Politik | Jus soli-Reform

Auf den Sankt-Nimmerleinstag

2 Jahre nach der Zustimmung der Abgeordnetenkammer wird die Abstimmung im Senat wieder verschoben. Gentiloni beugt sich dem - auch regierungsinternen - Druck von Rechts.
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Renzi, Matteo
Foto: upi

"Die Reformen werden gemacht. Volle Fahrt voraus, entschlossener denn je!“ tönte Renzi vor zwei Jahren (damals war er Ministerpräsident), nachdem die Abgeordnetenkammer das Gesetz zum so genannten „ Jus soli temperato“ verabschiedet hatte. Seitdem schmorte es in einem Ausschuss des Senats, dessen Zustimmung noch erforderlich war. Jetzt war es endlich so weit, die Abstimmung im Senat stand unmittelbar bevor. Renzi wieder: „Die Verabschiedung des Gesetzes ist eine Frage des Anstands!“ Doch Pustekuchen. Die Abstimmung wurde verschoben. Auf den Herbst – wenn überhaupt. Denn nun musste Ministerpräsident Gentiloni befürchten, im Senat die notwendige Mehrheit zu verfehlen, was seine Regierung in eine Krise stürzen würde.

Nach dem noch geltenden Gesetz haben Migrantenkinder, die in Italien geboren sind, nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein Jahr Zeit, um die italienische Staatsangehörigkeit zu beantragen. Wer als Kind eingereist ist, bekommt als Minderjähriger die Staatsangehörigkeit nur, wenn einer der Elternteile sie bereits besitzt. Volljährige Migranten können sie erhalten, wenn sie seit zehn Jahren einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel und ein Einkommen vorweisen, das zum selbständigen Lebensunterhalt reicht.

Jus soli unter Rechtsdruck

Die Reform sieht vor, dass in Italien geborene Kinder aus Migrantenfamilien automatisch die italienische Staatsangehörigkeit erhalten, wenn mindestens ein Elternteil eine „langfristige Aufenthaltserlaubnis“ von fünf Jahren besitzt. Außerdem können Minderjährige, die in Italien geboren sind oder vor der Vollendung des 12. Lebensjahres eingereist sind, die Staatsangehörigkeit erlangen, wenn sie mindestens fünf Jahre die Schule „mit positivem Ausgang“ besucht haben („jus culturae“).

Am Schicksal der Jus soli-Reform kann man ablesen, wie die Rechte inzwischen die Musik bestimmt. Nicht nur die rechtsextremen Lega Nord und Fratelli d' Italia, sondern auch Berlusconis Forza Italia machen Front gegen das Gesetz. „Invasion stoppen!“ lautet der Schlachtruf, mit dem die Frage der Einbürgerung von in Italien geborenen und aufgewachsenen Kindern gezielt mit der Flüchtlingsfrage vermischt wird. Ins gleiche Horn bläst die 5-Sterne-Bewegung, die mittlerweile beim Zündeln mit fremdenfeindlichen Parolen mit der Lega konkurriert.

Dabei hatte die 5SB noch vor vier Jahren einen ganz ähnlichen Gesetzesentwurf vorgelegt. Jetzt verkündete Grillo ohne weitere Begründung, das Gesetz sei „ein unwählbares Kuddelmuddel“. Grillos Kronprinz Di Maio legte nach: Obwohl Italien in Sache Zuwanderung schon jetzt „einem Drucktopf“ gleiche, würde ein solches Gesetz noch mehr Migranten „anlocken“. Als ob für Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um Elend und Gewalt in ihren Herkunftsländern zu entfliehen, irgendwelche in Italien geltende Einbürgerungsbestimmungen eine Rolle spielten. Welche – sofern sie ihnen überhaupt bekannt sind – auf sie und ihre Kinder ohnehin keine Anwendung fänden, da sie die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Doch um sachliche Argumente geht es nicht, im Gegenteil. Konfusion und Polemik sind beabsichtigt, um die Gemüter zu erhitzen in der Hoffnung, zu gegebener Zeit ein paar Wählerstimmen mehr zu ergattern.

