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Buchweizen statt Klopapier

Aus Moskau analysiert Olga Bocharova, warum die russische Gesellschaft mit einer Krise gelassener umgehen kann, und wie die Größe des Landes Corona-Tests erschwert.
Olga Bocharova
Foto: Olga Bocharova

Wie (er-)leben Menschen anderswo die Corona-Krisensituation? Wir haben nachgefragt. Heute: Olga Bocharova, 30, arbeitet als Kommunikationsspezialistin in ihrer Heimatstadt Moskau. Sie hat in Deutschland und Italien studiert, spricht beide Sprachen fließend, und hat auch Südtirol einst einen Besuch abgestattet. Jetzt sitzt sie wie viele andere zuhause im Homeoffice und teilt mit uns ihre Corona-Analyse aus Russlands Hauptstadt. Laut Bocharova reagieren die Menschen hier gelassener, als in anderen Ländern, denn die russische Gesellschaft hat während der 90er Jahre nach dem Kollaps der Sowjetunion schlimmere Krisen erlebt.

 

 

Das Coronavirus kam später als in Europa nach Russland. Wir befinden uns daher erst am Anfang der Pandemie und sehen, wozu sie führen könnte. Manche Menschen haben Angst und sind unsicher; andere hingegen kümmern sich überhaupt nicht darum. Es gibt Gruppen von Leuten, die trotz der Warnungen zum Grillen in Parks gehen und manche flohen sogar aus der Quarantäne. Jede Woche werden die Maßnahmen strenger. Alle kommerziellen Flüge nach und von Russland wurden mittlerweile eingestellt, und Menschen, die aus Risikogebieten kommen, müssen in Quarantäne. Auch bei uns sind Parks, Restaurant, Hotels und Einkaufszentren geschlossen. Am 28. März wurden die Menschen bis zum 5. April für eine Woche von der Arbeit freigestellt. Es gibt Gerüchte, dass Moskau bald ganz abgeschlossen werden soll. Manche Menschen wünschen sich diese Maßnahmen, andere halten sie für „Fake News“. Wir werden sehen.

Für die ältere Generation wurden besondere Maßnahmen getroffen. In Moskau und der umgebenden Region wurden Menschen über 65 angehalten, zuhause zu bleiben. Dafür entzog die Regierung ihnen das Recht, gratis mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, versprach ihnen aber gleichzeitig 4.000 Rubel (ca. 46 Euro). Außerdem gibt es eine Notfallnummer, wo Risikogruppen Freiwillige erreichen können, die für sie Lebensmittel und Medikamente einkaufen. Gleichzeitig hilft Russland auch anderen Ländern. Zum Beispiel wurden Militärvirologen nach Italien, und einige Tests nach Iran geschickt.

Die Gesellschaft erlebte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion so eine schlimme Hungerphase, dass sie die jetzige Krise entspannter angehen kann

Ein Hauptproblem für Russland ist, dass die Tests nicht differenziert genug sind, und es daher unsicher ist, dass alle, die wirklich infiziert sind, auch positiv getestet werden. Zudem gab es am Anfang nur ein Labor, das Corona-Tests produzierte, und das befand sich in Novosibirsk [3.155 km von Moskau entfernt, Anm. d. Red.]. Das heißt, wenn eine Person mit einem Express-Test positiv getestet wurde, wurden ihre Proben für einen weiteren Test nach Novosibirsk geschickt, um die Ergebnisse des ersten Express-Tests zu bestätigen. Mittlerweile produzieren mehrere Labore diese Tests. Der Moskauer Bürgermeister teilte mit, dass die Stadt bald 13.000 Tests pro Woche durchführen können wird. Es gibt nebenbei noch einige Privatlabore, die Tests für jene anbieten, die ihn auch ohne ärztliche Verschreibung machen möchten. Das kostet zwischen 20 und 25 Euro.

Die Panik hält sich in Russland in Grenzen, die Leute reagieren gelassener wie etwa in Großbritannien, wo die Menschen hauptsächlich Klopapier kaufen. Interessanterweise kaufen die Russen viel Getreide ein, vor allem Buchweizen, eine sehr traditionelle russische Speise. Meiner Meinung nach liegt die Haltung der Russen daran, dass die Gesellschaft in den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, so eine schlimme Hungerphase durchlebt haben, dass sie die jetzige Krise entspannter angehen kann.