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Im Land der Mediensaurier

Tirols Medienkonzerne sind konservativ, behäbig und Günstlinge der Macht – eine große Chance für journalistisch unerschrockene und politisch unabhängige Neulinge.
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Foto: Dolomitenstadt.at
 
Manchmal besuchen Schulklassen die Redaktion von dolomitenstadt.at in Lienz. Dann sitzen 16-Jährige vor mir und ich erkläre ihnen, dass vor 13 Jahren – „ihr wart damals drei Jahre alt“ – unser Medium gegründet wurde. Damals, 2010, kam das erste iPad auf den Markt. Instagram gab es noch nicht, auch kein WhatsApp, kein Snapchat und kein TikTok.
Für Smartphones musste man eigene Websites programmieren, die nicht „responsive“ waren. 80 Prozent aller User lasen dolomitenstadt.at auf einem großen Bildschirm, nur ein Fünftel benutzte dafür ein Handy. Heute ist es umgekehrt. Während ich Jugendlichen solche Stories erzähle, fühle ich mich als Veteran.
Während ich Jugendlichen solche Stories erzähle, fühle ich mich als Veteran.
Dabei ist all das erst vor Kurzem passiert, ebenso wie die Gründung von SALTO, dieser herrlich klugen und erfrischenden Plattform, die wir seit ihrem ersten Auftauchen vor zehn Jahren als verwandt empfinden und schätzen. So wie wir werden sich wohl auch Christoph, Ulrich, Lisa Maria und all die anderen SALTO-Protagonist*innen fühlen – ein wenig wie Veteranen der digitalen Medienszene, nach einem Jahrzehnt höchst engagierter journalistischer Arbeit und vor dem Hintergrund eines permanenten technologischen Innovationsdrucks, der auch große Medien an die Grenzen ihres Potenzials bringt.
 
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Online-Portal dolomitenstadt: Osttiroler Marktführer und Salto-Partner.
 
 
Womit wir bei den Großen wären und damit bei der tatsächlichen Zeitrechnung, in der wir denken müssen, wenn wir unsere beiden Plattformen nicht technologisch, sondern historisch, wirtschaftlich und politisch einordnen. SALTO und dolomitenstadt.at bringen frischen Wind und neues Leben in eine medial archaische Welt, in der die Saurier längst nicht ausgestorben sind. Im Gegenteil, sie wachsen immer noch und sind hungrig auf alles, was sich unter ihren Füßen regt. Was sie nicht fressen können, versuchen sie niederzutrampeln.
 
Es gibt kaum mediale Artenvielfalt in Tirol. Die Moser Holding kontrolliert mit ihrem Verlagshaus den Norden, die Athesia den Süden und in Osttirol verbirgt sich hinter der „Osttiroler Bote Privatstiftung“ eine millionenschwere, nur nach außen bieder ländlich wirkende Medienmacht der Landwirtschaftskammer. Diese Medien-Platzhirsche haben ähnliche Ursprünge, sind hervorgegangen aus zutiefst konservativen und klerikalen Vorgängermedien, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten hochgepäppelt, um schnell zu Zentralorganen der SVP und der ÖVP zu mutieren und dies jahrzehntelang zu bleiben.
 
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Osttiroler Bote: Historischer Platzhirsch.
 
 
 
Millionen an staatlicher Medienförderung und noch viel mehr Millionen aus parteinahen Wirtschafts- und Werbetöpfen haben diese Saurier wachsen lassen, sie aber auch träge und satt gemacht, journalistisch zahm im Dunstkreis der Machtkartelle von Bünden und Kammern. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Wer könnte es den großen, teuren Redaktionen verübeln, wenn sie in Zeiten wie diesen auf ihre Marketingabteilung hören und nicht gegen Tourismus-Kaiser, Plantagenbesitzer und Energiekonzerne in den Ring steigen?
Wer könnte es den großen, teuren Redaktionen verübeln, wenn sie in Zeiten wie diesen auf ihre Marketingabteilung hören und nicht gegen Tourismus-Kaiser, Plantagenbesitzer und Energiekonzerne in den Ring steigen?
Das bleibt uns Kleinen vorbehalten, einer jungen, flinken, bescheidenen und erstaunlich zähen Medienspezies, die mit wenig Geld und viel Herzblut beachtliche Popularität erreicht hat. Wir transformieren die alten Reporter-Tugenden in zeitgemäße multimediale Berichterstattung, intelligent und nachfragend, oft kritisch und immer differenzierend. Das ist manchmal riskant – Stichwort SLAPP, wovon auch wir in Lienz ein Lied singen können – gibt aber auch Kraft und Auftrieb, zeigt zunehmend gesellschaftspolitische Wirkung und wird von einer engagierten Leser*innen-Community belohnt.
Wenn wir unsere Ideale nicht der Reichweite opfern, dann werden wir im Land der Saurier überleben.
Wenn wir weiterhin Randgruppen eine Stimme geben und Kulturschaffenden ein Sprachrohr, wenn wir auf die Wissenschaft hören, für die Umwelt kämpfen und gegen die Aushöhlung der Demokratie, wenn wir – das vor allem! – unsere Ideale nicht der Reichweite opfern, dann werden wir im Land der Saurier überleben. Davon bin ich überzeugt.
 
Gerhard Pirkner ist Chefredakteur und Herausgeber des Osttiroler Online-Nachrichtenportals dolomitenstadt.at.
 
 
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Hartmuth Staffler Mi., 31.05.2023 - 08:28

Die Formulierung "Diese Medien-Platzhirsche haben ähnliche Ursprünge, sind hervorgegangen aus zutiefst konservativen und klerikalen Vorgängermedien" entspricht nicht den Tatsachen. Die maßgebenden Medien in Nord-, Ost und Südtirol gehen alle auf den "Katholisch-politischen Preßverein" zurück, der 1889 in Brixen gegründet wurde. Anfänglich konservativ, wurde der Pressverein rasch zum Sprachrohr der Christlichsozialen und stand damit im krassen Gegensatz zu den Konservativen. Unter dem Einfluss des 1906 gegründeten antisemitischen Piusvereins, der seine Tiroler Hochburg in Brixen hatte, wurden die Erzeugnisse des Preßvereins extrem antisemitisch. Im Jahr 1907 fusionierte der Brixner Preßverein mit dem ebenfalls christlichszialen und antisemitischen Bozner Preßverein zum "Preßverein Tyrolia". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tobte der "Zeitungskrieg" zwischen den christlichsozialen und den konservativen Medien, wobei sich erstere schließlich durchsetzten. Die "Tyrolia" wurde nach dem Ersten Weltkrieg in in einem Nordtiroler und einen Südtiroler Zweig geteilt, wobei der Nordtiroler Zweig den Namen "Verlagsanstalt Tyrolia" beibehielt, während sich der Südtiroler Zweig nach dem Verbot des Namens Tirol im Jahr 1923 zunächst in "Vogelweider" und nach dem Verbot auch dieses Namens in "Athesia" umbenennen musste.

Mi., 31.05.2023 - 08:28 Permalink