Ministerpräsident Gentiloni kriegt kalte Füße

Doch der Widerstand gegen die Reform kommt nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch aus dem Regierungslager. Alfanos „Nuovo Centrodestra/NCD“, die schon erheblich zur Verwässerung des Entwurfs beigetragen hatte, ist auf einmal außerstande, das Gesetz im Senat – wo die Mehrheitsverhältnisse knapp sind – mitzutragen. Angesichts des wachsenden Flüchtlingsstroms sei ein solches Vorhaben „nicht opportun“. Auch der NCD ist es egal, dass die eine Sache mit der anderen nichts zu tun hat. Ihr geht es um das Signal, dass Migranten nicht willkommen sind, weil sie eben „nicht dazu gehören“. Man dürfe eine „so sensible Reform nichts übers Knie brechen“, so Außenminister Alfano. Ein Witz angesichts der Tatsache, dass der Entwurf seit der Verabschiedung in der Abgeordnetenkammer schon über zwei Jahre im Senat auf Halde liegt.

Der Druck von Rechts hat dazu geführt, dass Ministerpräsident Gentiloni kalte Füße bekam. Er will eine Vertrauensabstimmung zum „Jus soli“ im Senat um jeden Preis vermeiden und Zeit gewinnen. Also Verschiebung „auf den Herbst“. Wobei es zweifelhaft ist, ob es dann überhaupt noch dazu kommen wird. Denn erstens wird das Flüchtlingsthema bis dahin nicht erledigt sein, und zweitens wird angesichts des näher rückenden Wahltermins die Neigung zu Konzessionen an die Populisten eher zu- als abnehmen. Auch PD-Chef Renzi sieht keinen Grund, für die Reform eine Lanze zu brechen. Man wolle der Regierung keine Schwierigkeiten bereiten, lautet seine offizielle Begründung. In Wahrheit ist er selbst dabei, sich in der Migrationsfrage dem rechten Mainstream anzupassen. Zumal er sich die Option, nach der Parlamentswahl eine Koalition mit Berlusconi einzugehen, offen halten und den möglichen Regierungspartner nicht reizen möchte.

Ein hoher politischer Preis

Der Preis dieser Anpassung ist hoch. Zuallererst natürlich für die Betroffenen: Kinder und Jugendliche, die sich als Italiener verstehen, werden zum Gegenstand politischer Machtspiele. Dabei liegt ihre erleichterte Einbürgerung auch im Interesse des Landes, denn sie könnte einen wichtigen Baustein für eine nachhaltige Integration sein – und damit gerade bei Jugendlichen auch zur Prävention gegen Radikalisierung und damit zur inneren Sicherheit beitragen. Dass nach dem geltenden Gesetz junge Zuwanderer die Möglichkeit haben, mit der Volljährigkeit die Staatsbürgerschaft zu erhalten, ist nur ein schwacher Trost. Besonders der Nachweis eines Einkommens, das zum eigenen Lebensunterhalt reicht, bildet eine hohe Hürde. Junge Erwachsene – ob Italiener oder Zuwanderer – sind besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen und auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. So wundert es nicht, dass Einbürgerungen vor allem in der Altersgruppe zwischen 30 und 49 Jahren vorkommen.

Von der Politik und leider auch von einer Regierung, die sich mittelinks verortet, erhalten die in Italien geborenen und aufgewachsene junge Menschen nun die Botschaft, dass eine für sie wichtige und schon seit Jahren angekündigte Reform abgesagt wird, weil sie „politisch nicht opportun“ sei. Wegen der vielen Flüchtlinge, die derzeit über Italien den Weg nach Europa suchen.

Auch für die Regierung wird der politische Preis dieser weiteren Verschiebung hoch sein, weil sie auf einem Gebiet Schwäche zeigt, auf dem sie bisher am meisten Handlungsfähigkeit bewiesen hatte und auch am meisten punkten konnte, nämlich im Bereich der Bürgerrechte bzw. der rechtlichen Gleichstellung: so z.B. bei der Zulassung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, bei den vor kurzem eingeführten Verbesserungen des Strafrechts und der anstehenden Einführung von Patientenverfügungen.

So lassen sich PD und Regierung beim emotional hoch aufgeladenen Zuwanderungsthema immer mehr von den rechten Vereinfachern vor sich hertreiben. Zu glauben, sie würden bei Wahlen dafür „belohnt“, wäre nicht nur unredlich, sondern auch ein fataler Fehler. Denn bekanntlich wird das Original (fast) immer der Kopie vorgezogen.