Gesellschaft | Dreisprachig werden

Die dreisprachige Schule in Südtirol

Mit dem näher rückenden Wahltermin für die Erneuerung des Landesregierung, wird das Thema Schule und Sprachkenntnisse immer wieder zur Debatte gebracht.
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Mit dem näher rückenden Wahltermin für die Erneuerung des Landesregierung, wird das Thema Schule und Sprachkenntnisse immer wieder zur Debatte gebracht.

Nicht nur Vertreter der Oppositionsparteien, auch Vertreter der Regierungsparteien können sich der Anziehungskraft, die das Thema auf die Wählerschaft ausübt, nicht entziehen.

Die SVP ist in dieser Frage äusserst zurückhaltend, einerseits bekräftigt die Sammelpartei das Prinzip des muttersprachlichen Unterrichts, andererseits toleriert sie Schulprojekte , die teilweise davon abweichen (wie im Fall der kürzlich angekündigt Einrichtung einer dreisprachigen Abteilung für Kinder an einer deutschen Schule).

Eine pragmatische Haltung die der SVP ermöglicht den Hauptpfeiler ihrer Identität zu bewahren: die Schule soll ethnisch inspiriert sein.

Das hat aber nicht gereicht um die Wahlergebnissen zu verbessern. Im Jahr 2008 fiel die SVP zum ersten Mal unter die 50%der Stimmen und im Jahr 2018 wurden nur 15 Landtagsabgeordneten gewählt und die Partei verlor die absolute Mehrheit der Sitze.

Theoretisch hätte das Wahlergebnis von 2018 einen Anstieg der Verhandlungsmacht der italienischen Partner im Landesregierung ( Die Lega ) bedeuten deren Stimme für die Regierung der Provinz unverzichtbar geworden war. In der Realität war aber die Präsenz der neue italienische Regierungspartner irrilevant.

Während die Schule auf politisch-verwaltungs Ebene de facto unter strikten Trennung von Schulsystem und Bildungsangebots steckt, wächst in der Südtiroler Gesellschaft die Nachfrage,an junge Menschen ein höheres Niveau an Sprachkenntnissen zu gewährleisten.

Dank des LP 12 aus dem Jahr 2000 genießen die Bildungseinrichtungen eine größere Autonomie sowohl auf Verwaltungs- als auch auf - Didaktische Ebene.

Dies hat unweigerlich zur Entwicklung von mehere Projekten zur Verbesserung der Sprachkenntnisse, und viele Versuche der Zusammenarbeit zwischen den Schulen der Sprachgruppen geführt.

Die Ergebnisse dieser Bemühungen waren jedoch enttäuschend: zwischen 2007 und 2015 hat ein zuverlässiges Forschungsinstitut wie Eurac Research mit dem Kolipsi-Forschungsmodul die Schüler der vierten Klasse der Sekundarstufe in ganz Südtirol bewertet ,und entdeckte leider eine entmutigende Realität.

Die deutschsprachigen Schülerinnen und Schüler, die Italienisch als Zweitsprache (B2) beherrschen, haben in sieben Jahren von 20 Prozent abgenommen, während ihre Italienischsprachigen Kollegen stabil bei mageren 12,9 Prozent lagen.

Trotz der autonomen Bemühungen der Bildungseinrichtungen ist die Zahl der jungen Menschen, die imstande sind in beiden Sprachen zu kommunizieren, zurückgegangen. Das ist der unerträgliche Zustand der Dinge, und wir müssen hier ansetzen,wenn wir einen Weg zur Verbesserung der Sprachkenntnisse suchen wollen.

Aus politischer Sicht besteht kein Zweifel daran, dass es eine Stärkung derjenigen Kräfte und Politiker notwendig ist, die eine dynamische Vision der Südtiroler Gesellschaft teilen.

Dank Studien wie der oben erwähnten hat sich in der Gesellschaft das Bewusstsein verbreitet, dass die außerschulische Bildung grundsätzlich für die Entwicklung von Lebenskompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit ist.

Dies bringt die Notwendigkeit einer umfassenderen strategischen Überprüfung der Eckpfeiler des Zusammenlebens. Der Minderheitschutz sollte zunehmend mit der Förderung der gegenseitigen Befruchtung der Kulturen Rechnung tragen.

