Sport | Para-Eishockey

„Ausprobieren, was einem Spaß macht“

Seit er ein kleiner Junge war, spielt Christoph Depaoli Para-Eishockey. Jetzt, mit 24, war er bereits dreimal mit der italienischen Nationalmannschaft bei den Paralympics
Depaoli, Christoph
Foto: marco_mantovani
Salto.bz: Herr Depaoli, seit wann spielen Sie Para-Eishockey?
 
Christoph Depaoli: Ich bin im Alter von 10 Jahren zum Para-Eishockey gekommen. Werner Winkler, ein jetziger Teamkollege von mir, wollte damals zusammen mit Rupert Kanestrin eine Mannschaft in Kaltern aufbauen. Dadurch, dass ich in Kaltern groß geworden bin und die beiden meine Eltern kannten, wurde ich so darauf aufmerksam. Am Para-Eishockey liebe ich, dass es ein Teamsport ist. Ich bin eindeutig dafür gemacht, in einem Team zu spielen. Vor dem Eishockey bin ich viele Jahre lang geschwommen, Teamsportarten gefallen mir aber sehr viel besser. Man erlebt so viele schöne Momente mit der Mannschaft. Eishockey an sich ist eine schnelle Sportart, das gefällt mir sehr.
 
Was sind die Hauptunterschiede zum traditionellen Eishockey?
 
Es gibt natürlich gewisse Aspekte, die anders sind aber im Großen und Ganzen kommt es dem traditionellen Eishockey sehr nahe. Der größte Unterschied ist wahrscheinlich, dass anstatt drei mal 20, drei mal 15 Minuten gespielt werden. Der Rest ist ziemlich ähnlich. Das Spiel ist sehr körperbetont, man darf Checks austeilen, der Puck muss immer ins Tor hinein und das ist das Coole daran: Es ist eine Sportart, die extrem nahe am Original ist.
 
Wie ist der Sport hier in Italien organisiert?
 
Es gibt in ganz Italien nur drei Mannschaften: die South Tyrol Eagles in Südtirol, die Armata Brancaleone in Varese und die Tori Seduti in Turin. Es gibt zu wenig Spieler und vor allem zu wenig junge Spieler, die hinzukommen. Die Mannschaft in Südtirol ist relativ gut aufgestellt, mittlerweile haben wir 15 Spieler. Auch international bei Turnieren erzielen wir richtig gute Ergebnisse. Für so eine kleine Mannschaft ist das wirklich toll. Dadurch, dass es nur so wenig Spieler gibt, haben wir auch einen sehr großen Altersunterschied in unserem Team. Vor allem auch, weil es so wenig Nachwuchs gibt. Ich bin immer noch einer der jüngsten Spieler, obwohl nun endlich ein paar jüngere Spieler dazukommen. In unserem Team gibt es Spieler, die über 50 sind und in der Nationalmannschaft spielen. Das gibt es normalerweise im Profisport nicht. Mit den drei Teams spielen wir die Italienmeisterschaft und die Coppa d’Italia mit mehreren Hin- und Rückrunden. Man spielt zwar immer gegen die gleichen Spieler, aber das geht nunmal nicht anders. Die besten 15 Spieler Italiens bilden dann das Nationalteam.
 
 
Mit dem Nationalteam waren Sie bereits drei Mal bei den Paralympics: 2014, 2018 und heuer im März. Wie haben Sie das alles erlebt?
 
Ich konnte dort wahnsinnig tolle Erfahrungen machen. Die Olympischen und Paralympischen Spiele sind natürlich das Highlight für jeden Sportler, jeder will dorthin. Als ich das erste Mal im Jahr 2014 dabei sein konnte, war mir wahrscheinlich noch nicht so klar, was das eigentlich heißt. Damals war ich 16 Jahre alt. Jetzt im Nachhinein wird mir das erst richtig bewusst. Das sind unvergessliche Erfahrungen, wenn man beispielsweise in Korea vor 10.000 Menschen spielen kann. Die kann auch nicht jeder machen. Ich bin so dankbar, das alles erleben zu dürfen und freue mich jedes Mal, wenn ich irgendwo hinfahren darf, sei es zu den Paralympics oder zur Weltmeisterschaft. Aber natürlich: Mehr als Paralympics geht nicht.
Ich bin so dankbar, das alles erleben zu dürfen. Mehr als Paralympics geht nicht
Und ihr erzielt mit der italienischen Nationalmannschaft auch sehr gute Ergebnisse.
 
