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Pieces of a Woman

In Venedig erhielt die Hauptdarstellerin dieses Films den Schauspielpreis. Zurecht, denn Vanessa Kirby trägt die erschreckend reale Geschichte auf ihren Schultern.
Pieces of a woman
Foto: Netflix

Es ist eine der ersten Szenen von „Pieces of a Woman“. Martha und ihr Mann Sean sind Abends in ihrer Wohnung, sie ist hochschwanger und kämpft mit ersten Wehen. Dann wird es ernst. Das Baby kommt, doch die Hebamme, die eigentlich bestellt wurde, wird kurzfristig von einer zweiten ersetzt, nun gut, wird schon keinen großen Unterschied machen, und dann beginnt das Kreischen, Pressen und das Warten. Zwanzig Minuten dauert diese Szene, zwanzig Minuten lang gebärt Hauptdarstellerin Vanessa Kirby an der Seite ihres Filmpartners Shia LaBeouf ihr lang ersehntes Kind. Die Kamera beobachtet das Geschehen, kompromisslos zeigend, was im Angesicht einer Geburt eben geschieht. Ungeschönt, roh, und über die gesamte Länge der Szene ohne einen einzigen Schnitt. Dadurch erhält das Gezeigte eine enorme Intensität. Dass all das nur gespielt ist, vergisst man sofort, zu gut sind die Leistungen der Darsteller*innen, allen voran von Kirby, die sich um Kopf und Kragen spielt und bis an die Grenzen des Schauspiels geht. Doch wir wollen an dieser Stelle nicht um den heißen Brei reden. Man kann diesen Film nicht ernsthaft besprechen, ohne die Wendung darin zu verraten. Denn die Geburt verläuft nicht reibungslos, da stimmt mal etwas mit dem Puls des Babys nicht, da bewegt es sich seltsam, und als es endlich aus dem Bauch der Mutter rutscht, dauert es nicht lange, ehe das Neugeborene blau und rosa anläuft und stirbt.

Wer die Schuld am Tod ihres Kindes trägt, interessiert sie nicht.

Was dann folgt, ist am ehesten mit einer großen Taubheit zu beschreiben. Martha zieht sich in ihr Innerstes zurück. Selbst für ihren Mann Sean ist sie kaum mehr zu erreichen. Wer die Schuld am Tod ihres Kindes trägt, interessiert sie nicht. Anders so ihre eigene Mutter, die die Hebamme vor Gericht bringen und im Gefängnis sehen will. Genau das ist nicht im Sinn von Martha, die möglichst schnell mit ihrem Leben fortfahren möchte, und dazu gehört, jegliche Erinnerungen an das Baby zu vernichten. Sean, der sehr viel mehr an dem verstorbenen Kind hängt, gerät ein ums andere Mal an seine Frau, etwa wenn sie Ultraschallfotos in den Müll schmeißt oder das bereits eingerichtete Kinderzimmer ausräumt.

 

Pieces of a Woman | Official Trailer | Netflix

 

„Pieces of a Woman“ erzählt eine Geschichte, wie es sie in unserer Realität wohl oft gibt. Wie eine Frau mit der Verlust umgeht, kann deshalb nur beispielhaft gezeigt werden. Bei Vanessa Kirby gibt es keine Tränen, kein Weinen, sondern nur Schweigen und stoische Blicke. Sie fühlt sich unverstanden zwischen ihren Verwandten, die nach Rache, oder, wie sie es nennen, Gerechtigkeit, gieren. Martha sucht sich ihren Weg zurück in den Alltag auf ihre Art, und ist wenig kompromissbereit, vielmehr reagiert sie verstimmt auf das Unverständnis, das man ihr entgegenbringt. Die Tragik der Geschichte ist besonders deshalb so groß, da stets das Bewusstsein vorherrscht, einem realen, äußeren wie inneren Vorgang beizuwohnen. Dem was in der Welt um die trauernde Mutter geschieht, und dem, was tief verborgen in ihrem Innersten vorgeht.

Dieser Film tut weh, er ist unangenehm, schmerzvoll und alternativlos.

Gekonnt inszeniert ist all das von Kornél Mundruczó, einem ungarischen Film-und Theaterregisseur, und geschrieben von seiner Frau Kata Wéber. Dass das Drehbuch aus der Feder einer Frau stammt, ist wichtig und unumgänglich zugleich. Nur eine Frau kann das ehrliche Porträt einer Mutter wie Martha zeichnen. Und das Geschriebene zeugt, ebenso wie die Art der Inszenierung für großen Respekt für die Thematik, die Handlung und nicht zuletzt die Figuren. Dieser Film tut weh, er ist unangenehm, schmerzvoll und alternativlos.
Netflix hat „Pieces of a Woman” im Programm. So dürfte eine große Zahl an Menschen Zugriff auf den Film haben. Und sie sollten diese Möglichkeit nutzen. Ob Vanessa Kirby bei den diesjährigen amerikanischen Filmpreisen mit einiger Ehre bedacht wird, steht noch in den Sternen. Es ist gut möglich, dass der Film ob seiner Unauffälligkeit etwas unter dem Radar schwebt, verdient hätte „Pieces of a Woman“ jedoch die ganz große Bühne.