In der deutschsprachigen Gemeinschaft ist diese Förderung stark gewachst und richtet ihre Stimme auf post-ethnische politische Vorschläge. Die Stärkung dieser Präsenz ist unerlässlich, wenn eine konkrete Änderung der Schulpolitik angestrebt wird.

Eine ähnliche Perspektive hat sich auch in der italienischsprachigen Gemeinschaft entwickelt, auch hier hat sich die Förderung einer authentischen gegenseitigen Befruchtung sehr verbreitet und sollte sich auch bei der nächsten Landtagswahl ausdrücken können.

Neue politische Gleichgewichte sind eben notwendig, wenn man die Schulpolitik fortschrittlich gestalten will.

Was soll “ fortschrittliche Schulpolitik” heisen?

1) Dreisprachige Abteilungen in den Schulen der beiden Sprachgruppen

Es handelt sich dabei nicht, das muss gleich zu Beginn gesagt werden, um eine Neuauflage, vielleicht eine Aktualisierung der bereits in den Schulen vorhandenen Wege in Form von dreisprachigen Kursen, Sprachförderungen, internationalen Kursen et similia.

Es handelt sich um ein Novum, da die Lehrkräfte sowohl aus der italienischsprachigen Schule als auch aus der deutschsprachigen Schule kommen. Die Lehrkräfte der italienischsprachigen Schule und die der deutschsprachigen Schule unterrichten in der Muttersprache des Lehrers , und zwar in der Anzahl der Stunden und nach dem Lehrplan der Schule.

Es ist daher einerseits notwendig, in die pädagogische und didaktische Autonomie der Schulen zu investieren und andererseits die rechtlichen Voraussetzungen um die Personalpläne für die neue dreisprachige Abteilungen zu schaffen.

2) Unterricht in den dreisprachigen Abteilungen, Anforderungen und Benotung

Dreisprachige Abteilungen garantieren Qualität und Zuverlässigkeit, wenn sie sich auf einem stabilen Lehrkörper mit angemessener Ausbildung beruhen. Daher ist eine Überarbeitung der so genannten Wettbewerbsklassen ( d.h.die Lehrbefähigung mit den Anforderungen für den Unterricht in einem oder mehreren Disziplinen).

Derzeit gibt es Landeswettbewerbsklassen nur für die Lehrkräfte der deutsch- und ladinischsprachigen Schulen und für di L2 Lehrer/innen, für die Lehrkräfte an italienischsprachigen Schulen gibt es Staatlichewettbewerbsklassen. Für den Unterricht in dreisprachigen Sektionen ist es notwendig, neue Wettbewerbsklassen zu schaffen um die Lehrkräfte in die Lage zu versetzen, in die dreisprachigen Abteilungen zu unterrichten. Dies ermöglicht die Lösung der Probleme bei der Rekrutierung und Verwaltung der Lehrkräfte.

3) Endlich in Bewegung kommen

Um den Weg wirklich frei zu machen und mit dem Aufbau zu beginnen, braucht es die überzeugte Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung, weshalb ich abschließend auf den strategischen Knoten, zurückkehren muss. Gibt es in der Südtiroler Gesellschaft eine Mehrheit von Menschen die bereit ist, die etnische und nationale Frage in Richtung einer übernationalen Zukunft zu überwinden?

Diese Frage soll natürlich nicht bedeuten, dass die Notwendigkeit, grundlegende Identitätsfaktoren wie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Kultur zu beseitigen ist. Wir alle wissen sehr gut, wie die Herkunft aus einer kulturellen Welt, Kraft, Trost und Menschlichkeit für das Leben gibt,doch was wir heute brauchen, ist die Hegelsche "Auf-hebung".

Überwindung und zugleich Bewahrung: Projektion auf eine höheren Zivilisationsstufe.

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Josef Fulterer Do., 30.03.2023 - 22:16

Die Eifer-süchtig sich gegeneinander abgrenzenden Schulämter, bringen es zusammen mit den gschaftlhuberischen Politikern nach über 75 Jahren noch fertig, "besser zu trennen."
Die heran wachsende Jugend von Südtirol wird damit um die Vorteile betrogen, die eine Nahtstelle von zwei Sprachen und Kulturen bietet.

