Gesellschaft | Corona Home Story

Im VW Bus auf der Flucht

Eine Reise nach Marokko und die ungewisse Rückkehr: Auf der Flucht vor dem Virus oder Corona und wie wir lernten, die Selbstisolation zu lieben.
Familie Kaibitsch
Foto: Privat

Wie (er-)leben Menschen anderswo die Corona-Krisensituation? Wir haben nachgefragt. Heute: Heiner und Clara Kaibitsch vom Stanglerhof in St. Konstantin bei Völs haben mit ihren zwei Töchtern eine Odyssee in Marokko hinter sich, aber auch großes Glück gehabt.

 

Marokko war schon lange unser Reiseziel, doch bevor wir am 26. Februar aufbrachen, begannen wir ein wenig unsicher zu werden. Das Coronavirus machte sich bereits in der Lombardei breit, und auch Frankreich begann, sich langsam abzuschotten. Freunde rieten uns ab, zu fahren. Aber wir entschieden uns letztendlich doch dafür – die bereits gebuchte Fähre, die Bewegung weg vom Virus in ein vermeintlich sicheres Land, alle Besorgungen im Vorfeld (4 neue Pässe, Impfungen...) und die Lust aufs Unterwegs sein nach langen Jahren ohne Fernreise waren starke Argumente. Und wir, und wohl fast alle um uns, hätten sich nie eine so dramatische Entwicklung der Fallzahlen in Italien erwartet.

Der Weg nach Afrika im VW Bus mit 2 kleinen Kindern an Bord war lang, aber mit einigen Stopps sehr kurzweilig. Zudem zwang uns eine Autopanne zu ein paar Tagen Boxenstopp in Sevilla. Ein guter Ort und eine gute Zeit für eine ungeplante Pause – warme Frühlingstage, die Orangenblüte, Tapas-Bars an jeder Ecke und die Möglichkeit bei guten Freunden für ein paar Tage zu wohnen erleichterten die Entscheidung ungemein. In Spanien herrschte noch eine trügerische Ruhe, Alltag, die Straßen voller Menschen, Kinder spielten im Freien, überall volle Lokale...

 

Am 4. März setzten wir von Tarifa nach Tangier über, und das Virus bzw. sein Schatten kamen mit. An Bord galt es ein coronabezogenes Formular auszufüllen, und nach der Ankunft ging's für uns "Italiener" sofort zum Fiebermessen. Alles easy, Normaltemperatur – wie zum Glück bis heute.
Sofort nach der Ankunft in Tangier kauften wir eine marokkanische Sim-Karte, um uns erreichbar und informiert zu halten – eine gute Investition, bei ansonsten 2,5€/min Telefonkosten nach Europa und Datenspesen von entspannten 24,17€/MB im Roaming. Zugleich war diese Datenverbindung auch der informelle Reisekanal für das Virus – es blieb uns nahe.

Das freundliche und von Herzen kommende "Es Salaam Alaykum" zur Begrüßung wurde zu einem "Corona-Corona", sobald wir irgendwo Halt machten und jemand unser italienisches Kennzeichen sah

Unsere Reise vom Norden Marokkos über das Rifgebirge bis in die Wüste und zurück wurde begleitet von den immer bedrückenderen Nachrichten aus der Lombardei und später auch Spanien, von Meldungen über immer strengere Ausgangssperren, Notverordnungen usw. Im Hinterkopf war der Virus ein Teil der Marokkoreise, und er spielte sich immer stärker in den Vordergrund, je länger wir unterwegs waren. Trotzdem dachten wir nicht an eine frühzeitige Rückfahrt, da wir zuhause, wie bereits absehbar war, nichts verpasst hätten und in eine sehr passive Rolle wechseln hätten müssen.  

 

Nach einem zweitägigem Ausfall unserer Internetverbindung aufgrund eines Missverständnisses beim Kauf der Sim-Karten dann der, insgeheim erwartete, Schock: Unsere Fährverbindung Tangier-Genua war gecancelt worden. Marokko hatte, obwohl noch wenige Fälle von Corona-Virus bekannt waren (ca. 30-50), die Reißleine gezogen und alle Fährverbindungen und sehr viele Flugverbindungen nach Europa eingestellt. Wir waren gerade auf dem Weg zurück in den Norden, auf einer schmalen Straße über den Hohen Atlas, mit Pässen in ca. 3000m Höhe, und schliefen nach einem plötzlichen Wintereinbruch mit Schneefall und Minustemperaturen in einer kleinen Pension in einem Dorf am Fuß der Berge.
Inzwischen hatte sich die Stimmung auch in Marokko gedreht, und das freundliche und von Herzen kommende "Es Salaam Alaykum" zur Begrüßung wurde zu einem "Corona-Corona", sobald wir irgendwo Halt machten und jemand unser italienisches Kennzeichen sah.

