Politik | Eigenverwaltung

Erzwungener Rücktritt

Seit Jahrzehnten werden Unvereinbarkeiten in den Fraktionsverwaltungen stillschweigend geduldet. Jetzt hat ein Pfalzner Unternehmer einen Präzedenzfall ausjudiziert.
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Foto: Suedtirolfoto.com/Udo Bernhart
Martin Hitthaler will sich nicht nachsagen lassen, dass er sich am Unglück anderer auch noch bereichere. „Ich werde das Geld den Pfalzner Vereinen spenden“, sagt der Pfalzner Unternehmer zu Salto.bz.
Martin Hitthaler hat vor dem Bozner Landesgericht gerade einen Doppelsieg eingefahren. Der Pusterer Unternehmer und Besitzer einer bekannten Ladenkette hat in seiner Heimatgemeinde Pfalzen eine Grundsatzfrage aufgeworfen und sie auch ausjudiziert. Hitthaler dürfte dabei in ein Wespennest gestochen haben. Herausgekommen ist ein Präzedenzfall, der auf ganz Südtirol weit größere Auswirkungen haben könnte, als vielen lieb ist.
Vor allem dann, wenn das Pfalzner Beispiel Schule macht.
 

Die Eigenverwaltungen

 
Es geht um die „Eigenverwaltung bürgerlicher Nutzungsrechte“. Dabei handelt es sich um eine öffentliche Körperschaft, deren Entstehung bis ins Mittelalter zurückreicht. In Südtirol gibt fast in jeder Gemeinde Eigenverwaltungen bürgerlicher Nutzungsrechte. Insgesamt existieren 182 solcher Körperschaften im Land.
Bei den Gütern mit bürgerlichen Nutzungsrechten im Eigentum der Eigenverwaltung handelt es sich zumeist um Wälder, Weiden und Almen. Der Hintergrund: Die in der Gemeinde oder Ortschaft ansässigen Bürger können die Gemeinnutzungsrechte ausüben. Dabei handelt es sich zumeist um Weide- oder Holzbezugsrechte. Dafür wird eine eigene Verwaltung, auch „Fraktionsverwaltung“. eingesetzt.
Dass diese Institutionen kaum bekannt sind, liegt auch daran, dass in vielen Gemeinden die Eigenverwaltung deckungsgleich mit dem Gemeindeausschuss ist. Rein formell aber sind die Eigenverwaltungen auch dann autonome eigenständige Körperschaften. Mit eigenem Haushalt und einem eigenen Leitungsausschuss.
Dass es sich dabei nicht um einen Kaninchenzüchterverein handelt, wird klar, wenn man sich die Finanzgebarungen dieser Eigenverwaltungen anschaut. Sie verfügen oft über mehr Mittel als eine Südtiroler Kleingemeinde.
Weil diese Verwaltungen aber kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen und beleuchtet werden, hat sich in Südtirol - trotz Aufsichtsbehörde Land - seit Jahrzehnten ein Schlendrian eingebürgert. Im Klartext: In diesem Schattenreich tut man, sehr oft, was man will.
Das wird auch am Fall Pfalzen mehr als deutlich.
 

Der Fall Pfalzen

 
Im Frühjahr 2017 erlässt der Pfalzner Bürgermeister Josef Gatterer einen öffentlichen Aufruf für die Neuwahlen der bürgerlichen Eigenverwaltung Fraktion Pfalzen. Der Eigenverwaltung unterstehen nicht nur ausgedehnte Wald- und Wiesenbestände, sondern auch eine Schlachthalle, die seit Jahren an einen Metzger verpachtet ist.
 
Am 26. März 2017 finden die Neuwahlen des fünfköpfigen Verwaltungskomitees der Eigenverwaltung statt. Es werden Walter Nöckler, Markus Pescollderungg, Georg Dorigo, Anton Althuber und Martin Hitthaler gewählt.
Allein das Geschlechterverhältnis macht deutlich, dass diese Eigenverwaltungen in Südtirol ein ganz eigenes Biotop sind. Als öffentliche Körperschaften unterliegen auch die Eigenverwaltungen dem Gleichstellungsgesetz des Landes. Dieses Gesetz schreibt eine „ausgewogenes Geschlechterverhältnis“ im Führungsausschuss vor. Was bedeuten würde: Dass mindestens ein Mitglied weiblich sein muss. Doch darum schert man sich nicht nur in Pfalzen.
Und wo kein Kläger auch kein Richter.
 

