Politik | Regierunskrise

Der erhobene Zeigefinger 2.0

Italien stand kurz vor einer neuen Regierung. Doch anstatt diplomatisch vorzugehen, wurde in Deutschland wieder der erhobene Zeigefinger ausgepackt.
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Foto: upi

In den letzten Tagen war ich bei meinen Arbeitskollegen in München ein besonders begehrter Gesprächspartner. Als Südtiroler sollte ich ihnen erklären, was denn aktuell in Italien los sei. Wer ist Conte? Tritt Italien jetzt aus der EU aus? Und was macht eigentlich Berlusconi? Alles Fragen, die ich natürlich sehr gerne beantwortet habe. Meine Botschaft war unter anderem: Italien könnte nun die „deutscheste“ Regierung aller Zeit haben, da sich die beiden Koalitionsparteien auf inhaltlich ausführlichen Koalitionsvertrag geeinigt haben – fast genauso wie in der Bundesrepublik. Das sei in Rom nicht unbedingt üblich.

Was ich ihnen aber ebenfalls gesagt habe: Die Überheblichkeit in der deutschen Öffentlichkeit gegenüber möglichen politischen Szenarien in Italien nervt und ärgert mich auch. Ohne ein Freund der beiden Fast-Regierungsparteien zu sein, war das Schreckensszenario, dass Politiker und Meinungsmacher in Deutschland an die Wand gemalt haben, überzogen. Kaum hat sich eine realistische Regierungskonstellation abgezeichnet, war der erhobene Zeigefinger wieder da. Derselbe, der das Image Deutschlands bereits in Griechenland arg beschädigt hat. „Deutschland dürfe sich nicht erpressen lassen“, „Italien hat das Zeug zum neuen Griechenland“, heißt es. Die EU solle möglichst rasch ein Defizitverfahren gegen Italien einleiten, forderte sogar FDP-Chef Lindner. Am Dienstagnachmittag dann der bisherige Höhepunkt: EU-Kommissar Günther Oettinger erwartet sich, dass die Märkte ein Signal für die italienischen Wähler sein können, keine Populisten mehr zu wählen. Eine Aussage, die angesichts der aktuellen Stimmung in Italien gegenüber der EU und Deutschland eigentlich unangebrachter nicht sein könnte. Auch als Kritiker von Lega und 5 Stelle finde ich diese Äußerungen deshalb höchst unverantwortlich.

Selbstverständlich ist Kritik an den bestehenden Verhältnissen des Landes richtig und notwendig. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass sich die italienische Wirtschaftspolitik unmittelbar auch auf die anderen Länder im Euroraum auswirken wird. Dabei aber so zu tun, als ob das Land seit Jahren am Tropf Brüssels und damit der anderen Euroländer hängt, ist schlichtweg falsch. Nach Deutschland und Frankreich hat Italien mit über 250 Milliarden Euro die meisten Mittel in den Euro-Rettungsschirm eingezahlt. Hinzu kommt: Die Bereitschaft für Reformen wird sicherlich nicht steigen, wenn sie als vermeintliches Diktat aus dem Ausland wahrgenommen werden. Ein Grund auch für die Politiker in Rom, den Wählern reinen Wein einzuschenken: Es ist im ureigensten Interesse der Italiener selbst, das Land im Sinne des gemeinsamen europäischen Marktes umzukrempeln. Denn dass Italiens Wirtschaft seit Jahren nicht wächst, ist zu großen Teilen selbstverschuldet.

Ja, das Land gefährdet mit seiner chronischen Instabilität und dem hohen Schuldenstand den Euroraum. Das macht aber auch Deutschland, indem es sich schon viel zu lange einer längst notwendigen Reform der EU sperrt. Macron hat den Anstoß gegeben und die Ideen geliefert– und Merkel sitzt es bisher aus. Wer das Ruder in der Hand hat, aber nicht lenkt, gefährdet genauso das Boot, in dem alle sitzen. Die Politiker und Meinungsmacher in Berlin wissen genau, dass sie mit der Rhetorik des erhobenen Zeigefingers das Klischee des unsympathischen und besserwissenden Lehrmeisters Europas bedienen. Davon ablassen können sie aber anscheinend nicht, welchen Grund sie auch dazu haben mögen.

Ich für meinen Teil werde meinen Kollegen natürlich weiter gerne Rede und Antwort stehen. Die Fragen werden ihnen so schnell sicher nicht ausgehen.

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19 amet Mi., 30.05.2018 - 19:32

Bravo. Sehr gut. Wann wid denn endlich dieser Oettinger in die Wüste geschickt ? Der Mann taumelt ja von einem Fettnäpfchen ins nächste.

Mi., 30.05.2018 - 19:32 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 30.05.2018 - 21:31

Hallo Aaron Gottardi! Mir gefällt Ihr Beitrag; ich habe auch nachgeschaut, was Sie bisher auf salto.bz geschrieben haben: ich fand vier Beiträge innerhalb zwei Jahren. Ich würde gerne öfter von Ihnen fachkundige Beiträge lesen!

Mi., 30.05.2018 - 21:31 Permalink