Kultur | Salto Afternoon

Nannis Tagebuch

Nanni Morettis preisgekrönter Film „Caro diaro“ erlebt derzeit seine Wiedergeburt. Aus Gründen der Corona-Maßnahmen allerdings nur im Bozner Kino Capitol.  
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Foto: Nanni Moretti

Angenehm überrascht fühlte sich der Capitol-Programmchef Raimund Obkircher am gestrigen Dienstag, als er im Filmclub-Büro in gewohnter Manier ein Telefonat entgegennahm. Am anderen Ende war einer seiner Kino-Helden: Nanni Moretti. Mit dem Satz „Siete gli unici che proiettate il mio film…“, zeigte sich der nach Bozen telefonierende Regisseur und Schauspieler sehr erfreut darüber, dass sein 1994 in Cannes ausgezeichneter Film Caro diario, am 27. und 28. Oktober im Bozner Capitol-Kino gezeigt wird.

Caro diaro ist eine Liebeserklärung an Rom, an Italien und seine Menschen, an Pier Paolo Pasolini und an Jennifer Beals. 

Die in einer von der Cineteca di Bologna digital restaurierten und neu herausgegeben Neufassung von Caro diario hätte in diesen Tagen zwar auch in vielen anderen Kinos Italiens anlaufen sollen, nachdem aber aus Covid-19-Gründen Kinovorführungen verboten sind, blieben die beiden Moretti-Vorführungen, gemäß der Südtiroler Sonderregelung der Maßnahmenverordnung, nur für den in Bozen geplanten Projektionsort übrig.

Der Film von Nanni Moretti ist heute (28.10) um 18 Uhr im Kino Capitol erneut zu sehen. Inkl. Videobotschaft

 

Für seinen „neuen“ Caro diario hat Nanni Moretti speziell für Bozen eine Videobotschaft erstellt, in welcher er sogar kurz auf seinen Geburtsort Bruneck eingeht und diesen mit der Lehrertätigkeit seiner Eltern rechtfertigt, „die die Geburt ihrer drei Kinder stets für die schulfreien Monate einplanten“. Deshalb kam er, „während des Urlaubs“ seiner Eltern in Bruneck zur Welt. 
Detail am Rande: Als Giovanni Moretti am 19. August 1953 in Bruneck das Licht der Welt erblickte, war dies lediglich vier Jahre nach der Geburt des später ebenfalls international erfolgreichen Kinoproduzenten Karl Baumgartner. Beiden "Bruneckern" gelang es in den 1990ern in Cannes eine Goldene Palme zu holen. Baumgartner ein Jahr nach Moretti.


In den zehn Minuten seiner Videobotschaft berichtet Nanni Moretti nostalgisch über die Entstehung des erfolgreichen Tagebuch-Films. Die Aufnahmen seiner anarchen Vespa-Fahrt waren ursprünglich für einen Kurzfilm gedacht, der in dem von Moretti Anfang der 1990er Jahre erworbenem Kino Nuovo Sacher, hätte gezeigt werden sollen. Doch der frei entstandene Dreh mit Vespa führte zu einem Langfilm, in drei Kapiteln.

Wenn Nanni Moretti im ersten Kapitel von Caro diario durch ein menschenleeres Rom kurvt und man als Zuschauer im Jahr 2020 mit Mundschutz im Kino sitzt, kommen einem schon irgendwie melancholische Gedanken. Man sollte deshalb rasch die Gegenwart ausblenden und sich gradewegs (als Vespa-Beifahrer) in die Kinoperle stürzen, bzw. sich auf Kapitel II freuen. Dort besucht Moretti einen Freund auf Lipari, der ihm seine Telenovela-Sucht zunächst verschweigt, nach weiteren äolischen Inselbesuchen ohne Fernsehgerät allerdings beinahe wahnsinnig wird. Des weiteren müssen Moretti und sein Freund auf der Inseltour feststellen, dass auf Lipari zu viel Autoverkehr vorherrscht, auf Salina der Alltag von verwöhnten Einzelkindern und bemitleidenswerten Eltern bestimmt wird, der Bürgermeister von Stromboli (zu) viele (neue) Ideen hat und dass Panarea sich derart touristisch prostituiert, dass Moretti und sein Kollege sofort abreisen. In Alicudi finden sie hingegen die gesuchte Ruhe. Aber leider kein TV-Gerät.
Fiktive und autobiographische Elemente bestimmen auch das dritte Kapitel, in welchem mehrere Ärzte Morettis "Hautkrankheit" (mehr schlecht als recht) behandeln. Ein Arzt geht in einer Szene sogar kurz an den Lebensanfang des Hauptdarstellers und Regisseurs zurück: nach Brunico.