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Wonach wir uns richten

Der Film "Stille Post" zeigt den Konflikt zwischen den Kurden und der Türkei aus einer auf- und hochgeladenen Perspektive. Der Regisseur ist am Montag im Bozner Filmclub.
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Foto: Filmclub Bozen

„Die Ausgangssperre dauert jetzt schon 65 Tage, die Bürger sind ohne Strom, ohne Wasser. Alle Handynetze und Internetverbindungen sind gekappt, damit keine Bilder nach außen gelangen“, erzählt Journalistin Leyla (Kristin Suckow) nach gut einer halben Stunde des Films Stille Post ihren Redaktionskollegen der Presseagentur. Leyla spielt im Film die Partnerin des Berliner Grundschullehrers Khalil (Hadi Khanjanpour). Dieser wird immer wieder mit Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet seiner kurdischen Heimatstadt Cizre konforntiert, welche ihm über verschiedene SD-Karten – mal versteckt in einem Wasserkocher, mal in einem Rasierapparat – zugeschanzt werden. Khalil versucht das gedrehte Material über seine Freundin in die Medienwelt einzuschleusen, doch Minute um Minute gerät dadurch sein zunächst geordnetes Leben aus den Fugen.
 

Der Wettbewerb der Bilder um politische und journalistische Machtkämpfe lässt einen ohnmächtig zurück.


Die Aufnahmen aus Cizre zeigen etwa eine friedliche Demonstration, die niedergeschossen wird, liefern deutliche Beweise für Artillerie- und Panzerbeschuss, machen kaputte Häuser und leere Straßen sichtbar. Und Menschen die sich verstecken oder davonlaufen. „Die Bilder der türkischen Pressestelle erzählen eine ganz andere Geschichte“, entgegnet die Chefradeakteurin (Jeanette Hain) Khalils Freundin bei einer Lagebesprechung im Redaktionsbüro, und erläutert was denn wirklich von Wichtigkeit wäre und was weniger. Solange kein interner Korrespondent ins Krisengebiet vordringen und die Bilder belegen kann, seien den Berliner Presseagenturverantwortlichen die Hände gebunden, man wolle doch „nicht tendenziös berichten“, meint ein Kollege. So wird der Darstellung der türkischen Mehrheit zwar nicht mehr Glauben als jener der kurdischen Minderheit geschenkt, doch ziehen die Medienarbeiter am Ende einen besorgniserregenden Journalismus der Duckmäuserei vor, anstatt endlich über die brutalen Vorgänge aus Cizre zu berichten. 
Khalil, der in den Aufnahmen anhand eines Leberflecks sogar seine bereits tot geglaubte Schwester unter den kämpfenden, kurdischen Frauen vermutet, versucht mit Vehemenz die Tag um Tag eintrudelnden Aufnahmen, wenigstens in kleinen Bruchstücken an die Öffentlichkeit zu bringen. Über die "Kurdische Gemeinschaft" in Berlin will er zudem mit seiner Schwester Kontakt aufnehmen. Seine Beziehung mit Leyla ist hingegen auf dem besten Weg in die Brüche zu gehen.
 

Stille Post - Trailer


Da andere Konflikte oder Pseudo-Stars (mit unglaublich viel Followern) einen angeblich „höheren News-Wert“ besitzen, zeigen die TV-Sender lange Zeit kein Interesse an der Geschichte der Kurden. Erst als Khalil und Leyla die Videos minimal manipulieren (indem sie die Audiospur dramatisch mit weiteren Schüssen unterlegen), ist ihnen endlich die mediale Aufmerksamkeit sicher, für die die beiden lange gekämpft haben. Nun wird berichtet und die „politische Debatte“ kommt ins Rollen.
Doch wie widerspiegelt sich die neue Situation in Khalils Rolle als Lehrer? Wird er seine Schwester wiedersehen?
Der 1987 geborene Florian Hoffmann – er war vor seinem Studium in Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin dffb in der Entwicklungszusammenarbeit in West-Afrika tätig und absolvierte in Basel ein Studium der Ethnologie, Soziologie und der Politikwissenschaften – hat mit Stille Post einen beeindruckenden Film vorgelegt, in welchem sich Dokumentar- und Spielfilm auf interessante Weise verweben, ob glatt und gut ausgeleuchtet überlagernd oder wackelig unscharf unterordnend. Der Wettbewerb der Bilder um politische und journalistische Machtkämpfe lässt einen ohnmächtig zurück.
Regisseur Florian Hoffmann ist mit seinem preisgekrönten Film am Montag, 30. Januar, um 20 Uhr, im Bozner Filmclub zu Gast und wird zu Stille Post Rede und Antwort stehen.