Gesellschaft | Integration

Unsichtbare Nachbarn

Die promovierte Sozialanthropologin Elisabeth Tauber leitet die Konferenz „On Categories and Boundaries“ am 6. und 7. Juni 2017 an der Universität Bozen. Ein Interview.
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Unsichtbare Nachbarn
Foto: CC0

Die Gruppe der Roma und Sinti sind ein Beispiel für die Rolle von nationalstaatlichen Grenzen zu bestimmten politischen Zeiten und für die Selektion von Staatsbürgern durch Nationalstaaten.

 

Roma und Sinti nutzen Grenzen anders, als der Staat es gerne hätte. Oder sie nutzen Grenzen genauso wie andere auch, der Staat will die Menschen aber nicht haben“, sagt Elisabeth Tauber. Die promovierte Sozialanthropologin leitet die Konferenz „On Categories and Boundaries“ am sechsten und siebten Juni 2017 an der Universität Bozen.

 

Roma und Sinti leben seit Jahrhunderten in verschiedenen europäischen Staaten, zum Teil als umherziehende Familienverbände, in vielen Fällen aber ortsansässig. Gemeinsam ist den verschiedenen Gruppen der Roma und Sinti die lokale Verwurzelung, zum Beispiel in Deutschland, Italien, Frankreich oder Spanien oder in Rumänien. Auch wenn manche Roma und Sinti von Zeit zu Zeit umherfahren um mit Familienmitgliedern in verschiedenen Ländern zu leben, sind sie in bestimmten Regionen beheimatet, in denen sie etwa ihre Toten bestatten.

 

Roma und Sinti sind lokal verankert, denken aber europäisch,“ erklärt Tauber. Familienverbände, die in verschiedenen Ländern verteilt sein können, spielen oftmals eine wichtigere Rolle als nationalstaatliche Kategorien. Mit ihrer eher informell organisierten Lebensweise hinterfragen manche Gruppen von Roma und Sinti implizit traditionelle nationalstaatliche Kategorien und entziehen sich beispielsweise staatlicher Kontrolle. Trotz jahrhundertelanger Verwurzelung in verschiedenen westeuropäischen Regionen scheint diese Lebensweise mancher Roma und Sinti für Verunsicherung bei vielen Menschen zu sorgen. So wuchern nach wie vor Vorurteile und herabsetzende Klischees über Roma und Sinti, die sich häufig in struktureller Diskriminierung, zum Beispiel in Behörden, äußern.

 

Viele der Fahrgeschäftsbesitzer auf Rummelplätzen sind Roma oder Sinti. Aber die meisten würden das nie öffentlich äußern“, sagt Tauber. Anstatt sich als Angehörige deutscher Roma, französischer Roma oder rumänischer Roma zu bezeichnen, sind sie nur noch Deutsche, Franzosen oder Rumänen. Das gleiche trifft für viele Beschäftigte vom Busfahrer bis zum Manager oder Wissenschaftler zu. Unsichtbar zu bleiben ist eine der Formen des Widerstandes, um Benachteiligungen aufgrund ihrer Lebensweise zu vermeiden.

 

Genau wie jeder andere Bürger sind Roma und Sinti auf institutionelle Transparenz, respektvolle politische Linien und gesellschaftliche Toleranz von Vielfalt angewiesen. Ihre Rechte sind eigentlich verfassungsrechtlich verankert, werden ihnen bisher aber fast nur in Mikroprojekten zugestanden. So gab es in Südtirol eine Initiative, die den Eisenhandel auch ohne Firmengründung ermöglichte, während in Österreich Familienverbänden Wohnwagenplätze zur Verfügung gestellt wurden. Ausreichend sind diese minimalistischen Bemühungen nicht, um das Zusammenleben mit Roma und Sinti endlich gleichberechtigt zu gestalten – über geopolitische und mentale Grenzen hinweg.

 

 

An der Universität Bozen findet am 6. und 7. Juni 2017 die Konferenz „On Categories and Boundaries“ statt, in der unter anderem die Rolle von Grenzen zu bestimmten politischen Zeiten am Beispiel der Roma und Sinti diskutiert wird. Veranstaltungsdetails finden Sie hier.