Politik | Bozen

Parcours der Sachlichkeit

Auf einer Stadtrundfahrt mit vier thematischen Stationen hat Renzo Caramaschi sein Programm und seine Liste vorgestellt. Mit dem amtierenden Bürgermeister on Tour.
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Foto: @salto.bz
Kurz vor der letzten Station lässt Renzo Caramaschi die Katze aus dem Sack. „Ach, was ich vergessen habe“, sagt der Bozner Bürgermeister todernst, „ich bekommen von jedem von euch 5 Euro für die Fahrt“. Nach einer kurzen Schrecksekunde bricht im Kleinbus Gelächter aus. Die Journalisten tun sich immer noch etwas schwer mit dem trockenen Humor des amtierenden Bürgermeisters.
Dabei ist Renzo Caramaschi eigentlich ein ernster Mensch. „Es ist diesmal alles anders wie vor fünf Jahren, viel schwieriger“, sagt er an diesem Vormittag im persönlichen Gespräch nachdenklich. Man merkt dem ersten Bürger der Landeshauptstadt an, dass er sichtlich besorgt ist. Sein Herausforderer Roberto Zanin und dessen Rechtskoalition legen einen Wahlkampf hin, der dem Feuerwerk eines modernen Tupperware-Verkäufers ähnelt. Viel Rhetorik, professioneller Auftritt, wenig Inhalt, aber Hausbesuche überall, wo es nur geht. Dazu gesellt sich die Bozner SVP, deren politischer Wankelmut in diesem Herbst so ausgeprägt ist, wie schon lange nicht mehr. Unterm Edelweiß gibt es eine einflussreiche Fraktion, die unbedingt Zanin als Bürgermeister will.
Renzo Caramaschi weiß, dass er diesmal um sein Amt kämpfen muss. Und er tut das auf seine Art. Der italienische Politiker, der bei den letzten Gemeinderatswahlen viermal so viele Vorzugstimmen schaffte, wie der amtierende italienische Landeshauptmannstellvertreter bei den Landtagswahlen, glaubt an die Kraft des politischen Inhalts, der konkreten Projekte und der machbaren Visionen.
Das wird an diesem Freitagvormittag deutlich.
 

Die Tour

 
Für die offizielle Vorstellung seiner Liste und seiner Bürgermeisterkandidatur hat sich Caramaschi eine Stadtrundfahrt einfallen lassen. An vier ausgewählten Punkten werden die vier programmatischen Schwerpunkte der Bürgermeisterpartei vorgestellt. An jeder der vier Stationen präsentieren sich gleichzeitig mehrere Kandidatinnen und Kandidaten der Liste.
Es ist nicht nur eine gelungene Idee, sondern auch eine durchaus wohltuende Veranstaltung in diesem Wahlkampf. Denn das Ganze kommt so handgemacht, so unaufgeregt und geerdet daher, dass einem schnell klar wird, dass man es hier nicht mit einer abgehobenen Politikerklasse zu tun hat, sondern mit normalen Menschen aus der Zivilgesellschaft.
 
 
Da ist der ehemalige Iveco-Manager und Listenführer Pietro Borgo, der den Kleinbus mit den Journalisten und dem Bürgermeister durch den unmöglichen freitaglichen Stadtverkehr lenkt. Da ist der ehemalige Bozner Stadtrat und Ex-Vizepräsident des Wohnbauinstitutes Primo Schönsberg, der mit dem Rad von einer Station zur nächsten fährt. Und da ist Ubaldo Bacchiega, dessen Einsatz für Menschen mit Beeinträchtigungen eine Glaubwürdigkeit besitzt, von der die meisten Politiker nur träumen können.
Hier wird auf Sein und nicht auf Schein gesetzt.
 

