Wirtschaft | Umwelttage Mals

Die blaue Trendwende

Wenn Wind und Sonne fehlen, kann die Wasserkraft aushelfen. Für den renommierten Bauingenieur Anton Schleiss ist sie deshalb der Katalysator der Energiewende in Europa.
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Foto: Dan Meyers on Unsplash
Die Vorteile der Wasserkraft müssen in Südtirol nicht lange erklärt werden, schließlich stammen laut der Handelskammer Bozen 88 Prozent der hierzulande produzierten erneuerbaren Energie (6,6 von insgesamt 6,8 Terawattstunden pro Jahr) aus Wasserkraft. Zudem wird mehr Energie produziert, als Südtirol verbraucht. So kann mehr als die Hälfte der Stromproduktion in andere italienische Regionen exportiert werden.
Gleichzeitig entstehen mit dem Klimawandel, dem Verlust der Artenvielfalt und der Wasserknappheit neue Herausforderungen in der Nutzung der Wasserkraft. Anton Schleiss, emeritierter Universitätsprofessor der ETH Lausanne und Koordinator des EU-Projekts ETIP Hydropower, ist trotzdem überzeugt, dass Wasserkraft der Katalysator für Europas Energiewende ist. Bei seiner Keynote der diesjährigen Interalpinen Energie- und Umwelttage in Mals erklärt er seinen Standpunkt.
 
 
Die Trümpfe der Wasserkraft seien laut Schleiss neben der CO2-freien Energiegewinnung auch ein „ausgezeichneter“ Wirkungsgrad, die Effizienz und die mögliche Regulierung gemäß Nachfrage. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn in einer Gesellschaft nicht mehr auf fossile Energieträger gesetzt wird. Da sowohl die Windkraft als auch die Solarenergie volatil sind, kann die Wasserkraft die Spitzen beim Stromverbrauch abdecken.
Weitere Vorteile seien die heimische und unabhängige Energieproduktion, die in diesen Tagen durch den Ukraine-Konflikt vermehrt diskutiert wird, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Infrastrukturen und der touristischen Attraktivität. Außerdem könne die Wasserkraft einen bedeutenden Beitrag für den Schutz vor Dürren und Hochwasser leisten.
 

Potential ausschöpfen

 
Zurzeit werden rund zwei Drittel des Potentials der Wasserkraft in Europa, inklusive der Türkei, genutzt. Spitzenreiter ist hier Norwegen, dort macht die Wasserkraft 92 Prozent der Stromerzeugung des Landes aus. Es folgt die Türkei, Schweden, Frankreich, Italien, Österreich und die Schweiz. In einigen vor allem osteuropäischen Ländern wie Griechenland, Polen oder Ungarn werden mehr als 50 Prozent des ökonomischen Wasserkraftpotentials noch nicht genutzt.
 
 
Doch der Schweizer Bauingenieur zeigt sich für die Zukunft der Wasserkraft optimistisch, auch wenn sie lange als unrentabel galt: Vor etwa einem Jahrzehnt stellte der niedrige Strompreis keinen Anreiz für Investitionen in die Wasserkraft dar. Insbesondere die Subventionierung von Solar- und Windenergie in Deutschland und anderen Ländern hatte den europäischen Strompreis gedrückt und damit den Markt verzerrt. Durch ein Überangebot an Strom in Europa war der Preis zeitweise sogar negativ. „Das war auch der Grund, dass in den letzten 15 Jahren vieles nicht gebaut wurde“, so Schleiss.
Nun sei aber eine Trendwende gekommen. „Wir haben jetzt kein billiges Gas mehr für die Stromproduktion, zudem werden die bestehenden Kernkraftwerke abgeschaltet, es wird in Zukunft an Strom mangeln“, sagt der Experte. Er begrüßt deshalb die Forschung und Entwicklung neuer Technologien für die Nutzung der Wasserkraft, aber nicht nur – auch die Kernfusion ohne nukleare Abfälle und Wasserstoff werden laut seiner Prognose eine tragende Rolle auf dem Energiemarkt der Zukunft spielen.
 

Wasserkraft und Klimawandel

 
Schleiss ist bewusst, dass Wasser nicht nur eine Energiequelle, sondern auch Lebensgrundlage ist. Daher werden neue Stauseen in vielen Regionen überlebenswichtig sein, um die Auswirkungen des Klimawandels zu dämpfen und Wasserressourcen zu sichern. Gerade diese Speicherbecken werden aber durch die zunehmende Sedimentzufuhr im Zuge des Klimawandels gefährdet. Daher brauche es schon heute dringende Gegenmaßnahmen bei bestehenden Speichern.
Eine Lösung dafür lautet etwa, am Boden von Stauseen Abflussleitungen (sogenannter Grundablass) zu bauen, die ein künstliches Hochwasser erzeugen. Damit wird das abgelagerte Sediment abtransportiert und die Füllmenge des Speicherbeckens bleibt erhalten. Als Beispiel dafür nennt Schleiss ein möglichst regelmäßig künstlich erzeugtes Hochwasser, das an der Rossens Staumauer in der Schweiz erzeugt wird. „Das hat auch zur Folge, dass die unterhalb gelegenen Auenwälder etwas erneuert werden können“, sagt Schleiss über das Beispiel.
Es bleibe aber die Herausforderung, die neuen und raueren Betriebsbedingungen eines Wasserkraftwerks auf die Betriebssicherheit und die aquatischen Ökosysteme zu untersuchen und Strategien zur Verminderung negativer Auswirkungen zu entwickeln. Das spielt auch bei dem EU-Projekt ETIP Hydropower, das Schleiss koordiniert, eine Rolle. Neben einem strategischen Industrieaktionsplan erarbeiteten sie eine Forschungs- und Innovationsagenda, um neue und umweltverträgliche Lösungen für Wasserkraftwerke zu entwickeln.
Das Fazit der Keynote von Schleiss ist, dass sich die Investition in die Wasserkraft trotz Herausforderungen lohnt: Diese werde in Zukunft „am Drücker sein, um einen Blackout zu verhindern“.