Gesellschaft | Altern

„Putzfrau stirbt früher als Politiker“

Laut einem Review der Uni Bozen hängt die Qualität unseres Alters nicht nur mit Ernährung, Luft und Genen zusammen, sondern auch mit unserem Bankkonto.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Barbara Plagg - Close
Foto: Jörg Oschmann

Die zwei Wissenschaftler*innen Barbara Plagg und Stefan Zerbe haben in ihrer Review „How does the environment affect human ageing? An interdisciplinary review“ bestehendes Wissen aus Medizin und Ökologie über einen interdisziplinären Ansatz zusammengeführt, um herauszufinden, wie die Umwelt unseren Alterungsprozess und Sterblichkeit beeinflusst.
Barbara Plagg, die an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen lehrt und am Institut für Allgemeinmedizin an der Claudiana als Wissenschaftlerin tätig ist erklärt im Interview, warum, statistisch gesehen, die Putzfrau früher stirbt als der Politiker, dessen Boden sie wischt, und fordert „Gesundheitsgerechtigkeit.“

unibzone: Frau Plagg, Sie haben gemeinsam mit ihrem Kollegen Stefan Zerbe erforscht, wie die Umwelt unser Altern beeinflusst. Übersetzt: Wie wir runzelfrei auf die 80 zusteuern?

Barbara Plagg: Nein, die gutartigen Veränderungen, die mit dem Alter einhergehen, wie weißes Haar oder oberflächliche Hautveränderungen, sind in unsere Arbeit nicht mit eingeflossen. Wir haben uns auf die chronischen, sogenannten altersassoziierten Erkrankungen konzentriert. Dazu zählen etwa Demenz, kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebserkrankungen aber auch Diabetes Typ 2, Bluthhochdruck, Osteoporose und Arthritis.

Welche Einflüsse spielen bei der Lebenserwartung und - qualität im Alter eine Rolle?

Die großen Unterschiede in der Lebenserwartung gehen nach der WHO nur zu 25% auf Gene zurück, der Rest geht auf die Interaktion mit unserer Umwelt zurück, der wir Zeit unseres Lebens ausgesetzt sind. Chronische Erkrankungen erwachsen zum Großteil — bis auf wenige autosomal-dominante Formen — aus einem heterogenen Mix aus Umweltfaktoren, Lebensstil und genetischer Prädisposition. Die Umwelt selbst hat viele Dimensionen, alle davon können potenziell modulierend auf unsere Gesundheit einwirken: die Qualität der Luft, des Klimas, des Wassers und der Erde haben einen direkten Einfluss auf die Gesundheit der Menschen.

Statistisch gesehen stirbt die Putzfrau acht Jahre früher als der Politiker, dessen Boden sie wischt.

Welche sozialen Umweltfaktoren beeinflusst die Gesunderhaltung der Menschen?

Dazu zählen zum Beispiel die Wohnsituation, urbaner Grünraum, soziale Kontakte, körperliche Aktivität, Arbeitssituation und Ernährung. Was mir wichtig ist zu unterstreichen: Im Umkehrschluss bedeutet die Tatsache, dass Umweltfaktoren Krankheiten begünstigen nicht, dass Erkrankte halt einfach „nicht gut genug“ auf sich aufgepasst hat: Zum einen obliegt die Qualität unserer Umwelt zum Großteil nicht in unserer individuellen Macht und zum anderen ist die additive Wirkung von Genen im Individualfall schwer abzuschätzen. Aber die gute Nachricht dennoch ist: Obwohl es nicht möglich ist, sich vollständig vor jeder Art von Erkrankung zu schützen, gibt es doch einige Maßnahmen, die uns helfen, möglichst lange ein gesundes Leben zu führen.

Sie haben Studien analysiert, in denen herauskam: Wie schnell wir altern hängt mit unserem Bankkonto zusammen. Woher kommt dieser „Alters-Gap“?

