Umwelt | Gastbeitrag

Marokkanische Wende

Ab 7. November findet in Marrakesch die 22. Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Dabei kann sich auch das Gastgeberland als Vorreiter einer Energiewende zeigen.
centrale-solare-marocco.jpg
Foto: Weltbank

Mit rund 30.000 erwarteten Besuchern sowie einer Umsatzzahl von umgerechnet 46,5 Millionen Euro wird die Klimakonferenz nach der Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1994 das größte jemals durchgeführte Event in Marokko sein. Schauplatz ist Marrakesch, die ockerfarbene Stadt, in der vor zwei Jahren bereits die internationale Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen stattfand. In den Wochen davor laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Marrakesch wird auf Hochglanz herausgeputzt und die Renovierung des Flughafens sollte bis dahin abgeschlossen sein.

Im Bereich Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien hat Marokko eine internationale Führungsrolle eingenommen. Besiegelt wurde diese Anfang Februar dieses Jahres, mit der  Eröffnungsfeier für das Solarkraftwerk „Noor I“ in Quarzazate durch König Mohamed VI. Derzeit ist Noor I eine der größten Solarkraftanlagen der Welt. Auf einer Fläche von 650 Fußballfeldern sind dort 537.000 Spiegel in den Himmel gerichtet. Noor II und Noor III, deren Fertigstellung für 2018 und 2019 geplant ist, sollen die gleiche Leistung erbringen. Weil der Stromverbrauch in Marokko jährlich um mehr als sechs Prozent steigt, das Land aber mangels eines einzigen Tropfens fossiler Ressourcen 95 Prozent seines Energiebedarfs importieren muss, sollen Wind- und Solarenergie sowie Wasserkraft jeweils 2000 Megawatt der Stromleistung bringen. Laut Berechnungen wird der Kraftwerkskomplex Noor I bis III umweltfreundlich und sauber Energie für 1,3 Millionen Menschen erzeugen.  Dabei wird zugleich ein Ausstoß von 800.000 Tonnen CO2 vermieden. Der Anteil an erneuerbaren Energien soll dann bei 42 % liegen, bis 2030 sogar bei 52 Prozent. Ein Großteil der Technik für das afrikanische Vorzeigeprojekt kommt aus Deutschland. Das neue Kraftwerk befindet sich nahe der Stadt Ouarzazate, die wegen ihrer malerischen Kulisse auch als Drehort zu Ruhm gekommen ist. Dort wurden beispielsweise Filme wie „Die Päpstin“, „Der Medicus“ oder „Gladiator“ produziert. Mit dem weltgrößten Solarthermiekraftwerk ist die Wüstenstadt am Rande des Hohen Atlas nun um eine Attraktion reicher.

Plastiktüten-Verbot und nachhaltiger Tourismus

Neben diesen Großprojekten gibt es aber auch noch andere Bereiche, bei denen Marokko ökologisch und politisch mit gutem Beispiel vorangeht. So hat die marokkanische Regierung seit 1. Juli Produktion und Benutzung von Plastiktüten verboten. Märkte und Läden sollen stattdessen auf alternative Materialien zurückgreifen, etwa Papiertüten und Stoffbeutel. Zu ihrer "Mika", wie die Plastiktüte im lokalen arabischen Dialekt genannt wird, hatten die Marokkaner ein inniges Verhältnis:  rund 26 Milliarden Plastiktüten jährlich wurden nach Angaben der Regierung bisher verbraucht. Bei 34 Millionen Einwohnern sind das im Durchschnitt 900 Plastiktragetaschen pro Kopf.

Ferner wurde 2016 eine neue Charta für nachhaltigen Tourismus verkündet. Damit diese Charta nicht sogleich als Etikette abgetan wird, folgte unmittelbar darauf ein Investitionsprogramm von 500 Mio. Euro. Tourismusprojekte müssen demnach nicht nur umweltfreundlich gestaltet und mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verknüpft sein, sie sollen zudem der betroffenen Bevölkerung nützen und der regionalen Entwicklung zugutekommen.

