Kultur | Gastkommentar

Für uns ist es fünf nach zwölf

Über Gefahren und Folgen von Nicht-Systemrelevanz in der freien Szene.
Ost West Country Club
Foto: KARLHEINZ SOLLBAUER

Auch wenn ihr es vielleicht schon nicht mehr hören könnt und es zumindest im deutschsprachigen Raum immer wieder Beiträge zur (freien) Kulturszene zu lesen gibt, so muss dennoch festgestellt werden, dass hier in Südtirol leider so gut wie gar nicht über diese Thematik gesprochen bzw. öffentlich debattiert wird. Bei uns wird über Einzelhandel, Bars und Restaurants, die Wiedereröffnung von Hotels und über jene der Skilifte gesprochen. Was Kleintheater oder freie Veranstaltungsräume betrifft: Fehlanzeige. Die Ursachen hierfür mögen vielfältig sein, haben aber unter anderem auch damit zu tun, dass wir einerseits solche Orte hierzulande an einer Hand abzählen können und andererseits unsere sogenannte freie Szene nur marginal am Südtiroler 6,4 Mrd. Landeshaushalt beteiligt ist. Wenn wir es rein auf die Zahlen herunterbrechen würden, sind wir eigentlich gar nicht existent. Ein paar Berichte gab es über die großen Theater- und Konzerthäuser, aber uns wäre jetzt noch kein Interview oder Bericht in einer der größeren Tageszeitungen, Radio- oder Fernsehstationen des Landes zu unserer vielfältigen und freien Kulturszene aufgefallen; das Thema scheint schlichtweg nicht zu interessieren.

Schon in Nicht-Corona-Zeiten spricht man in Südtirol kaum über all die wunderbaren Dinge, die in diesem Nischenbereich von engagierten Menschen auf die Beine gestellt werden, wieso sollte man es also gerade jetzt tun? Die Politik und die Medien haben unisono schon zu Beginn der Pandemie entschieden, dass es so etwas wie systemrelevante Berufe gibt, was in Zeiten des kompletten Lockdowns durchaus nachvollziehbar war. Tatsache ist, dass wir in der freien Szene definitiv nicht zu den Systemrelevanten gehören. Wir sind vernachlässigbar, man darf uns ignorieren und muss als verantwortliche/r Entscheidungsträger/in nicht öffentlich Stellung dazu beziehen, warum Dutzende von Menschen in diesem Bereich ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können. Hierbei wird schlichtweg vorausgesetzt, dass man die Gitarre oder den Schreibblock an den Nagel hängt und halt irgendwo an einem anderen Ort seine Brötchen verdienen soll, in einem „richtigen“ Beruf eben.

Nach fast einem Jahr schlägt die Uhr für uns fünf nach zwölf

Wir wissen von Leuten, die sich ernsthaft überlegt haben, ihre künstlerische Karriere komplett aufzugeben und sich umschulen zu lassen: man spürt die Resignation und Mutlosigkeit. Die, die vorher schon fast immer vergessen wurden, werden noch weiter in Vergessenheit geraten. Online-Konzerte können kein echtes Live-Konzert ersetzen und die großen Konzert- und Theaterhäuser arbeiten in den seltensten Fällen mit KleinkünstlerInnen.

Auch die Realität der VeranstalterInnen zeigt sich im Moment alles andere als rosig. Von Ausfallzahlungen, die andernorts anscheinend recht großzügig gewährt wurden, ist bei uns jedenfalls noch nichts angekommen, obwohl die Umsatzeinbußen, wohlgemerkt nach erfolgtem Aufruf durch die öffentliche Hand, bereits im April errechnet und an die zuständigen Stellen übermittelt wurden. Vielleicht will man in den Entscheidungsgremien schlichtweg nicht wahrhaben, dass sich auch ein kleiner Verein um die Zukunft seiner MitarbeiterInnen sorgen muss, wenn über mehrere Monate keine Mitgliedsbeiträge oder Bareinnahmen generiert werden können und die anfallenden Fixkosten natürlich weiterhin gedeckt werden müssen. Durch die Sonderlohnausgleichskasse konnte bis jetzt, wie vielerorts, das Allerschlimmste noch abgewendet werden.

Bei einem Kulturverein, der seit Jahren zu den größten und bekanntesten unseres Landes zählt und der in „normalen“ Zeiten über das Jahr hinweg rund 250 Veranstaltungen ausrichtet, zehntausende von Menschen damit unterhält, anregt und auf seine ganz eigene Art und Weise sogar beheimatet, mutet dies zumindest befremdlich an.

