Gesellschaft | Interview

„System sieht Schüler als Probleme“

Max Gasslitter Strobl ist hochbegabt. Das Bildungssystem sei für Personen wie ihn aber nicht zugeschnitten – das hat Folgen.
kimberly-farmer-luaakcuanvi-unsplash.jpg
Foto: Kimberly Farmer on Unsplash

Als Max Gasslitter Strobl acht Jahre alt war, wurde bei einem IQ-Test seine Hochbegabung festgestellt. Der 18-jährige Bozner hat seitdem eine Klasse übersprungen und studiert an der Uni Innsbruck Mathematik. Im Interview erzählt er von dem Frust und der Langeweile, die hochbegabte Kinder und Jugendliche in den Schulen Südtirols erleben.  

 

 

Salto.bz: Wie beurteilst du das Schulsystem?

Max Gasslitter Strobl: Ich finde es nicht gut, weil es Schüler als Probleme sieht. Denn das Ziel einer Schule ist es, den Schülern in der vorgegebenen Zeit etwas beizubringen. Das führt dazu, dass das Programm Schritt für Schritt einfacher wird, wenn die Lehrperson merkt, dass die Klasse nicht mehr gut mitkommt. Zudem werden so gut wie möglich alle Ressourcen in schwächere Schüler gesteckt. Das ist absolut verständlich, denn sie brauchen wirklich Hilfe. Gleichzeitig langweilen sich dann aber Personen wie ich in der Schule. Beispielsweise kenne ich einige Hochbegabte in Südtirol, die ihre Motivation verloren haben und die Klasse wiederholen müssen. Sie sind gleich intelligent wie ich, können dasselbe wie ich, schreiben aber schlechte Noten. Der Grund liegt darin, dass sie keine Lust haben, gelangweilt zu werden und sie hören in der Schule deshalb nicht einmal mehr zu. Damit nimmt ihnen das Schulsystem den Spaß am Lernen und an dem Entdecken von Neuem, obwohl sie wahrscheinlich die Besten darin wären.

 

Zudem wissen viele Lehrkräfte nicht weiter, wenn wir ihnen eine weiterführende Frage zum Lehrstoff stellen.

 

Wo könnte das Bildungssystem denn aus deinen Augen verbessert werden?

Es gibt einige Möglichkeiten, um Hochbegabte zu fördern, wie etwa das Überspringen einer Klasse oder das Vorziehen der Matura. Gleichzeitig habe ich aber das Gefühl, als Hochbegabter oft bestraft zu werden. Das zeigt sich in Kleinigkeiten, wie beispielsweise dem altersgebundenen Kulturbonus. Meine Schulkollegen erhalten jetzt in der fünften Klasse 500 Euro, weil sie im Jahr 2003 und nicht wie ich 2004 geboren wurden. Ein anderes Beispiel ist die Teilnahme an schulischen Olympiaden oder Lesekreisen, wo man erst mitmachen darf, wenn man in die dritte Klasse geht. Zudem wissen viele Lehrkräfte nicht weiter, wenn wir ihnen eine weiterführende Frage zum Lehrstoff stellen. Da höre ich oft, dass es Stoff von der nächsten Klasse ist und das Thema ist für sie abgehakt. Das System ist also so aufgestellt, dass du dich nicht darin bewegen kannst.

Wie kam es dazu, dass du eine Schulstufe übersprungen hast?

Ich langweilte mich sehr in der Grundschule. Am Elternsprechtag sagten die Lehrer zu meinen Eltern, dass ich nicht wirklich beim Unterricht mitmache, obwohl ich viel weiß. Als ich dann acht Jahre alt war, entschieden meine Eltern, mit mir einen IQ-Test in München zu machen. Das Ergebnis zeigte, dass ich mit 136 Punkten hochbegabt bin. Darauf entschied ich, von der vierten Klasse eine Schulstufe zu überspringen und die erste Klasse der Mittelschule zu besuchen.

Und wie bist du auf die Idee gekommen, neben der Schule zu studieren?

Nach meinem Schulwechsel vom Realgymnasium Peter Anich ins Lyzeum Walther von der Vogelweide hatte ich im vierten Schuljahr leider wegen Griechisch nicht in jedem Fach mindestens eine Acht. Deswegen konnte ich nicht die Matura vorziehen. Um meine Langeweile zu überbrücken, fing ich im Sommersemester letzten Jahres an, an der Uni Innsbruck als außerordentlicher Student Mathematik zu studieren. Damit kann ich Prüfungen machen, die ich mir nach der Matura anrechnen lassen kann, wenn ich möchte.

Welche Fächer fallen dir am leichtesten?

Mathematik, Physik, Englisch und Philosophie;

 

In den ersten zehn oder elf Jahren meiner Schulkarriere lernte ich für kein einziges Fach.

 

Wie hoch ist dein Lernaufwand?

In den ersten zehn oder elf Jahren meiner Schulkarriere lernte ich für kein einziges Fach. Heute lerne ich für Griechisch, Italienisch und die Uni.

Wie kommst du mit all deinen Aufgaben zurecht und was machst du gerne in deiner Freizeit?