Die Unvereinbarkeit

 


Einen Kläger gibt es in Pfalzen aber in einer anderen Sache.
Für die Eigenverwaltungen gelten auch jene gesetzlichen Unwählbarkeiten und Unvereinbarkeiten, die etwa für die Gemeindeausschüsse gelten. Laut dem geltenden Regionalgesetz, darf jemand das Amt des Ausschussmitgliedes nicht bekleiden:
 
  • „wer als Inhaber, Verwalter, Bediensteter mit Vertretungsbefugnissen mittelbar oder unmittelbar an Diensten, Eintreibung von Gebühren, Abgaben oder Werkverträgen im Interesse der Gemeinde, wenn der Wert im Jahr den Bruttobetrag von 500 Millionen Lire übersteigt, oder an Gesellschaften und Unternehmen beteiligt ist, die zum Nutzen von Privaten ausgerichtet sind und dauernd von der Gemeinde unterstützt werden, wenn die Unterstützungen im Jahr den Bruttobetrag von 500 Millionen Lire übersteigen und nicht kraft Gesetzes zu entrichten sind;
  • der das Amt eines Präsidenten oder eines Mitgliedes des Verwaltungsrates einer Genossenschaft oder eines Genossenschaftskonsortiums innehat, die bzw. das den Schatzamts- oder den Steuereinhebungsdienst im Auftrag der Gemeinde unmittelbar führt.“
 
Es sind zwei Bestimmungen, die man - nicht nur in Pfalzen - seit Jahrzehnten einfach nicht beachtet.
 

Die Wahl

 
Denn im Verwaltungskomitee der Eigenverwaltung der bürgerlichen Nutzungsrechte der Fraktion Pfalzen sitzen gleich zwei Mitglieder auf die diese Unwählbarkeit und Unvereinbarkeit zutrifft.
Walter Nöckler und Markus Pescollderungg sind seit langem Mitglieder im Verwaltungsrat der Raiffeisenkasse Bruneck. Nöckler ist dort sogar Vorsitzender des Vollzugsausschusses.
Im Statut der Pfalzner Eigenverwaltung steht, dass für alle Zahlungen und Einnahmen der Schatzamtsdienst der Gemeinde zuständig ist. Diesen Schatzamtsdienst führt vom 1. Jänner 2017 bis zum 31. Dezember 2021 für die Gemeinde Pfalzen die Raiffeisenkasse Bruneck durch. Damit wird mehr als augenscheinlich, dass sowohl Nöckler wie Pescollgerungg für die Fraktionsverwaltung unwählbar bzw. unvereinbar sind.
Doch darum schert man sich in Pfalzen einfach nicht. Martin Hitthaler, Johann Berger und Johann Althuber machen am 4. April 2017 bei Bürgermeister Josef Gatterer eine Eingabe, in der sie auf diese Unvereinbarkeiten hinweisen. Als man am 20. April 2017 auf der konstituierenden Sitzung der Eigenverwaltung aber zur Vorstandswahl schreitet, tun alle so, wie wenn nichts wäre.
Obwohl Hitthaler und Althuber auf der Sitzung nochmals auf die gesetzlichen Bestimmungen hinweisen, erklären alle Mitglieder schriftlich keine Unwählbarkeiten oder Unvereinbarkeiten zu haben. Walter Nöckler wird anschließend sogar mit 3 zu 2 Stimmen zum Präsidenten der Eigenverwaltung gewählt.
Gesetz hin oder her.
 

Der Rücktritt

 
Martin Hitthaler will sich diesen Affront nicht gefallen lassen. Er reicht am 30. Mai 2017 vor dem Landesgericht Klage ein. Zur Feststellung von Unvereinbarkeiten oder Unwählbarkeiten in öffentlichen Körperschaften ist das ordentliche Gericht zuständig. Der Ansinnen der Klage: Das Landesgericht möge den Mandatsverfall von Walter Nöckler und Markus Pescollderungg verfügen.
Doch dazu kommt es nicht. Die Eigenverwaltung lässt sich in das Verfahren erst gar nicht ein. Es ist zu augenscheinlich, dass man im Unrecht ist. Am 31. Juli 2017 treten Nöckler und Pescollderungg aus der Fraktionsverwaltung zurück. Damit fällt der Streitgegenstand im Gerichtsverfahren weg.
Weil aber auch das Gericht zum Schluss kommt, dass das geltenden Regionalgesetz mehr als deutlich gebrochen wurde, verurteilt Richter Thomas Weissteiner am 19. Oktober 2017 Walter Nöckler und Markus Pescollderungg zur Bezahlung aller Verfahrenskosten. Für Kläger Martin Hitthaler wird 4.150,50 Euro liquidiert.
Es ist weit mehr als sein Anwalt kostet. Den Großteil der Summe will der Kläger deshalb spenden.
Die Frage ist jetzt aber: Was passiert, wenn sich jemand die anderen 181 Südtiroler Eigenverwaltungen genauer anschaut?