 

Wir haben uns vereinsintern relativ früh dafür entschieden, dass wir uns mit Forderungen und Beschwerden in dieser schwierigen Zeit zurückhalten, zumal es sich um eine außerordentliche Situation handelt, auf die niemand vorbereitet war; wir haben uns dagegen entschieden, gleich darauf loszuschimpfen. Es gibt wahrlich wichtigere Dinge als ein Konzert oder eine Lesung. Das Sanitäts- und Sozialsystem muss natürlich zuvorderst kommen, wenn es um die Verteilung von öffentlichen Geldern geht, dies steht und stand für uns immer außer Frage. Aber nun, nach fast einem Jahr, das bald vergangen ist, seitdem wir schon Anfang März gezwungen waren, vorzeitig unser ordentliches Tätigkeitsprogramm einzustellen, schlägt die Uhr für uns fünf nach zwölf; Ideen gibt es zwar en masse, finanziell pfeifen wir aber aus dem letzten Loch. Der ost west club läuft ernsthaft Gefahr, seine Tore über längere Zeit schließen zu müssen und dass in der Konsequenz eben auch weitere, nicht systemrelevante Arbeitsplätze verloren gehen. Ob, und wie schnell dann ein Neustart überhaupt möglich wäre, ist fraglich. Dass es bei dieser Pandemie keine Planungssicherheit gibt, ist verständlich. Es wäre jedoch aufmunternd gewesen, wenn auch in unserer Branche die ein oder andere Hilfs- bzw. Ausgleichszahlung geflossen wäre.

 Politik und Medien haben entschieden, dass es so etwas wie systemrelevante Berufe gibt – wir in der freien Szene gehören definitiv nicht dazu

Um sich für den ost west club und viele andere Vereine und Initiativen aus der freien Szene in Südtirol als MitarbeiterIn oder ehrenamtliches (Vorstands)-Mitglied zu engagieren, muss man irgendwann im Laufe seines Lebens zu fest mit dem Köpfchen gegen eine Betonpfosten gelaufen sein. Anders ist es wahrlich nicht zu erklären, warum sich immer wieder Verrückte finden, die sich in diesem Bereich Jahr für Jahr aufs Neue engagieren. Würde man Beschäftigten aus anderen Bereichen erklären, dass damit so gut wie nichts verdient ist, fast jedes Anstellungsverhältnis immer ein prekäres und unsicheres sein wird, oder dass Menschen mit ihrem Privatvermögen für diesen Verein bürgen, würden wahrscheinlich 99 Prozent der Leute den Kopf schütteln oder in lautes Gelächter ausbrechen. Und genau diese Wahrnehmung bekommen wir ja auch in Nicht-Corona-Zeiten immer wieder zu spüren. Wir werden nicht ernst genommen, wir werden belächelt.

Wer seinen Lebensunterhalt in der freien Kulturszene verdient, wird selbst heutzutage immer noch gefragt: „Und was arbeitest du in Wirklichkeit?“ Und wenn wir dann antworten: „Ich bin MusikerIn, KünstlerIn, VeranstalterIn, Kulturschaffende/r, KulturarbeiterIn oder verwendet eine ähnliche Bezeichnung, für das was man tagein tagaus mit größtem Idealismus und voller Inbrunst macht, erhält man als Reaktion entweder ein ungläubiges Staunen oder nachdrückliches Kopfschütteln. So oft durften wir gerade im Frühjahr während des ersten Lockdowns hören und lesen, wie brutal die Vorstellung wäre, müssten wir zuhause ganz ohne Musik, Bücher und Filme auskommen. „Ja, aber das sind Profis, hochbezahlte SchauspielerInnen und Weltstars, denen man dort zuhört und zusieht, das kann man doch nicht mit diesem Geklimper vergleichen, für das sich doch eh kaum jemand interessiert, und außerdem ist es doch eher eine Art von Hobby“, haben wir die Menschen sagen hören.

