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Die Option und ihre Auswirkungen

Inga Hosp bearbeitet 1990 das Manuskript von Carl von Braitenberg (1892 - 1984) und gestaltet damit die ARUNDA 27 mit dem Titel „Unter schwarzbrauner Diktatur“
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„ …... Die Optionsentscheidung Carl von Breitenbergs für Italien, mehr noch seine persönliche Art, die politischen Geschehnisse denkend mitzuvollziehen, brachte ihn und mit ihm seine Familie in Gefahr und - was den Humanisten Braitenberg besonders schmerzte - in Konfrontation zu Freunden und Mitbürgern. Sehr viel später und schon im hohen Alter hat Carl von Braitenberg seine Erinnerungen zu Papier gebracht, als überzeugter Demokrat, gedacht als Fingerzeig besonders für junge Leute, damit sie der Verführung und Häme totalitärer Ideen besser widerstehen können …....“

 

Als ich am 29. Juni 1939 in Bozen durch Kanonikus Michael Gamper vom Abschluss dieses Schandabkommens erfuhr, erfasste mich kaltes Entsetzten: die schöne Heimat verlassen, Zenoberg, den Ritten aufgeben – das würde über meine Kräfte gehen.

Vom Nationalsozialismus hatte ich mir wohl eine Zeitlang auch die Befreiung von den uns deutschen Südtirolern immer feindlicher gesinnten Italienern erhofft. Ja, als die illegale Nazibewegung, unter verdächtiger Duldung der italienischen Behörden, immer dreister wurde, hatte ich mich von einem Vetter und einem Bekannten auf einem geselligen Abend im Winter 1939 am „Reichriegler Hof“ sogar verleiten lassen, ihr beizutreten. Aber schon wenige Tage später erkannte ich dies als schweren Fehler, als sich mir zu Hause ein ehemaliger Mitschüler als Verbindungsmann zur Partei, also gewissermaßen als mein Vorgesetzter, vorstellte. Nach dieser Erfahrung lehnte ich jeden weiteren Kontakt zu den Illegalen ab.

Dafür nahm ich mir das von allen Nazis vergötterte Machwerk Hitlers „Mein Kampf“ vor, das ich mit kritischem Geiste las. Mir fielen vor allem die seichten, zur Wirkung auf die ungebildete Masse berechneten Versprechungen auf wirtschaftlichem Gebiet auf, so zum Beispiel die „Abschaffung der Zinsknechtschaft der Banken“. Geradezu entsetzt aber war ich über den außenpolitischen Teil, der ewige Kriege ankündigte, um dem deutschen Edelvolk zu Lasten der Nachbarn immer neuen Siedlungsraum zu verschaffen.

Ein Land mit solch primitiver Führung und solchen national-imperialistischen Zielen sollten wir also gegen unsere schöne, wenn auch durch den Faschismus geplagte Heimat eintauschen!

Ich studierte das unselige Umsiedlungsabkommen und was darüber geschrieben worden war, um daraus Schlüsse über das Ausmaß der kommenden Katastrophe ziehen zu können. Von italienischer Seite war für die Ablösung des Vermögens der voraussichtlich Abwandernden ein Betrag von 3 Milliarden Lire (nach dem Wert von 1990 rund 2.250 Milliarden) vorgesehen, da man anfänglich annahm, dass nicht mehr als 20.000 Südtiroler nach Deutschland abwandern würden. Doch bei der in ganz Südtirol herrschenden italienfeindlichen Stimmung, die von raffinierten und gut organisierten Nazipropagandisten noch kräftig geschürt wurde, glaubte ich annehmen zu können, dass mindestens drei Viertel der deutschen Bevölkerung für Deutschland optieren würden. Es reizte mich zu errechnen, welche Ablösungslasten dadurch dem italienischen Staat entstehen würden, ja ich hoffte geradezu, dass eine sehr große Ablösungsverpflichtung von italienischer Seite der Abwanderung Grenzen setzen würde. Im August 1939 errechnete ich durch Kapitalisierung des Volkseinkommens in den verschiedenen Wirtschaftszweigen , dass bei einer Abwanderungsquote von 75 Prozent der Südtiroler die Ablösungslast für den Staat auf die damals enorme Summe von 17,5 Milliarden Lire ansteigen würde (13.000 Milliarden im Wert von 1990). Ein Beamter der Sparkasse sah diese Berechnung auf meinem Schreibtisch und bat mich, sie ihm über das Wochenende zum Studium zu überlassen.