In der Pension wurden, zum ersten Mal auf der Reise, alle unsere Ausweise kontrolliert, das KFZ-Kennzeichen fotografiert und der Polizei per WhatsApp geschickt. Zudem sagten uns die Gastgeber, dass die Schulen am Montag in ganz Marokko schließen würden. In allen lokalen TV Sendungen gab  es (fast) nur mehr ein Thema: das Corona-Virus.
Wir waren überzeugt gewesen, irgendwie heim zu kommen, wollten aber auf keinem Fall das von einem Freund geliehene Auto in Marokko zurücklassen. Unsere Hoffnung ruhte auf Ceuta, der spanischen Exklave in Marokko, von wo es noch Fährverbindungen nach Spanien gab. Allerdings offiziell (Twitteraccount der spanischen Botschaft in Marokko) nur für Spanier.

 

Am Abend des 14. März, nach Konsultationen mit der österreichischen Botschaft (keine Ausreisemöglichkeit per Fähre mehr, Auto in Marokko lassen und sich nach Wien ausfliegen lassen, keine Info, dass Ceuta offen war) und Italien (evtl. Ausreise über Ceuta mögl., etwas unsicher, aber wenn dann unverzüglich) brach der ganze Ausreisestress wie eine Welle über uns zusammen und nahm uns für ein paar Stunden die Zuversicht. Freunde, die immer öfter über WhatsApp nachfragten, wie wir heimkommen wollten, fungierten als Panikverstärker. Wir versuchten vor den Kindern nicht zu pessimistisch zu sein, und wollten am nächsten Morgen früh aufbrechen, um übers Wochenende Ceuta zu erreichen. Allerdings hätte es uns nach diesem Abend auch nicht überrascht, am Morgen von der marokkanischen Polizei abgeholt und in Quarantäne gesteckt zu werden.
Der Morgen kam, die Corona-Gespenster verschwanden für ein paar Stunden, und wir machten uns auf den Weg nach Ceuta. An Märkten, die wir passierten, wurden vor großen Tanklastwagen gefüllt mit Wasser Handwaschübungen abgehalten. Das ganze wurde garniert von Durchsagen über Lautsprecher, die unablässig über die Pandemie informierten.

Wir verbrachten die letzte Nacht in der Nähe von Ceuta und erhielten am nächsten Tag in der Früh, Montag 16.März, von der spanischen Botschaft die Bestätigung, dass eine Ausreise möglich war. Mittags betraten wir die Fähre nach Spanien. Erleichtert und erste Klasse, da wir als "Italiener" für besonders ansteckend gehalten wurden und daher unter Quarantäne standen. Die erste Nacht auf spanischem Boden war eine Erholung und uns wurde bewusst, welches Stresspotential in einer "ungewissen" Zukunft steckt, trotz all unseren Privilegien als EU-Bürger.

 

Kurz darauf schlossen auch in Marokko alle Geschäfte bis auf den Lebensmittelhandel, sowie alle Märkte und Sehenswürdigkeiten, zudem wurde eine Ausgangssperre verhängt.
In de facto Quarantäne im VW Bus erreichten wir nach weiteren 3 Tagen und 2500km Landweg über fast leere Autobahnen in Spanien, Frankreich und Italien am 19. März wieder Südtirol. Grenzkontrollen gab es keine, nur eine nächtliche Begegnung mit katalanischen Polizisten bei einer Mautstation in Barcelona. Sie weigerten sich anfänglich, uns weiterfahren zu lassen und beharrten darauf, dass die spanisch-französische Grenze geschlossen sei, was sich am nächsten Morgen zum Glück als unwahr herausstellte.

Uns wurde bewusst, welches Stresspotential in einer "ungewissen" Zukunft steckt, trotz all unseren Privilegien als EU-Bürger

Wir verbringen jetzt wie vorgesehen zwei Wochen in Selbstisolation zuhause und sind froh und privilegiert, es gerade noch geschafft zu haben, nach Europa überzusetzen. Das Leben in der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung steht zwar im direktem Gegensatz zu den vielen Kilometern und Eindrücken vorher. Andererseits warten mittlerweile hunderte Wohnmobile und Camper vor Ceuta auf Ihre Rückreise, aber die Grenze bleibt, zumindest vorerst, für sie geschlossen. Nicht zu reden von den Flüchtlingen und Migranten, die zu zehntausenden vor den Toren Europas auf eine Möglichkeit warten, einzureisen, bzw. den vielen Insassen der Flüchtlingslager in Griechenland, die auf den Inseln festsitzen, in der Hoffnung, dass das Virus keinen Weg dorthin findet. Hoffentlich findet sich auch für sie eine Lösung, damit sie nicht völlig schutzlos einer der größten humanitären Krisen des Jahrhunderts gegenüberstehen.