Gesellschaft | Landwirtschaft

Frischluft und Milchkuh statt Altenheim

Soziale Landwirtschaft bietet umfassende Möglichkeiten für viele Zielgruppen. Noch in diesem Jahr soll in Südtirol eine Durchführungsverordnung zur sozialen Landwirtschaft beschlossen werden.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Soziale Landwirtschaft
Foto: Suedtirolfoto.com / Othmar Seehauser

Oma will nicht ins Seniorenheim. Daheim kann sie sich aber nicht mehr selbstständig versorgen, ihre Kinder können sich auch nicht um sie kümmern. Also doch ins Heim? Oder auf einen der Landwirtschaftsbetriebe, die Altenpflege anbieten.

 

Kleine Landwirtschafsbetriebe bieten immer häufiger Betreuungsprogramme, Resozialisationsmaßnahmen und Lernen auf dem Bauernhof, Entspannungsmaßnahmen und Tätigkeiten für Menschen mit Behinderung an. So werden beispielsweise Senioren in den bäuerlichen Alltag eingebunden, Kinder lernen mit den Händen in der Erde vergraben oder am Bienenstock, und Häftlinge kurz vor der Entlassung erfahren Respekt durch Mensch und Tier. Soziale Landwirtschaft heißt dieses Konzept, indem gesundheitsfördernde und soziale Maßnahmen im Einklang von Mensch, Tier und Natur für viele verschiedene Zielgruppen angeboten werden. Im Zentrum des Konzeptes steht der nachhaltige Umgang mit Ressourcen, die schonend genutzt oder sogar neu erschlossen werden. Zu Ressourcen gehören in der sozialen Landwirtschaft auch Naturprodukte und Arbeitspotential, das gesellschaftlich an den Rand geschoben wird.

 

Prof. Dr. Susanne Elsen von der Freien Universität Bozen erklärt: „Alte Menschen können auf Höfen mitwirken, ein gängiges Beispiel sind auch Mittagstische für Menschen aus dem gleichen Umkreis, während sich für Menschen mit geistiger Behinderung die Arbeit mit Bienen ganz toll eignet.“ Potentiale sollen also nicht beiseite geschoben, sondern ausgeschöpft werden. Im Großen und Ganzen geht es um Normalisierung von Mensch und Natur. Es gibt auch Höfe mit Erholungsangeboten für ausgebrannte Großstädter. Entsprechend demografischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sind Projekte der sozialen Landwirtschaft durchaus begehrt.

 

Vor elf Jahren wurde die Südtiroler Sozialgenossenschaft „Mit Bäuerinnen lernen-wachsen-leben“ gegründet. Anlass waren fehlende Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder und der Stolz der Bäuerinnen, wie Susanne Elsen erzählt: „Die Gründerin hörte von einer Frau, die ihren Mann um das Geld für einen Ausflug der Landfrauen gebeten hatte. Die Frau hat das Geld zwar bekommen, ist dann aber doch nicht mitgefahren weil sie sagte, wenn die Frauen ins Café gehen, dann kann ich ja nicht mitgehen, weil ich habe ja nur das Geld für die Fahrt.“ Mit ihren Projekten ist die Sozialgenossenschaft Pionierin in Südtirol und hat sich seitdem als Trägerin von sozialer Landwirtschaft in Südtirol etabliert, sodass inzwischen rund siebzig Bäuerinnen ihre Dienste als Tagesmutter und rund dreiunddreißig Altenbetreuungsprojekte angeboten werden. Die Qualifikationen erfolgen über die Sozialgenossenschaft. Mit ihren Angeboten verschaffen sich die Bäuerinnen Selbstständigkeit sowie Kontaktmöglichkeiten über ihr landwirtschaftliches Umfeld hinaus. Außerdem werden klassische Frauenaufgaben wie die Kinder- und Altenbetreuung sichtbar, durch einen Zuverdienst gesellschaftlich aufgewertet und wertgeschätzt. „Die Motivation der Bäuerinnen ist absolut überzeugend. Tatsächlich ist der bäuerliche Tagesablauf flexibel genug, um sich zusätzlich um jemanden zu kümmern oder jemanden daran Teilhaben zu lassen. Das ist etwas anderes, als wenn ein Fließband läuft,“ betont Susanne Elsen.

 

In Italien ist die soziale Landwirtschaft seit 2015 gesetzlich geregelt, in Südtirol soll eine Durchführungsverordnung  noch in diesem Jahr über den Landtag beschlossen werden. Die Verordnung zielt darauf ab, Projekte sozialer Landwirtschaft bereits etablierten Bildungs- und Sozialeinrichtungen rechtlich gleich zu stellen. Die Teilhabe der Projekte am sozialpolitischen Verteilungssystem etwa bei der Platzvergabe oder bei notwendigen Umbaumaßnahmen soll so sichergestellt werden. Der neue Akteur im Bereich der Sozial- und Bildungspolitik sorgt also für Konkurrenz, erläutert Susanne Elsen: „Für die meisten Nutzer sind soziale Landwirtschaftsprojekte eine Alternative, die wahrscheinlich attraktiver ist als irgendwo in ein Altenheim oder in eine Behindertenwerkstatt zu gehen.“ Die fertige Durchführungsverordnung zielt also  unter anderem darauf ab, dass Omas Entscheidung für die Betreuung in der sozialen Landwirtschaft genauso gefördert wird, wie wenn sie ins Altenheim gehen würde.