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Piccola Roma

Eine Ausstellung im "aut" in Innsbruck zeigt eines der größten intakten Architekturensembles der klassischen Moderne. Ein Blick nach Asmara. Von Bozen aus über Innsbruck.
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Foto: aut

Der modernen Stadtvision des Faschismus entsprechend wurden in Asmara zahlreiche Bauten zwischen 1935 und 1941 als Regierungssitz der italienischen Kolonialherrschaft errichtet und 2017 von der UNESCO offiziell in die Welterbeliste aufgenommen. Das Erbe umfasst, neben rund 400 Bauten im Stadtzentrum, auch zwei ursprünglich gewachsene Stadtviertel der indigenen Bevölkerung, die in die Stadtplanungen der Kolonialzeit integriert wurden. In der Ausstellung: asmara – the sleeping beauty wurde vergangen Woche im Architekturturm aut in Innsbruck eröffnet. Die von Stefan Graf und Peter Volgger kuratierte Ausstellung, zeigt mittels Architekturmodellen, Plänen, Fotobüchern und Filmen ein differenziertes Bild der eritreischen, ehemaligen italienischen Kolonialstadt Asmara.

Mit der Besetzung Eritreas durch Italien 1889 entwickelte sich das zunächst aus einer Dörferansammlung bestehende Asmara zur Hauptstadt des Landes. Bereits 1900 verlangten Banken, Schulen, Kirchen, Post, Theater und Justiz nach repräsentativen Gebäuden für das neue italienische Verwaltungs- und Repräsentationszentrum. Formelemente aus der italienischen Gotik, der Renaissance, dem Barock, der Romanik und dem Klassizismus waren es, welche bis in die 20er und 30er Jahre des 19. Jahrhundert im Mittelpunkt der Baukunst italienischer Architekten standen und dem Stadtbild einen europäischen Anstrich verpassten. Die Architektur blieb historisierend und an den Vorbildern des italienischen Mutterlandes orientiert. So etwa wurde die Bank von Eritrea im neugotischen, der Gouverneurspalast und das Postgebäude im neoklassizistischen, die Universität von Asmara im neobarocken Stil gestaltet. Das Theater von Asmara wurde 1918 hingegen im Renaissancestil erbaut. Daneben ist der über Jahrhunderte bestehende Einfluss unterschiedlicher Kulturen und Religionen, in der Architektur des Landes besonders auffallend.

Die Bautätigkeit unter italienischer Herrschaft war zwischen 1913 und 1938, insbesondere durch eine Reihe von städtischen Erweiterungsplänen vorbereitet worden. Auf einer Fläche von rund vier Quadratkilometern entwarfen und bauten italienische Architekten gemäß den verschiedensten architektonischen Bewegungen und Besonderheiten jener Zeit - die meisten von ihnen in der Architektursprache der italienischen Moderne der 1920er und 1930er Jahre. Zudem war zu Beginn der 1930er Jahre die Stadtplanung zum Thema schlechthin der modernen Architektur geworden und Urbanistiker gingen daran, die Städte nach den vier Schlüsselfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr) einzuteilen. 1930 ereilte auch Asmara dieses Schicksal. Das Wohnviertel der Einheimischen mit hoher Dichte und unregelmäßiger Struktur lag im Norden, die diagonalen Blocks der Industriezone, das Villenviertel der Europäer und die Mischzone um den Markt im Zentrum der Stadt. Ausgelöst durch das imperialistische Engagement Mussolinis erfolgte dann von 1935 bis 1941 eine massive Erweiterung der Stadt und Asmara entwickelte sich von einer relativ provinziellen Kleinstadt in eine große Metropole.

Als das faschistische Italien 1937 begann eine strikte und doktrinäre Rassenpolitik zu verfolgen, wurde auch die Stadtplanung Asmaras modifiziert, wie der 1938/39 von Vittorio Cafiero vorgelegte Entwicklungsplan verdeutlicht. Der neue Piano Regolatore di Asmara beschränkte Wohnsitz und Arbeitsplatz der eritreischen Bevölkerung auf dafür vorgesehene Gebiete. Obwohl für die Umsetzung dieser Philosophie der Apartheid bis zur Niederlage der Italiener 1941 nicht genug Zeit blieb, ist die faschistische Gesinnung der Städteplaner im Stadtbild von heute noch deutlich zu erkennen.
In dieser Wachstumsphase Asmaras entstanden auch einige typische Gebäude in der Bauform des Novecento. Die Architekten orientierten sich an den Sujets des Spätmittelalters und adaptierten die mittelalterliche Burg und die Fassadengliederungen des Klassizismus.

