Politik | Integration

Es ist möglich, mehrere Kulturen in sich zu tragen

Interview auf Unsertirol24.com, Jänner 2015
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Was verstehen Sie unter „Integration“?

Integration würde ich definieren als Eingliederung von Menschen mit besonderen Merkmalen in eine Gesellschaft, die im Hinblick auf ebendiese Merkmale einen anderen Standard hat. Deshalb wird ja auch für Menschen mit Beeinträchtigung von Integration, bzw. besser und moderner, von Inklusion gesprochen. (Diese geht noch einen Schritt weiter und versucht, ebendiesen Menschen einen gleichwertigen Status innerhalb der Gesellschaft zu bieten).

Wichtig in dieser Hinsicht ist mir, dass diese Merkmale nicht per se „anders“ machen, sondern nur, weil die Gesellschaft dies so wahrnimmt. Also ist ein Blinder unter Blinden nicht „anders“, sondern normal und eine Iranerin unter Iranerinnen keine „andere“.

Das ist wichtig, weil wir immer vor Augen haben müssen, dass es eine Sache des Blickwinkels ist, wer „anders“ ist, und wer „normal“.

Viele Einwanderer kommen zu uns wegen der großzügigen Sozialleistungen – wie schaut ihre Integration hier aus?

Fakt ist: MigrantInnen kommen zu uns, weil es ihnen zu Hause schlechter geht. Kaum jemand verlässt die Heimat, die Familie, die Wurzeln und die Bindungen, um irgendwo in einem Land in den Bergen Formulare auszufüllen und dort auf Kosten der Allgemeinheit zu faulpelzen. Es gibt sicher einige, die die Sozialleistungen Südtirols ausreizen. Sie können dies tun, weil sie eben genau jene Merkmale aufweisen, die in Südtirol zu den Armutsindikatoren gehören: geringes Einkommen, kleine Wohnung, viele Kinder. Man könnte diese Indikatoren ändern, aber es sind nun einmal die normalen Gründe für Armut. Missbrauch muss natürlich geahndet werden, sowohl bei Migranten als auch bei so genannten Einheimischen. Das gilt im Übrigen selbstverständlich für alle Gesetze und Normen. La legge è uguale per tutti – Vor dem Gesetz sind alle gleich.

Was sagen Sie zu Beschränkungen der Einwanderung oder zu einer gezielten Auslese nach Bedarf des Arbeitsmarktes?

Italien hat eines der strengsten (und gemeinsten) Gesetze in dieser Hinsicht. Es wurde von Bossi und Fini geschrieben, das sollte man nie vergessen, und es regelt die Einwanderung strikt nach unserem Bedarf an Arbeitskräften. Man erinnere sich daran, dass vor 2-3 Jahren die Wirtschaftsverbände aufgeschrien haben, als die Kontingente nicht erneuert wurden. Da haben nicht die grünen Gutmenschen protestiert gegen mangelnde Einwanderung, sondern der Tourismusverband und der Bauernbund.

In der Flüchtlingsfrage, darauf möchte ich hinweisen, ist das Bossi-Fini-Gesetz eine wahre Schande. Etwa mit der Auflage, im Mittelmeer die Menschen in Seenot nicht zu retten, ist es gegen jedes Gebot der Menschlichkeit.

Die USA als klassisches Einwandererland haben Little Italy, Chinatown usw. – warum sollten Einwanderer bei uns nicht auch solche Gemeinschaften bilden können?

Die USA mit ihrem „Melting Pot“ haben eine völlig andere Tradition des Zusammenlebens als Europa. Die Theorie sagt, dass Migranten in der ersten Generation dazu neigen, sich unter Gleichen oder Ähnlichen zusammenzutun (was ja nachvollziehbar ist. Auch wir SüdtirolerInnen suchen uns im Ausland, siehe Studentenvertretungen oder Optantengemeinschaften) und sich eventuell gegenüber dem Gastland auch zeitweilig abzugrenzen, weil das eine gewisse Sicherheit bietet.