Statistisch gesehen stirbt die Putzfrau acht Jahre früher als der Politiker, dessen Boden sie wischt. Dem Mann aus der untersten Sozialschicht fehlen sogar ganze elf Jahre im Vergleich zu den Bestverdienenden am Stadtrand. Im Durchschnitt sind es also ganze 10 Jahre Leben, die die unterste Einkommensschicht von den obersten trennt und das hängt damit zusammen, dass alles, was ich vorhin aufgezählt habe - von Wohnsituation bis Ernährung - auch mit dem verfügbaren Einkommen zusammenhängt: Wir sind alle gezwungen, unseren Lebensstil unserer Lebensrealität anzupassen. Biologisches, gesundes Essen, ausreichend Bewegung, eine gesunde Wohnsituation - also nicht gerade die Wohnung neben der Hauptverkehrsader -, regelmäßiger Urlaub, adäquate Arbeitszeiten usw. das muss ich mir ja erstmal leisten können.

Wie kamen Sie zu diesem Thema bzw. warum ist das Thema Altern gerade in der heutigen Zeit wichtig?

Der demographische Wandel ist inzwischen allen ein Begriff. Alle wissen, dass die Bevölkerung immer älter wird und die Menschen insgesamt immer länger leben. Aber eben nicht alle leben gleich viel länger — und das ist eigentlich ein sozialmedizinischer Skandal, dem man dringend nachgehen muss.

Gesundheit ist ein basales Gut, das die Voraussetzung für viele andere Lebensvollzüge darstellt.

Was kann der Mensch nun tun, um gesund zu altern?

Wir haben in unserer Arbeit zusammengefasst, was man als Individuum und was die Gesellschaft tun kann. Ohne diese Frage, mit der man ganze Bücher füllen könnte, erschöpfend zu beantworten einige Hinweise: Was die Luft angeht, sollte man akute und langfristige Exposition gegenüber verschmutzter Luft vermeiden. Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert das Herz- und Atemwegssystem und wer öffentliche Verkehrsmittel, Fahrgemeinschaften, Fahrrad oder die eigenen Füße nutzt, tut der Luftqualität Gutes. Was das Klima angeht: Während Hitzewellen, die immer öfter kommen, gilt es, Türen und Fenster geschlossen zu halten, Jalousien und Vorhänge benutzen, ausreichend Wasser trinken, leichte Kleidung tragen. Damit man das Klima schützt, macht es präventiv Sinn, seinen eigenen CO2-Fußabdruck möglichst klein zu halten. Was das Wasser angeht: Verunreinigung des Wassers mit nicht abbaubaren Produkten, Medikamenten, chemischen Reinigern etc. sollten unbedingt vermieden werden. Für die Erde gilt dasselbe. Am besten ist natürlich, man kauft lokale und saisonale Lebensmittel.

Wie kann man hingegen seinen Lebensstil so ausrichten, dass er einem im Alter zugute kommt?

Die erholsame Wirkung von Grünflächen sollte regelmäßig genutzt werden, für Spaziergänge, soziale Interaktionen, Sport, Entspannung. Auch Mediterrane Ernährung und Kalorienrestriktion wirken sich positiv auf die Lebenserwartung aus, regelmäßige körperliche Aktivität verringert chronische Entzündungen und oxidativen Stress. Regelmäßige soziale Interaktion und gesellschaftliches Engagement verbessern das Wohlbefinden und erhalten die kognitiven Funktionen. Wer noch weitere Informationen vor allem zum Erhalt der kognitiven Funktionen haben möchte, kann sich gratis die Broschüre „Gedächtnsstörungen vorbeugen“, die dich vor einigen Jahren für die Alzheimer Südtirol zusammengestellt habe, besorgen.
 
Wo ist hingegen die Politik gefragt? Sie fordern „Gesundheitsgerechtigkeit“ – was ist damit gemeint?