Also seit es das digitale Register in der Schule gibt, mache ich auch zuhause Hausaufgaben, weil ich sie dort hochladen muss (lacht). Davor erledigte ich meine Hausaufgaben in den Stundenwechseln und Pausen. Insgesamt habe ich aber noch immer viel Freizeit, in der ich Dinge mache, die andere als Hausaufgaben sehen wie zum Beispiel programmieren. Dabei beschäftige ich mich für ungefähr zwei Wochen mit einer bestimmten Sache sehr intensiv. Mein letztes Projekt war die Programmierung des Spiels „Risiko“. Die restliche Zeit lese oder schaue ich Nachrichten, spiele Computerspiele und schaue Filme oder Serien.

 

Ich bin tendenziell introvertiert, auch wenn ich halbwegs gut darin bin, es zu überspielen.

 

Und was ist mit Ausgehen, Sport oder Freunde treffen?

Ich bin tendenziell introvertiert, auch wenn ich halbwegs gut darin bin, es zu überspielen. Das heißt, ich gehe nicht aus, weil ich es nicht mag. Das hat auch damit zu tun, dass ich mit älteren Menschen tendenziell besser auskomme als mit Gleichaltrigen, weil ich mit älteren oft mehr gemeinsame Interessen habe.

Wie ist dein Verhältnis zu deinen Schulkollegen?

Mein Verhältnis zu meinen Mitschülern ist und war immer gut. Das ist sehr wichtig für mich, weil die Schule für mich wie ein Job ist. Wenn ich also von einem Lehrer in eine Gruppe eingeteilt werde, ist es wichtig, mich mit den Leuten aus der Gruppe zu verstehen.

Wirst du auch um Hilfe gefragt?

Ja, das passiert vor allem bei meinen stärksten Fächern. Die stressigste Zeit ist für mich der Tag vor dem Test. Da fragen sie mich dann Sachen, die sie in den Unterlagen nicht gefunden haben. Denn ich kann mich auch an Dinge erinnern, die die Professorin vor drei Monaten zu einem Thema gesagt hat.

Kommt es auch vor, dass du dich ausgenutzt fühlst?

Nein, denn es fühlt sich cool an, wenn ich Fragen beantworten kann. Solange ich in der Schule bin, ist das kein Problem für mich. Nach der Schule genieße ich aber meine Privatsphäre und bin nicht mehr so entgegenkommend.

Was würdest du als deine Charakterschwächen bezeichnen?

Ich bin perfektionistisch und faul. Letzteres hat dazu geführt, dass ich mehrere Vierer in Griechisch geschrieben hab.

 

Bild
Profil für Benutzer Martin Sitzmann
Martin Sitzmann Di., 29.03.2022 - 14:12

Ein Kompliment für dieses Interview!
Begabungs- und Begabtenförderung ist ein Stiefkind unseres Bildungssystems. Aus Sicht der Volkswirtschaft eine Todsünde und im Grunde gegen den Inklusionsgedanken.

Di., 29.03.2022 - 14:12 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Di., 29.03.2022 - 21:31

Alles in allem funktioniert Schule seit ca. 50 Jahren +- gleich (soweit ich persönlich das beurteilen kann). Damit hinkt das Schulsystem meilenweit der Gegenwart hinterher. Grund genug, Schule von politischer Seite her nur als Nebenjob zu leisten (und das hinauf bis nach Brüssel).

Di., 29.03.2022 - 21:31 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Birgit Walter
Birgit Walter Mi., 30.03.2022 - 22:50

Hallo Max!
Mir ging es in Deutschland auch so. Ich habe dann nach meinem Studium eine MINT-Bildungseinrichtung für Kinder und Jugendliche mit Hochbegabung, aber auch mit Sonderpädagogischem Förderbedarf gegründet, um den Schwächen unseres Schulsystems entgegenzuwirken. Wir arbeiten mit Mensa in Deutschland e.V zusammen, aber auch mit anderen Vereinen wie z.B. ADHS Deutschland e.V, denn Hochbegabung und AD(H)S liegen nah beieinander. Die Familien im Umkreis von 70 km nehmen unser Angebot gut an. Wir beraten auch, wenn es um Förderbedarf, Schulbegleitung oder Familiengruppen geht. Denn die Schulen separieren gern die Familien und verhindern den Austausch der Betroffenen. Viele Grüße aus Norddeutschland und weiterhin alles Gute auf Deinem Weg!

Mi., 30.03.2022 - 22:50 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Karin Postingel
Karin Postingel Do., 31.03.2022 - 01:43

Danke für diesen Artikel!
Schön, dies aus der Sicht eines Schülers zu lesen!
Kann das alles nur bestätigen.
„Schwache Schüler“, die halt andere Begabungen haben, mehr im Handwerklichen, Sozialem, werden ständig unter Druck gesetzt und „Gute Schüler“ leider eingebremst.
Hauptsache alle wie die Zinnsoldaten.
Jeder Mensch hat ein bestimmtes Talent, dies gehört frühzeitig gefördert und somit lernen, bzw. fühlen junge Menschen, für etwas zu „brennen“. Das würde dieser ganzen Desorientierung und „keine Ahnung, was ich einmal werden möchte“ vorbeugen. Ich freue mich auf ganz neue Schulsysteme, die hoffentlich kommen werden! Diesem jungen Mann sei dank, der die Stimme erhebt.
Alles Gute!

Do., 31.03.2022 - 01:43 Permalink