Ob, und wie schnell ein Neustart überhaupt möglich wäre, ist fraglich

Wie dem auch sei: Derzeit setzen wir als Verein alle Hoffnung in die neue Mitgliederkampagne, die wir vor einigen Wochen gestartet haben. Doch obwohl wir auf all unseren digitalen Kanälen immer wieder dafür werben und an einem Wochenende auch in Präsenz vor den Toren des Vereinslokals die Möglichkeit zur Mitgliedschaftserneuerung angeboten haben, sind wir bis dato von den Zahlen der vergangenen Jahre meilenweit entfernt. Zwar haben sich einige Mitglieder sehr großzügig gezeigt und uns über den 15€-Jahresbeitrag hinaus auch etwas gespendet, doch für eine finanzielle Reanimation des Vereins reicht dies leider bei Weitem nicht aus. Kulturelles Angebot will eben in vivo genossen werden; bleibt ein solches aus, schlägt sich das massiv in den Mitgliederzahlen nieder. Das haben wir in diesem Jahr schmerzhaft erfahren müssen. Weiters sind in den vergangenen Wochen auch Sponsoren abgesprungen, da sie sich selbst mit großen finanziellen Schwierigkeiten herumschlagen müssen. Finanziell ist das für einen Verein, der auch in Nicht-Pandemie-Zeiten jeden Euro dreimal umdrehen muss, ein weiterer Schlag in die Magengrube. Auch wenn wir derzeit dabei sind, ein interessantes, digitales Programm auf die Beine zu stellen, geht uns langsam, aber sicher, die Luft aus; ein letzter Kraftakt sozusagen. Sollten wir im Frühjahr die Tore unserer Sommerresidenz aus welchen Gründen auch immer, nicht wieder öffnen können und weiterhin keine Ausgleichszahlungen oder Hilfsgelder fließen, werden wir es aus eigener Kraft nicht schaffen, den Club am Leben zu halten. Nicht systemrelevant zu sein, kann mitunter also durchaus schwerwiegende Konsequenzen haben.
 

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Klemens Riegler Di., 29.12.2020 - 19:32

Ich bin etwas überrascht ... und enttäuscht! Soweit ich mich erinnern kann, hat Landesrat Achammer schon im Frühjahr zugesichert, dass kein Kulturverein im Stich gelassen wird, bzw. dass alle zugesicherten, öffentlichen Beiträge ganz regulär ausbezahlt würden. Damals hat es sogar geheißen, dass Ausfallhaftungen (aufgrund von Corona-bedingten Absagen usw.) ebenfalls regulär "abgerechnet" werden könnten. Darauf sollte gepocht werden!

Di., 29.12.2020 - 19:32 Permalink
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Thomas Kobler Mi., 30.12.2020 - 18:28

Antwort auf von Klemens Riegler

Hoi Klemens! Grundsätzlich hast du Recht. Das Land hat mehr oder weniger zugesagt, dass die laufenden Beiträge auch 2021 gleich bleiben werden. Das ist bzw. wäre natürlich super, eine absolute Garantie haben wir aber erst, wenn das Geld auch wieder wirklich auf unserem Bankkonto landet. Aber worum es uns bei diesem Artikel ging ist, dass das allein wahrscheinlich nicht ausreichen wird. Die ausgefallenen Einnahmen aus Barumsätzen, Mitgliedsbeiträgen und nicht mehr verlängertem Sponsoring können nicht einfach so kompensiert werden. Und im Falle unseres Vereins ist das jährlich eine relevante sechsstellige Summe. Von daher wäre es schön gewesen, dass man auch in unserer Branche, die ein oder andere Ausgleichszahlung oder Hilfeleistung zusätzlich erhalten hätte. Und diesbezüglich haben wir leider keinerlei Signale bekommen und das weder auf Staats-, Landes-, noch Gemeindebene. Dazu kommt natürlich immer das leidige Thema mit unserer lieben Gemeinde hier in Meran und, dass jener Beitrag letztlich nur einen Bruchteil vom Landesbeitrag ausmacht. Und diese Unwucht schlägt in diesen Zeiten einfach nochmal doppelt zu Buche.

Mi., 30.12.2020 - 18:28 Permalink
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m s Mi., 30.12.2020 - 05:58

Das erstaunt mich auch und ist enttäuschend wenn gerade die Kultur derart im Stich gelassen wird. Systemrelevanz mag kurzfristig nur für Notfall-Sanität, Lebensmittelversorgung und dgl. gelten, auf längere Sicht gehören wohl fast alle Berufe dazu. Die Politik wäre gefordert vor allem auch die Kultur in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen und generell die Schieflage in Investitionen (überdimensionierte zukunftsblinde Straßenbauprojekte) und im Förderwesen (Coronabonus für Landwirte) zu überdenken. Ein Paradigmenwechsel wäre in vielen Bereichen notwendig.

Mi., 30.12.2020 - 05:58 Permalink