Wirtschaft | Nachhaltigkeit

Mutige Milchhöfe

Mutig, mutig, applaudieren Bauernbund und Landwirtschaftslandesrat Südtirols Milchhöfen zu ihrem strengeren Qualitätskurs. Führt der nun zu einer Gerichtsschlacht?
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Foto: Suedtirol Foto/Helmuth Rier

Es ist nicht mehr brandneu, was der Obmann des Südtiroler Sennereiverbandes Joachim Reinalter am Mittwoch Morgen am Bozner Sitz seines Verbandes zu verkünden hatte. Seit Monaten wird über die Einführung eines strikten Flächenbezuges in der Südtiroler Milchproduktion diskutiert. Bereits vor einem Monat hatte salto.bz Hintergründe dazu geliefert, warum Südtirols Milchhöfe in ihren damals laufenden Vollversammlungen ihre Geschäftsordnungen und Statuten abändern. Dennoch wurde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler und Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler noch einmal die Tragweite des Schrittes bewusst, all jene Milchbauern de facto aus den Milchhöfen rauszuwerfen, die ihr Vieh nicht mit eigenen – in Südtirol liegenden - Futterflächen ernähren können. „Ich gratuliere der Milchwirtschaft zu diesem mutigen Schritt und der Weichenstellung in Richtung Nachhaltigkeit, die sicherlich kein einfacher Prozess ist“, applaudierte Arnold Schuler. „Ich kann nur zu dem Mut gratulieren, und unterstreichen, dass die Milchwirtschaft damit die richtige Richtung einschlägt“, unterstrich auch Tiefenthaler.

Verneigungen, die sich mit dem nicht ganz einfachen Spannungsfeld aus betriebswirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Interessen der Branche erklären lassen, in das sich die Milchhöfe mit ihrer Entscheidung begeben. Wie können wir unsere überdurchschnittlich hohen Auszahlungspreise von aktuell immer noch über 50 Cent langfristig halten und damit ermöglichen, dass die Milchwirtschaft auf Südtirols kleinstrukturieren Flächen überhaupt noch wirtschaftlich tragbar ist, lautet die Herausforderung, der sich die Milchhöfe und ihr Dachverband stellen müssen.  Immerhin können schon heute 75 % der Milchbauern nicht allein von der Milchproduktion leben. Angesichts der industriellen Konkurrenz, die  - wie aktuell in Spanien mit Ställen mit bis zu 22.000 Kühen – über den Preis konkurrieren kann, ist Südtirol „dazu verdammt, besser zu sein und mehr Wertschöpfung für seine Produkte zu erzielen“, wie es Arnold Schuler ausdrückt.

Ein Kurs, den man sowohl in der Kommunikation, als auch in der Produktion mit immer neuen Qualitätsvorgaben und -produkten wie zuletzt der Heumilch ohnehin fährt. Doch aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann der damit erzielte hohe Preis Bauern auch dazu ermutigen, aus dem Vollen zu schöpfen – und mit billig zugekauftem Futter und vollen Ställen eine Maximalleistung an Milch und einen entsprechend hohen Ertrag zu erzielen. Eine Strategie, die aus Sicht des einzelnen zwar verständlich ist, aber riskiert, das große Ganze zu sprengen, wie am Mittwoch am Sitz des Sennereiverbandes wiederholt unterstrichen wurde. Deshalb hat man dort gemeinsam mit allen Mitgliedern beschlossen, die bislang nur für Förderungen bindende Einhaltung der Obergrenzen für den Viehbesatz, die je nach Höhenlage zwischen 2,5 bis 1,8 Großvieheinheiten pro Hektar betragen, zur Voraussetzung für künftige Milchanlieferungen zu machen. 

Rund 90 Prozent der Mitglieder hätten den entsprechenden Abänderungen der Statuten und Geschäftsordnungen zugestimmt, berichtet Joachim Reinalter nun nach dem Versammlungskarusell der vergangenen Wochen. Diese würden sich je nach Milchhof in Details unterscheiden. Die gemeinsame Linie lautet aber: Alle Mitglieder, die sich heute nicht an die GVE-Bestimmungen halten, erhalten eine Übergangsfrist von fünf – oder im Fall vom Milchhof Meran drei – Jahren, um ihren Viehbesatz schrittweise an die Vorgaben anzupassen. Als Basiswert dient dabei das Mittel der Produktionsmengen der Jahre 2015 bis 2017 der einzelnen Bauern. Ab 2019 muss davon bei Überschreitungen jährlich ein gewisser Prozentsatz abgebaut werden. Geschieht das nicht, gibt es Sanktionen. Je nach Milchhof würden diese von Abschlägen auf den überschüssigen Anteil oder auf die gesamte angelieferte Menge bis hin zum Boykott des Lieferanten reichen, erklärte der Sennereiverbands-Obmann. In anderen Worten: Spätestens ab 2024 bekommen solche Mitglieder entweder nur mehr so niedrige Auszahlungspreise, dass sich die Produktion nicht mehr lohnt, oder sie fliegen überhaupt aus ihrem Milchhof raus. 

Rund 100 schwarze Schafe

Eine Gefahr, die allerdings nur einer Minderheit der Bauern droht, wie Joachim Reinalter unterstrich. „Mehr als 95 Prozent unserer Mitglieder entsprechen bereits heute diesen strengen Kriterien“, sagt er. „Viele können durch kleine Korrekturen hinkommen, und etwa 100 müssen sich ein wenig mehr anstrengen.“ Ob die gerne als Turbo-Bauern bezeichneten Landwirte, auf die Reinalter dabei anspielt, zu dieser Anstrengung auch bereit sind, wird sich zeigen. Denn bereits im Vorfeld sickerte durch, dass sich gerade einige Großbauern rund um die Biogasanlage Sterzing, die ihre Wirtschaftsweise durch die Entsorgung bzw. Weiterverarbeitung der überflüssigen Gülle mittlerweile zum Geschäftsmodell gemacht haben, gerichtlich zur Wehr setzen wollen. Gerüchte, die vom Sennereiverband am Mittwoch bestätigt wurden. Bisher sei allerdings noch keine Klage eingegangen, sagt Reinalter. Der Verband habe den Schritt in jedem Fall auch einer rechtlichen Prüfung unterzogen – und sehe darin den einzig gangbaren Weg. Nicht nur, um das Image und damit den Preis der Südtiroler Milchprodukte zu schützen. „Ein standortangepasster Viehbesatz schont auch den in der Berglandwirtschaft begrenzten kostbaren Boden“, sagt Reinalter. 

Von Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler erhält er dafür volle Rückendeckung.  In der Vergangenheit habe man in der Milch- wie auch in der Obstwirtschaft zögerliche Preiseentwicklungen durch eine Mengensteigerung wettmachen können, sagt Schuler. „Doch diese Zeiten sind jetzt vorbei, deshalb müssen wir noch stärker auf Qualität bauen und authentische Geschichten zu unseren Lebensmitteln erzählen.“  Die dafür nötigen Investitionen und Anstrengungen könnten aber nicht dadurch gefährdet werden, dass sich einige wenige auf Kosten der Mehrheit bereichern. Denn, wie Schuler meint: „Heute sprechen wir dabei von 5 Prozent, aber wir haben auch die Verantwortung, dass es in Zukunft nicht 10 Prozent oder mehr werden.“