Es war sicher ein Fehler, dass ich ihm die Berechnung überließ, denn ich hatte sie ja nur für mich gemacht, und der Beamte war zwar mittelmäßig, aber ehrgeizig. Tatsächlich machte er sich eine Abschrift und gab sie unverzüglich einem in Cortina weilenden hohen Ministerialbeamten, zu dem gute Beziehungen zu haben er sich rühmte. Damit brachte er einen Stein ins Rollen, der mich beinahe zerschmetterte. Denn meine Berechnung gelangte bis ins Innenministerium, und der Präfekt von Bozen, Mastromattei, bekam von Rom den Auftrag, mich für die unerwünschte Einmischung in die Durchführung des Umsiedlungsabkommens zur Rechenschaft zu ziehen. Ich war gerade auf Urlaub in Oberbozen, als Freund Erich Amonn am 7. Oktober eigens heraufkam, um mich zu warnen: Ich hätte wegen dieser Sache von den Behörden und der faschistischen Partei schwere Unannehmlichkeiten zu erwarten. Sofort fuhr ich nach Bozen und berief mich beim faschistischen Präsidenten und beim faschistischen Generaldirektor, die mich sofort ins Verhör nahmen, darauf, die Berechnung nur für mich privat gemacht zu haben, wenn auch in der Absicht, vorauszusehen, welche finanziellen Rückwirkungen die Abwanderung auf unsere Wirtschaft und damit auf die Sparkasse mit sich bringen könnte.

Die ganze peinliche Sache endete für mich mit einer disziplinären Verwarnung, die damit begründet war, dass ich die Schreibmaschine der Sparkasse und meine Amtszeit für eine private Arbeit verwendet hätte. Der faschistische Präfekt und die Partei waren freilich über die milde Form der Disziplinierung alles eher als befriedigt. Mastromattei verlangte energisch meine Entfernung aus der Sparkasse. Der Präsident des Instituts, Miori, ein auf den Wellen des Faschismus hochkommender Volksschullehrer, Abgeordneter des faschistischen Parlaments und ein an sich gutmütiger Mann, schlug mir vor, mich entweder nach Altitalien versetzen zu lassen oder um meine Pensionierung anzusuchen. In diesem Falle würde er mir eine Stelle als Verwalter der Miorischen Güter in Pfatten anbieten, was ich jedoch alles mit Dank ablehnte.

Ende Oktober rief er mich neuerdings und teilte mir mit, dass Präfekt und Partei auf keinen Fall zulassen wollten, dass ich weiterhin bei der Sparkasse verbliebe. Wenn ich aber mein Pensionierungsgesuch einreichte, könne man den Präfekten besänftigen; von der Sparkasse aus würde das Gesuch einfach unerledigt bleiben. So beruhigt, schrieb ich am 31. Oktober mein Ansuchen um Pensionierung. Mastromattei gab sich tatsächlich zufrieden, als Miori ihm schrieb, ich hätte freiwillig auf meine Stelle bei der Sparkasse verzichtet, was natürlich nicht den Tatsachen entsprach.

Ruhe trat erst wieder ein, als Mastromattei am 17. Februar 1940 abberufen und durch den sehr ausgeglichenen, den Südtirolern freundlicher gesinnten Präfekten Agostino Podestá ersetzt wurde ….......