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Ein Brexit-Roman?

Der Brexit spaltet die britische Gesellschaft und ganz Europa. Eine ironische Komödie zeigt, wie es dazu kommen konnte. Ein medialer Rundblick vorab.
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Foto: Folio Verlag

Vor drei Jahren veröffentlichte der Folio Verlag die Roman-Übersetzung Nummer 11 von Jonathan Coe – ein irrwitziges Sittenbild. In wenigen Tagen erscheint im gleichen Verlag der zweite Roman des Autors: Middle England. Der internatio­nale Durchbruch gelang Coe bereits mit Allein mit Shirley im Jahr 1997, mit einer bissigen Satire über die konservative Sozial- und Wirtschafts­politik der Ära Margaret Thatcher, die in 16 Sprachen übersetzt wurde.


Das britische Magazin Prospect nannte das Buch den „perfekten Brexit-Roman“ und John Boyne von der Irish Times schreibt, dass nur selten „die Ursachen des Brexit so auf den Punkt gebracht“ wurden. Der Autor selbst möchte seinen Roman jedoch nicht als „Brexit-Roman“ kategorisieren, verrät er dem Journalisten Sebastian Borger vom österreichischen Der Standard, vielmehr habe das Buch mit Charakteren zu tun, die bereits seine Romane Erste Riten (2001) und Klas­sentreffen (2004) bevölkerten“, al­len voran Benjamin Trotter, ein komisch verzerrtes Selbstporträt des Autors“ schreibt Borger.


In Middle England zieht Trotter in eine romantische Wassermühle in die Grafschaft Shropshire, ins Herz des ländlichen England, um endlich seinen Roman, an dem er schon 30 Jahre arbeitet, zu beenden.


Mit Humor und Sprachwitz gelingt es Jonathan Coe beide Seiten der Brexit-Geschichte darzustellen. Seinen literarischen Cocktail hat er erneut mit Musik angereichert – Coe war viele Jahre Keyboard in einer Progressive-Rock-Band. Im gestern erschienenen Gespräch mit Mladen Gladić der Wochenzeitung der Freitag beschreibt er in diesem Zusammenhang, dass sogar das musikalische Aushängeschild Britpop ab den 1990er Jahren zum erstarkenden Nationalgefühl Englands beigetragen hat. Coe sieht im Britpop „etwas Triumpha­les, eine nationalistische Tendenz“ und womöglich eine treibende Kraft des Brexit.

Die Frage der Profil-Journalistin Tessa Szyszkowitz, ob Coes Roman die Jury des Costa-Preises überzeugte, weil er die Brexit-Debatte „von bei­den Seiten mit einem Hang zur Satire betrachte“ beantwortete der Schriftsteller: „Ich sehe Middle England nicht als Satire. Es ist eher sozialer Realismus mit komischen Einlagen. Ich glaube, Humor spielt in der britischen Politik eine zu große Rolle. Die Leute erwarten, dass Politi­ker sie unterhalten. Aber sie sollten lieber still und leise ihre Arbeit machen und das Land regieren.“

„Okay, meine Weltsicht ist London-zentriert. Ist nun mal so. Ich bin hier geboren, es ist meine Stadt, und es ist der einzige Ort, an dem ich je leben werde. Bristol war eine vorübergehende Verirrung.“ „Komm mich in Birmingham besuchen. Das wird dir die Augen öffnen.“ „Okay, mach ich. Aber sag mir erst, wie dort die Männer sind.“ „Natürlich so wie überall sonst.“ „Echt? Ich dachte, die Männer aus den Midlands seien kleiner.“ „Kleiner? Wer hat dir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?“
„Also ich dachte, aus dem Grund hätte Tolkien die Hobbits erfunden.“
[aus: Middle England]

Für seinen Roman hat Coe bereits den European Book Prize 2019 und den briti­schen Costa Fiction Book Award 2019 erhalten. Er zeigt die Veränderungen des Landes in „brillanter Form“  auf, sowie „die Brüche inner­halb von Familien und zwischen Genera­tionen.“ Am Ende wird sogar ein Brexit-Baby geboren.


Das Buch Middle England – in der Übersetzung von Caterine Hornung und Dieter Fuchs – erscheint im Folio Verlag und liegt ab 11. Februar 2020 in den Buchhandlungen auf.