1. Markas Turm, Schlachthofstraße

 
Der Start der Tour erfolgt am neuen Firmensitz des Multiunternehmens Markas in der Bozner Schlachthofstraße. Das moderne exquisite Ambiente und das aufgebaute Buffet lassen anfänglich befürchten, dass es sich um eine der typischen Wahlkampfveranstaltungen handelt, die vor allem der journalistischen Einlullung dienen.
Im großen Konferenzsaal im vierten Stock wird der Sinn der Location dann aber schnell klar. Renzo Caramaschi redet über die „wirtschaftliche Entwicklung“. Er lenkt den Blick der Zuhörer dabei auf das riesige Bahnhofsareal, das man von hier perfekt überblicken kann. „Es geht hier um die Zukunft der Stadt“, sagt Renzo Caramaschi und erklärt dann in drei Minuten des Milliarden-Projekt. Es sollen 1.500 Wohnungen entstehen, 500 davon baut das Land, in der Remise ein Jugendzentrum und eine Konzerthalle, wobei das Gebäude erhalten bleibt. Ebenso soll ein überdachtes Schwimmbad mit einem 50 Meter Becken entstehen. Das Innenministerium wird auf dem Gelände die neue Quästur bauen. Zudem soll einer der modernsten Bahnhöfe Europas entstehen. „Land und Gemeinde haben gut zehn Jahre an diesem Jahrhundertprojekt gearbeitet, jetzt muss es in die Umsetzungsphase gehen“, sprüht Caramaschi vollen Tatendrang. Da steht kein Siebzigjähriger, der sich nur mehr auf die Rente freut.
 
 
Wenn man hier von privater Spekulation spricht, könne er nur mehr lachen. „Natürlich ist ein Projekt in dem es um eine Milliarde Euro gehe, immer ein Risiko“, sagt er offen. Gleichzeitig gehe es aber nur mit einem klaren Ansprechpartner. Es brauche einen Träger des Projekts, darunter können sich Dutzende einheimische und auswärtige Unternehmen und Finanziers zusammenschließen. Die öffentliche Hand brauche aber einen klaren Partner, der alle Partikularinteressen bündelt.
Renzo Caramaschi ist überzeugt, dass die internationale Ausschreibung für das Projekt im Frühjahr 2021 startet.
 

2. Sozialgenossenschaft CLA, Galileo-Galileistaße

 
Der Kontrast könnte kaum größer sein. Die zweite Station ist eine der ältesten Sozialgenossenschaften Südtirols. Die „Coopertiva Lavoratori Associati“ (CLA) wurde 1976 gegründet und arbeitet seitdem in der Arbeitseingliederung von Menschen mit Behinderungen und mit sozialen Härtefällen. Die Genossenschaft stellt Werbegadgets, Papierwaren und Drucke her.
Als der Bürgermeister und Pressetross eintrifft, sitzen gut ein Dutzend Menschen gerade bei der Arbeit.  „Die wirtschaftliche Entwicklung kann und muss mit sozialer Solidarität einhergehen“, beschreibt Caramaschi sein Credo.
 
 
Es geht an diesem Ort um die Themen „Soziales, Kultur und Sport“. Der Bürgermeister verweist dabei auch auf das Projekt „Stadt der Erinnerung“ und dass die Gedenkstädte am ehemaligen Bozner Durchgangslager weit mehr sei als nur eine Mauer. Dann folgt der einzige Pfeil in Richtung seiner Herausforderer an diesem Vormittag: Caramaschi: „Die Stadt beginnt sich in eine Richtung zu orientieren, die die Negation dieser Werte sind.“
Die Stadt beginnt sich in eine Richtung zu orientieren, die die Negation dieser Werte sind.
Es ist Satz, der eigentlich schon einem Wahlprogramm gleichkommt.
 

3. Kreuzung Grandi/Avogardrostraße

 
Was eignet sich besser als eine Straßenkreuzung um über das Thema „Verkehr“ zu reden?
Es ist aber nicht irgendeine Kreuzung die Caramaschi & Co als dritte Station ihrer Stadtrundfahrt gewählt haben, sondern der Ort an dem ein ambitioniertes Verkehrsprojekt entstehen soll.
An diesem Punkt in der Bozner Industriezone soll die Einfahrt einer Unterführung gebaut werden, die unter der Romstraße durchgeht und kurz vor dem Virgltunnel wieder auf die Eisackuferstraße führt. Über die bereits bestehenden Zubringerstraßen soll der Verkehr der Staatstraße aus Leifers oder von der Messe her kommend hier durchlaufen. Dadurch würde die Galileo-Galileistraße deutlich entlastet.
 