Der Schlüssel gelingender Integration liegt daher meist in der zweiten Generation. Es sind oft die Kinder, die sich als erste erfolgreich integrieren und den Eltern eine Brücke schlagen. Zurück zur Frage: In Europa haben sich abgegrenzte Gemeinschaften überall als problematisch erwiesen und sind stets schlechte Beispiele. Daher auch meine Entrüstung, als die Freiheitlichen vorgeschlagen haben, dass Migranten in „Gastarbeitersiedlungen“ untergebracht werden sollten. Es ist wie mit den separaten Sprachkursen, die Durnwalder vorgeschlagen hat. Deutsch lernt man am besten, wenn man mit Deutschen zusammen ist, nicht mit Pakistani oder Syrern. In Ghettos schafft man Ausgrenzung, soziale Diskriminierung, Ablehnung. Man minimiert Kontakt und Austausch. Wie soll man sich da integrieren?

Ulli Mair erklärte vor wenigen Wochen, Integration sei in erster Linie Bringschuld der Einwanderer. Wie sehen Sie das?

Integration ist ein beidseitiger Prozess. Sie gelingt nur, wenn MigrantInnen bereit sind, das Gastland, dessen Sprache und Kultur in sich aufzunehmen. Es ist nicht notwendig (Fachleute sagen im Gegenteil, es ist sogar eher hinderlich), die gesamte Herkunftskultur abzuwerfen. Es ist möglich, mehrere Kulturen in sich zu tragen.

Wir SüdtirolerInnen wissen das aus Erfahrung, wir sind ja Ein-und Auswanderungsland und wissen wie es ist, wenn verschiedene Kulturen seit jeher aufeinandertreffen. Meine eigenen Großeltern sind aus dem italienischen Trentino und dem ladinischen Buchenstein nach Montan eingewandert und haben mit ihren Kindern deutsch gesprochen. Damit haben sie ihre Wurzeln abgelegt. Ich habe das stets als Verlust empfunden und hole mir schon mein ganzes Leben das Italienische in mir zurück. Für mich ist es eine innere Bereicherung, in zwei Kulturen zu Hause zu sein.

So wie es die Aufgabe der MigrantInnen ist, der „Gastkultur“ gegenüber Achtsamkeit, Respekt und Annahme entgegenzubringen, ist es Aufgabe der integrierenden/inkludierenden Gesellschaft, neuen Mitgliedern Platz zu schaffen und ihnen respektvoll zu begegnen. Ausgewanderte SüdtirolerInnen waren in der Vergangenheit ebenso darauf angewiesen, dass ihnen dies entgegengebracht wurde, wie es heute hier ankommende MigrantInnen sind. Es ist ein vielschichtiger, wechselseitiger Prozess. Ulli Mair weiß genau, dass niemand sich von sich aus integrieren kann, wenn es kein Entgegenkommen von der anderen Seite gibt.

Sie betonen oft, Bildung sei der Schlüssel für eine gelungene Integration. Was muss sich in Südtirol im Bildungsbereich ändern?

In der Schule sitzen Migrantenkinder Tag für Tag mit Südtiroler Kindern Seite an Seite im gleichen Raum. Ich habe früher als Lehrerin gesehen, dass es nicht immer einfach ist, hier alle „mitzunehmen“, denn die Voraussetzungen sind natürlich sehr unterschiedlich. Hier braucht es Vermittlung, Ausbildung der Lehrkräfte, natürlich auch sprachliche Zusatzförderung, genügend Personal, um diese Zusatzleistungen auch bieten zu können.

Gelingende Projekte in Europa zeigen, dass die Schule sehr offen sein muss und auch bereit zu neuen Wegen. In Berlin etwa hat man mit Campussystemen gute Erfahrungen gemacht, mit Stadtviertelschulen, in denen die gesamte Gemeinschaft in die Schule eingebunden war. Dort findet auch Elternbildung und –sozialisierung statt. Es gäbe schon gute Vorbilder und viele Erfahrungen auch in Südtirol zeigen, dass es auch Lösungen gibt und nicht nur das Problem.