fachkräfte. Die Rückmeldungen auf die Anwerbeoffensive des Südtiroler Sanitätsbetriebs, die im März gestartet ist, sei “nicht berauschend” gewesen, gesteht Martha Stocker. Die Bereitschaft der Landesregierung, zusätzlich Personal über Werkverträge aufzunehmen, ist begrenzt: “Es kommen Unternehmen von auswärts zu uns, etwa aus Bologna, die uns Pädiater und Gynäkologen anbieten. Und zwar einerseits zu höheren Gehältern und andererseits müssen wir uns schon auch fragen, inwieweit diese Ärzte unseren Vorstellungen zum Beispiel was die Zweisprachigkeit betrifft, entsprechen.” Beim Land und im Sanitätsbetrieb hat man sich mit den Leistungsprofilen und dem Landesgesundheitsplan 2016-2020 ambitionierte Ziele gesetzt, die es nun einzuhalten gilt. “Die Leistungsprofile sollen auf höchstem Niveau erfüllt werden und wir werden keine Grundversorgungsdienste auf dem Altar einer gefühlten Geschichte opfern”, stellt Landeshauptmann Kompatscher klar. Konkret heißt das: “Wir werden die Geburtenstationen nicht zwanghaft auf Kosten anderer Leistungen aufrecht erhalten, sondern aufgrund objektiver Kriterien entscheiden.” Langfristig würden behelfsmäßige Lösungen wie etwa der Versuch, die Vollzeitäquivalente über (Zeit-)Werkverträge zu erfüllen, sowieso nicht funktionieren. Sondern man will eine “langfristig nachhaltige Lösung” schaffen.

Daher hat man am heutigen Dienstag eine Reihung der Geburtenstationen vorgenommen, “für den Tag, an dem es hart auf hart kommt”. “Objektiv ist Sterzing letztgereiht”, verkündet Arno Kompatscher. Bis 29. Juli hat die Landesregierung Zeit, in Rom den Nachweis zu erbringen, wie sie gedenkt, ab 1. August sämtliche Qualitäts- und Sicherheitsauflagen zu erfüllen. “Es wird sehr, sehr schwierig werden, nachvollziehbar zu machen, dass wir eine Lösung für alle Geburtenstationen haben”, gesteht Martha Stocker. Sie geht nicht davon aus, dass sich die Schwierigkeiten bei der Personalsuche so einfach in Luft auflösen. Und um nicht am 28. Juli “ohne Vorwarnung eine Entscheidung bekannt zu geben”, haben sich Landeshauptmann und Landesrätin entschlossen, bereits einen Monat vorher vor die Presse zu treten und ihre Überlegungen öffentlich zu machen. “Die Dichte an Krankenhäusern und Geburtenstationen im Land bleibt verhältnismäßig auf jeden Fall hoch.” Mit seinem letzten Kommentar an diesem Dienstag wird es Arno Kompatscher wohl kaum gelingen, die Wogen, die in Sterzing bereits im Aufbrausen sind, zu glätten.

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Lisa Maria Gasser Mi., 29.06.2016 - 10:02

Tatsächlich ging es um "die weiteste Entfernung, die Bewohner des Einzugsgebietes zurücklegen müssten, um das nächstgelegene Krankenhaus zu erreichen". Danke für die Korrektur.

Mi., 29.06.2016 - 10:02 Permalink