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Freud

Wenn man wegen der aktuellen Umstände schon nicht über die Freud-Promenade in Oberbozen spazieren kann, wartet bei Netflix die entsprechende Alternative.
Freud
Foto: Orf/Netflix

Die Serie, die den schlichten Titel „Freud“ trägt, ist die erste Koproduktion des ORF mit dem Streaming-Giganten Netflix. Und es ist eine Prestige-Produktion, etwa vergleichbar mit der deutschen Serie „Babylon Berlin“. Die beiden Werke sind sich zumindest in der porträtierten Zeit nicht völlig unähnlich, wenngleich „Freud“ nochmal rund dreißig Jahre vorher spielt. Im Zentrum steht der heute weltbekannte Psychoanalytiker Sigmund Freud. Er wird im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts in einen blutigen Mordfall verwickelt und rutscht schon bald in einen Strudel aus Betrug, Hypnose und okkulten Beschwörungen. Man merkt schon, die Serie schert sich nicht um einen biographischen Anspruch, sondern wühlt kräftig in der Genre-Mottenkiste und nutzt ihren Protagonisten samt seiner Theorien als Dreh-und Angelpunkt für eine spannend angelegte Geschichte. Zu der soll gar nichts weiter gesagt werden, man sollte bloß damit rechnen, dass die Serie zur Mitte hin sehr stark ins Horrorgenre abrutscht und dieser Umstand dem Erzählfluss nicht unbedingt zuträglich ist. Alles in allem ist der Zugang zur Figur des Sigmund Freud das beinahe interessanteste. Denn wir erleben hier einen Freud, der noch nicht den (durchaus umstrittenen) Ruhm und die Bekanntheit genießt, die er nur wenige Jahre später erhalten sollte. Er hat sich als Psychologe zwar bereits etabliert, doch ist mit seinen Anfang Dreißig noch recht jung und muss, gerade weil er immer wieder mit neuen, revolutionären Untersuchungen daherkommt, um die Gunst und den Respekt seiner älteren Kollegen kämpfen. Gespielt wird der kokainsüchtige Einzelgänger von Robert Finster. Mit elegischer Ruhe in der Stimme und der Mimik zeigt er einen Freud, wie er vermutlich in recht ähnlicher Gestalt auch tatsächlich existierte. Wenn er mit seinen Patienten spricht und ihnen ihre tiefsten Geheimnisse entlocken will, tut er das mit einer hypnotisch anmutenden Stimme. Und Hypnose ist ohnehin ein Motiv, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Serie zieht. Der wahre Freud wandte sich nach einer gescheiterten Sitzung, bei der sich die Patientin in ihn verliebte, von dieser Technik ab. In diesem Punkt entfernt sich die Serie auch von jeglicher Realität, wie schnell hier jeder hypnotisiert wird, nimmt irgendwann absurde Formen an.

 

Freud | Official Trailer | Netflix

 

Außerdem sollte man nicht erwarten, dass Freuds Theorien, sein Zugang zum Unterbewussten und Teilaspekte wie die Traumdeutung, für die es im Verlauf der acht Folgen allemal Verwendungszwecke geben würde, in der verdienten Tiefe behandelt werden. Sie werden lediglich angeschnitten, verständlich erklärt und mit dem damit geschaffenen Wissen des Publikums gearbeitet. Vielleicht wäre eine zu theoretische Herangehensweise auch kontraproduktiv gewesen und hätte ein breites Publikum abgeschreckt. Und das ist ganz klar die Zielgruppe. In Sachen Effekthascherei gibt sich „Freud“ keineswegs scheu, da wird gemordet und geblutet, geschrien und, natürlich hysterisiert. Dem jungen Psychoanalytiker stehen einen Reihe gut geschriebener Figuren zur Seite. So etwa der von Georg Friedrich fantastisch eindringlich verkörperte Polizeiinspektor Alfred Kiss, oder das für Freud natürlich höchst interessante Medium Fleur Salomé, gespielt von Ella Rumpf. Letztere schafft es durch einen feinfühligen Wechsel aus Hysterie, kindlicher Verletzlichkeit und Femme-Fatale-Potential die wohl unberechenbarste Figur der Serie zu kreiren. Während die eigentliche Geschichte schwächelt, sind die Charaktere gut geschrieben, und sie bewegen sich durch ein Wien mit viktorianischem Anstrich. Überall ziehen die Nebel umher, häufig spielen die Szenen bei Nacht, die Beisln sind stets gerammelt voll und die Menschen trinken und geben sich der Lust hin, Morde geschehen und Fiaker fahren mit mysteriösen Passagieren durch die Straßen. Es wird klassisch wienerisch „gegrantelt“ und vor allem das bundesdeutsche Publikum wird einige Not haben, die Schauspieler überhaupt zu verstehen. Der Charme der österreichischen Hauptstadt stimmt jedenfalls, und es ist gut, dass er nicht zugunsten eines „internationalen“ Anstrichs weichen musste. Der Schauplatz der Geschichte ist der eigentliche Star, vom einst prächtigen kaiserlichen Reich ist nicht mehr viel übrig. Neben den fiktiven Figuren tummeln sich einige weitere historische Persönlichkeiten in Wien, so etwa Arthur Schnitzler als Freuds „Best Buddy“ oder der Psychologe Josef Breuer, der durch den Fall der „Anna O.“ bekannt wurde. Ja und der Kaiser schaut natürlich auch kurz vorbei.

 

„Freud“ ist aktuell sehr erfolgreich, sowohl im ORF als auch bei Netflix, sodass eine zweite Staffel wahrscheinlich scheint. Wenn sich die Macher nun noch eine interessantere, und womöglich mehr auf Realismus basierende Geschichte ausdenken, die Fäden ihrer Figuren konsequent weiterführen und mehr aus ihrer schillernden Hauptfigur machen, steht einer wirklich guten Serie nichts mehr im Wege. Oder man belässt es bei einer Staffel, spaziert, sobald möglich, über die Oberbozner Freud-Promenade, und deutet, auf einer Parkbank sitzend, die träumerischen Hilfeschreie eines niemals schweigenden Unterbewusstseins.