Der engagierte und couragierte Aufbruch Marokkos im Bereich der erneuerbaren Energien ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch und nicht zuletzt politisch beachtlich. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für alle drei Aspekte ist dabei nicht zuletzt die Integration der Umweltbelange in die neue Verfassung von 2011. In Artikel 19, dem ersten in der Gruppe der Grund- und Freiheitsrechte, wird in der Auflistung der Rechte und Freiheiten, die Männer und Frauen in gleicher Weise genießen dürfen, nunmehr auch die „Umwelt“ genannt. Ferner erhielt der frühere „Conseil Économique et Sociale“ neue verfassungsmäßig verankerte Kompetenzen in allen drei Bereichen. So stellt die Verfassung den Grundstein für den Zusammenhalt des Königreiches dar, da sie eine Balance zwischen den sozio-ökonomischen Erfordernissen und dem Schutz der Umwelt verlangt.

Handfeste wirtschaftliche Interessen

Trotz der Attraktivität dieses neuen ökologischen Ansatzes darf jedoch nicht vergessen werden, dass es primär um handfeste wirtschaftliche Interessen geht. Marokko ist traditionell – und in entlegenen Gebieten bis heute –  ein Land, das zu einem großen Teil von der Landwirtschaft lebt, dessen Lebensstandard von den jährlichen Regenfällen abhängig war. Heute ist die Wirtschaft von drei industriellen Produktionszweigen geprägt: der  französischen Automobilindustrie, der Zulieferung für die internationale Luftfahrtindustrie und der Phosphatverwertung. Alle drei Wirtschaftszweige stellen hohe Anforderungen an die Energieversorgung und -sicherheit. In der Vergangenheit verlangte dies den Einkauf fossiler Energien zu marktabhängigen Preisen verbunden mit einer großen Abhängigkeit. Gleichzeitig steigt zum einen der Energiebedarf kontinuierlich an; zum anderen bedarf das Elektrifizierungsprogramm für die ländlichen Regionen dringend einer Weiterentwicklung, da das Stadt-Land-Gefälle eines der größten Entwicklungshemmnisse des Landes darstellt. Die  hochmoderne Entwicklung einer neuen, nachhaltigen Energiepolitik bringt auch strategische Vorteile mit sich. Zum einen vermeidet sie eine Isolierung des Landes in Fragen der Energieversorgung, zum anderen schafft sie durch ambitionierte Modelle von „Public-Private-Partnerships“ eine optimale Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit der Privatwirtschaft.

Ohne Zweifel wird am Klimagipfel im November in Marrakesch die Vorreiterrolle Marokkos umfassend und unübersehbar dargestellt werden. Aber trotz aller positiven Perspektiven dürfen fortbestehende Probleme und Widersprüche nicht ausgeblendet werden. Einerseits ist Marokko ein Musterknabe im Kampf gegen den Klimawandel. Bereits auf der COP 21 in Paris war Marokko das erste arabische Land, das sich durch zahlreiche Projekte einer Dekarbonisierung seiner Wirtschaft präsentieren konnte. Andererseits fehlen Wiederaufbereitungsanlagen für Schmutzwasser sowie Möglichkeiten, die sich auftürmenden Müllberge am Rande der Großstädte zu recyceln; kilometerlange Küstenabschnitte ersticken teilweise in angeschwemmten Plastikmüll, Oasen werden zubetoniert und kostbares Wasser wird verbraucht, um Luxusgolfplätze für Touristen zu bewässern. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass sich die Ballungszentren immer weiter verdichten, da zunehmend mehr Klimaflüchtlinge, häufig ehemalige Landwirte aus der Provinz und Migrant/innen aus den Nachbarländern, in die Stadt drängen. Dabei gibt es kaum eine Region auf der Welt, für die Klimaforscher dermaßen üble Prognosen prognostizieren wie für Nordafrika. Die marokkanische Führungselite kennt diese Prognosen für die Region genau und bereitet sich darauf vor. Und das funktioniert gut. Auch weil sich Marokko von anderen arabischen Staaten emanzipiert hat. Doch die Politik muss die Bevölkerung von dieser neuen Aufgabe überzeugen, muss vor allem der Landbevölkerung Zugang zu Bildung und Gesundheits- und Sanitätsdiensten verschaffen und die Rechte der Frauen weiterhin stärken. Grundlegende Schritte sind getan, aber es gibt noch viel zu tun.