Auch wenn die italienische Architektur bis Mitte der 1920er Jahre von der europäischen avantgardistischen Moderne unbeeinflusst blieb, entwickelten junge Mailänder Architekten, unter der Bezeichnung „Gruppo 7“, ab dem Jahr 1926 die italienische Variante der avantgardistischen modernen Architektur – den Razionalismo. Vorbild war die neue Formensprache aus Holland (De Stijl), Deutschland (Bauhaus) und Frankreich (Le Corbusier). Der Razionalismo verband ein vor allem in seinem Raumverständnis neues künstlerisches Konzept mit der Anwendung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, unter anderem hinsichtlich Technik und Hygiene. Architektur sollte von der Analyse ihrer Funktionen, ihrem alltäglichen Gebrauch her entwickelt werden. Die Formensprache bezog sich dabei auf geometrische Grundelemente wie Kugel, Quader, Zylinder, Würfel oder Pyramide. In Asmara findet sich eine ganze Reihe von Gebäuden, die dieser architektonischen Grundhaltung folgen. Beispielsweise der ursprünglich sechsgeschossig geplante Palazzo Mutton, der mit seiner Formverschränkung von Zylinder und Kubus fast modernistisch skurril wirkt. Ebenso erwähnenswert ist das City Sanitation Office, bei dem sich im Eingangsbereich vertikale und horizontale Bewegungsrichtungen mit dem kreisförmigen Vordach eindrucksvoll verbinden. Zu den herausragenden Beispielen rationalistischer Architektur zählt auch das mit seiner klaren Anordnung, Plastizität und Farbgebung errichtete Selam Hotel.
Eine der radikalsten künstlerischen Positionen bezog der Futurismus mit seinen euphorischen Bezügen auf die von moderner Industrie und Technik hervorgebrachte Veränderung. Die Geschwindigkeit von Maschinen betriebener Fahrzeuge, Gewalt, Zerstörung und Krieg wurden als Traditionsbruch verherrlicht. In der Architektur entfalteten vor allem die Entwürfe von Antonio Sant’Elia eine über Italien hinausgehende Wirkung, auch wenn sie vereinzelt klassizistische Züge aufweisen.

Mit der Machtergreifung Mussolinis 1922 erwachte das Bedürfnis des Staates nach einem signifikanten Abbild für ein glorreiches Italien. Bereits 1924 liebäugelte der Duce mit den futuristischen Grundsätzen des Sammelbandes Futurismo e Fascismo, seines Freundes Filippo Tommaso Marinetti, dem Begründer der avantgardistischen Kunstbewegung. Der kriegsverherrlichende Marinetti wird sich einige Jahre später, während seines Einsatzes im italienisch-abessinischen Krieg, in einer Ausgabe der La Stampa Torino, über die Schönheit des Kriegsschauspiels im Zusammenhang mit Architektur wie folgt äußern: „Der Krieg ist schön, weil er neue Architekturen, wie die der großen Tanks, der geometrischen Fliegergeschwader, der Rauchspiralen aus brennenden Dörfern und vieles andere schafft …“ (La Stampa Torino).

Die futuristischen Architekten widmeten sich auch in Asmara der Baukunst für Fabriken und Wohnhochhäusern. Von den Einflüssen dieser Bewegung zeugt die für die einflussreichste Familie Tagliero gebaute Fiat-Tagliero-Tankstelle von Giuseppe Pettazzi. Mit ihren 30 Meter langen, frei hängenden Betonschwingen hat das Gebäude nicht nur die Gestalt eines Flugzeugs, sie symbolisiert auch das innovative Selbstverständnis italienischer Technologien und Unternehmen im internationalen Kontext.

Neben den genannten architektonischen Strömungen flossen gegen Ende der italienischen Besatzung in Ostafrika einzelne Aspekte der genannten Strömungen, in den so genannten Monumentalismo ein. Das anschaulichste Beispiel dieses Wandels in der italienischen Architektur in Asmara ist das Gebäude der Casa del Fascio. Die Straßenfront wurde 1940 als Ergänzung zu dem dahinter liegenden Hauptquartier der faschistischen Partei aus dem Jahr 1928 errichtet – eine Planung, die - vergleichbar mit dem ebenfalls dem Monumentalismo zugeschriebenen Monumento della Vittoria in Bozen – nur von politisch demonstrativer Motivation als von praktischer Notwendigkeit zeugt.

Als sich die Italiener mit der Invasion der vereinten britischen und äthiopischen Streitkräfte im April 1941 zurückziehen mussten, verließen auch die italienischen Architekten und Ingenieure ihre kolonialen Bau-Spielwiesen in den Städten Ostafrikas. In Asmara hinterließen sie laut dem britischen Informationsministerium „eine europäische Stadt mit ausgedehnten Boulevards, fantastischen Kinos, herausragenden faschistischen Gebäuden, Cafés, Läden, zweispurigen Straßen und einem erstklassigen Hotel“. Danach blieb das architektonische Erbe der Fachwelt lange Zeit verborgen.