 
Neben diesem neuen Tunnel setzt Renzo Caramaschi auf den Hörtenbergtunnel und die neue Unter- bzw. Überführung in der Bozner Einsteinstraße. „Wir reden hier nicht von einem Wunschliste“, präzisiert der Bozner Bürgermeister, „sondern von drei Projekten, die vom Land und der Gemeinde bereits finanziert sind und die in den nächsten Jahren auch gebaut werden“.
 

4. Bahnhofspark

 
Vor dem sogenannten Froschbrunnen zwischen Park und Bahnhof liegt die vierte und letzte Station dieser Stadtrundfahrt. An diesem neuralgischen Punkt geht es um das Thema „Sicherheit“. Es ist jenes Thema, das Renzo Caramaschi im wahrsten Sinne des Wortes aufgedrängt wurde. Es sind seine politischen Gegner, die dieses Thema ganz bewusst im Wahlkampf reiten. Unterstützt durch mächtige Medien, die aus jeder handgreiflichen Auseinandersetzung ein Blutbad und die Bedrohung des Abendlandes machen.
Es ist das erste Mal an diesem Vormittag an dem Renzo Caramaschi nicht in seinem Element ist. Das spürt man. Er rattert das herunter, was seine Regierung gemacht hat. „Es gibt 144 Kameras in Bozen und auch wir werden jetzt von mehreren überwacht“, sagt er. Es folgen Zahlen und Daten über Polizeiaktionen und Abschiebungen und die Ausstattung der Stadtpolizei mit modernsten Bodycams.
 
 
„Laut einem Bericht des Innenministeriums hat Bozen in Sachen Sicherheit in der Liste der italienischen Städte in den vergangenen drei Jahren 19 Positionen gut gemacht“, sagt der amtierende Bürgermeister dabei. Er redet damit gegen die Sirenengesänge an, die tagtäglich von der völligen Verwahrlosung der Stadt berichten.
Ob das etwas nützt?
Renzo Caramaschi hat persönlich Journalistinnen und Journalisten auf diese Rundfahrt eingeladen. Auffallend war, dass zwei Medien, die sonst eigentlich bei jeder Garteneinweihung anwesend sind, an diesem Tag mit Abwesenheit glänzten.
RAI Südtirol und die Tageszeitung Dolomiten.
Nur Zufall?
 
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Evi Keifl Sa., 29.08.2020 - 17:00

Also bitte, was soll an so einer Tour begeistern? Wo gibt es an ihr auch nur symbolisch und ansatzweise einen Hinweis darauf, dass dieser BM-Kandidat die Zeichen der Zeit erkannt hat? Mit einem Diesel durch die Stadt? Ein Loblied darauf, dass Spekulanten den Bahnhof überbauen? Der Besuch einer Behindertenwerkstatt nachdem die Leute wochenlang zu ihren Familien gesperrt worden waren? Als Lösung der Mobilitätsfrage Tunnels und Unterführungen (für Autos, logisch)? Und für die städtische Sicherheit Überwachungskameras und Bodycams? Wenn das die Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft sind, na Servus! Armer alter Mann, er hat´s einfach nimmer her. Aber wie abgehalftert sind die Bozner Mitte-Links-Parteien, die keinen zukunftsfähigen Kandidaten aufdertreiben und schon gar keine KandidatIN! Wie üblich wird´s die wenigen in Politik und Wirtschaft, die von einem schwachen Bürgermeister profitieren, freuen. Die vielen Boznerinnen und Bozner aber, die ein Recht auf eine zukunftsfähige Stadt haben, müssen´s büßen.

Sa., 29.08.2020 - 17:00 Permalink