Do., 30.03.2023 - 22:16 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Di., 04.04.2023 - 21:00

Tatsache ist, dass es mit der zweiten Sprache oft hapert (ohne die Situation der Migranten mitzudenken, das ist ein eigenes Kapitel). Hier muss ein Weg gefunden werden, um dies zu verbessern. Da vielen Eltern die Sommerferien zu lang sind, vielleicht könnten da Sprach' und "Redekurse" beide Fliegen mit einer Klatsche erwischen. Schön wär's auch, wenn ein Teil der Kosten vom Steuerzahler übernommen werden könnte (wäre sicher sinnvoller als manche andere Investition).

Di., 04.04.2023 - 21:00 Permalink
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△rtim post Do., 06.04.2023 - 22:41

Dem Befund, dass die SVP (strategisch) — auch was die Verteidigung der völkerrechtlich verankerten Maßnahmen zum Schutz der angestammten Bevölkerung Südtirols angeht — schwächelt, mag man zustimmen. Das, was Jahrzehnte lang, auch aufgrund der gemachten Erfahrungen der Kolonialisierung Südtirols und des Ethnozids im 20. Jh. völlig undenkbar war, darf heute bereits wieder (unwidersprochen) offen in Frage gestellt werden: Das (tatsächliche) Recht der Kinder und Jugendlichen mit Minderheitenhintergrund auf muttersprachlichen Unterricht. Natürlich auch, weil die Politik hier allzu lange die Wirklichkeit ausgeblendet hat und zum Teil noch immer so tut, als seien Rechte fix und müssten nicht tagtäglich gelebt/verteidigt werden. Unter anderem auch gegen Zuschreibungen, wie z.B heute eines Georg Mairs (ff 14/23), Artikel 19 des Autonomiestatuts sei "ideologisch", die deutsche Minderheitenschule Südtirols mit zwei Unterrichtssprachen Deutsch (L1), Italienisch (L2) und mindestens einer Fremdsprache, Englisch, (L3) sei eine geschlossene Schule, an der maßgeblich keine Begegnungen mit anderen möglich seien und die deutsche Minderheitenschule sogar eine gesellschaftliche Gefahr darstelle.
Dass Identität fluid ist (vgl.a. Jürgen Habermas), ist allgemein bekannt. Auch, dass Tücken der Nähe Begegnung/ Vergegnung beinhalten (vgl. Georg Gadamer). Das wird in Südtirol nicht anders sein.
Aber wieso sollte man deshalb z.B. Geschlechtern und Minderheiten das eigene Identitätsverständnis bzw. ihre Rechte absprechen und diese benachteiligen?

Do., 06.04.2023 - 22:41 Permalink
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Renzo Roncat Do., 13.04.2023 - 13:07

Antwort auf von △rtim post

Leider hat die strikte Trennung zwischen dem italienischen, deutschen und ladinischen Schulsystem unterschiedlichen Lehrplänen und Stundentafeln geführt.
Schüler und Studenten aus demselben Gebiet treffen in der Schule auf nicht miteinander kommunizierende Kulturen und Kenntnisse, was die Möglichkeiten einer gegenseitigen Befruchtung zwischen den beiden Welten stark einschränkt.
Politik und Verwaltung haben das Entstehen einer gemeinsamen Kultur behindert und den Raum für die Jugend stark
eingeschränkt.

Do., 13.04.2023 - 13:07 Permalink
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Profil für Benutzer Harry Dierstein
Harry Dierstein Do., 13.04.2023 - 14:25

Antwort auf von Renzo Roncat

Volle Unterstützung für diese Einschätzung, Renzo Roncat. Die absurdeste Situation habe ich an der Bozener Battisti-Schule erlebt, die aus vier Gebäudeteilen besteht. Zwei für die WFO Kunter und zwei für die ITE Battisti. Anstatt mögliche Synergien zu nutzen hat man sich maximal segregiert.
Ein Beispiel von vielen verschenkten Möglichkeiten, die Sprachvielfalt klug zu nutzen.

Do., 13.04.2023 - 14:25 Permalink
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Profil für Benutzer Renzo Roncat
Renzo Roncat Fr., 14.04.2023 - 23:41

Antwort auf von Harry Dierstein

Die Annäherung der drei Schulsysteme kann nur beginnen, wenn sie zu einem programmatischen Punkt der zukünftigen Landesregierung wird.
Es bleibt nur zu hoffen, dass das Team K und die Grünen bei den deutschsprachigen Wählern ein großes Ergebnis erzielen und bei den italienischsprachigen Wählern ein Zusammenbruch der Lega und ein Erfolg der M5S.

Fr., 14.04.2023 - 23:41 Permalink