Gesundheit ist ein basales Gut, das die Voraussetzung für viele andere Lebensvollzüge darstellt. Dieses Gut gerecht zu verteilen, bedeutet dass alle Menschen unabhängig von ihrem sozialen Status, ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrem Geschlecht etc. dieselben Möglichkeiten auf ein gesundes Leben haben und eben nicht früher sterben, weil sie schwerere Jobs in Tag- und Nachtschichten verrichten, in ärmere Familien geboren werden oder ihnen zentrale Gesundheitsinformationen und -kompetenzen fehlen. Vieles obliegt dabei nicht dem einzelnen Konsumenten, z.B. beim Klimaschutz sind etwa deutlich restriktivere Regulierungen vonseiten des Staates bei den großen CO2-Verursacher*innen gefragt. Da kann ich als Einzelne*r noch so bewusst und reduziert konsumieren, wenn die großen Verschmutzer weiterhin allein an einem Tag so viel produzieren, wie ich mein ganzes Leben lang nicht schaffen werde. Aber auch in den anderen Bereichen der Public Health, etwa in Gesundheitserziehung, Produktion gesunder Ernährung, Landschaftserhalt, gesunde und grüne Stadtgestaltung und strikte Reduktion der Feinstaubbelastung, gesunde Mobilitätspolitik muss noch sehr viel mehr investiert werden. Das gilt auch für Südtirol.

 

In Ihrer Arbeit haben Sie Kenntnisse der Medizin mit ökologischem Wissen verbunden. Warum ist „interdisziplinäre“ Forschung wichtig?

Gesundheit ist ein komplexes, heterogenes und disziplinenübergreifendes Thema. Unser Gesundheitssystem wird in der Regel zum Großteil erst in der Sekundärprävention aktiv, also wenn der Patient – nach der Metapher von Antonovsky – bereits in den „Fluss gefallen“ ist und mit einem sich manifestierendem Problem zum Arzt geht. Damit man aber bereits präventiv den Menschen ein gesundes Leben ermöglicht müssen zahlreiche Disziplinen zusammenspielen, etwa die (Städte)architektur, die Pädagogik, die Ernährungswissenschaft, die Ökonomie, die Ökologie, die Sozialwissenschaft, die Ethik etc. Gesundheit ist ein individuelles Gut, eine gesellschaftliche Verantwortung und eine große Herausforderung — und die können wir nur gemeinsam und disziplinenübergreifend stemmen.

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Gianguido Piani Sa., 31.07.2021 - 10:28

Die Thesen der Autoren sind richtig, das Problem ist die praktische Umsetzung. Eine Stadtplanung mir mehr Grün als Parkplätze ist leider kaum zu vermitteln.
Wie wäre es mit einem Streitgespräch zwischen Frau Plagg, Herrn Zerbe und den Bürgermeister-Kandidaten für Meran zum Beispiel? Versprechen, Zukunftsvisionen, praktische Realisierbarkeit und Stimmensuche. Ich wäre gerne unter den Zuschauern mit dabei)))

Sa., 31.07.2021 - 10:28 Permalink
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Peter Gasser Sa., 31.07.2021 - 12:53

oben steht: “Frau Plagg und Herr Zerbe stellen sich als Kandidaten zur Wahl, dann können sie zeigen wie die Erkenntnisse aus der Forschung umgesetzt werden sollen”:
Frau Plagg und Herr Zerbe sind Forscher und stellen die Ergebnisse ihrer Arbeit dar.
Können Sie schlüssig erklären, warum nun Ihrer Meinung nach Forscher auch die Arbeit der Politik mit übernehmen sollen?

Sa., 31.07.2021 - 12:53 Permalink
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Gianguido Piani Sa., 31.07.2021 - 13:32

Antwort auf von Peter Gasser

Frau Plagg und Herr Zerbe dürfen ruhig beides tun, wenn sie dazu Lust haben. Zumindest theoretisch unterstützen heute alle Parteien grüne Themen, eine passende Liste zu finden wäre kein Problem. Ohne diese persönlich zu kennen, haben jedoch Forscher i.d.R. größere Probleme, von einem breiten Publikum verstanden zu werden. Politiker wenden sich dagegen "professionell" an die Bevölkerung an. Beide Ansätze, und beide Persönlichkeitsarten, sind notwendig. Im Idealfall wählt Meran einen entschlossenen Bürgermeister oder eine entschlossene Bürgermeisterin, der/die sich den Rat von unter anderem Frau Plagg und Herrn Zerbe holt. Dann wird's mit dem Parken schwierig)))

Sa., 31.07.2021 - 13:32 Permalink