Für das, was wir sind, auf jeden Fall. Wir befinden uns dort immerhin in einem Ambiente von Profis, selbst sind wir jedoch keine. Wir werden nicht dafür bezahlt, könnten also nie davon leben und arbeiten hauptberuflich alle. Sagen zu können, dass wir unter den besten acht Mannschaften der Welt sind und heuer sogar den 5. Platz bei den Paralympics erzielt haben, ist schon ein richtig gutes Ergebnis.
 
Fair ist das aber nicht, mit Mannschaften konkurrieren zu müssen, deren Spieler Vollzeitathleten sind. Wenn man bedenkt, was ihr da so leistet...
 
Ich habe das Glück, dass ich noch studiere. Alle anderen Mannschaftskollegen arbeiten und das Para-Eishockey ist in unserem Fall mehr als ein Hobby. Wir müssen bei der Weltmeisterschaft und bei den Paralympics professionelle Leistungen abliefern und mit Mannschaften konkurrieren, die nur aus echten Profis bestehen. Dass das alle Spieler so hinbekommen, das hat schon großen Respekt verdient. Bei den Paralympics heuer in Peking waren von acht Mannschaften nur Italien und die Slowakei keine Profimannschaften. Alle anderen Teams spielen hauptberuflich Para-Eishockey. Da braucht es natürlich große Opfer von unserer Seite. Familie, Beruf und Hockey unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach. Man braucht Passion dafür, sonst kommt man nicht so weit.
 
 
Welchen Moment ihrer Karriere werden Sie nie wieder vergessen?
 
Da gibt es viele, beispielsweise als wir vor vier Jahren in Korea bei den Paralympics um den dritten Platz gespielt haben. Natürlich war es bitter, als wir das Spiel verloren haben, aber um eine Medaille bei den Paralympics zu spielen, ist ein wahnsinnig schönes Ereignis. Die Paralympics heuer im Frühjahr waren jedoch noch bedeutungsvoller für mich, weil ich gemerkt habe, dass ich richtig zum Team beitragen konnte. Ich hatte viel Eiszeit und konnte das entscheidende Tor schießen, das uns auf den fünften Platz brachte.
Es macht keinen Unterschied, ob der Spieler eine Gehbeeinträchtigung hat oder nicht. Es hängt nur vom Training ab und genau das ist das Schöne an diesem Sport.
Para-Eishockey hat vielen anderen Sportarten etwas voraus: sie kann sowohl von Menschen mit als  auch ohne Gehbeeinträchtigung ausgeübt werden. Sehen Sie das als positiven Aspekt an?

In Italien gibt es die Regelung, dass man pro Mannschaft zwei Spieler aufnehmen darf, die keine Gehbeeinträchtigung haben. Das ist möglich, weil bei diesem Sport alle in derselben Ausgangsposition sind: Man braucht die Kraft im Oberkörper, es macht also keinen Unterschied, ob der Spieler eine Gehbeeinträchtigung hat oder nicht. Es hängt nur vom Training ab und genau das ist das Schöne an diesem Sport. Es gibt so viele Sportarten bei den Paralympics bei denen so etwas nicht möglich wäre. Skifahren zum Beispiel: Es gibt Skifahren im Sitzen, im Stehen und für Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Besonders bei der letzten Kategorie wären Personen ohne diese Beeinträchtigung im Nachteil. Beim Para-Eishockey ist es so: entweder du bist in Form oder eben nicht. International ist es nicht möglich, dass Menschen ohne Beeinträchtigung mitspielen. Auf nationaler Ebene finde ich es aber recht gut, weil der Sport so bekannter werden kann und auch mehr Spieler gefunden werden können. Wenn es mehr Spieler gibt, kann auch das Niveau steigen.
 
Sie sprechen einen wichtigen Aspekt an, denn Para-Sportarten bekommen leider noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie bekommen sollten.
 
In den letzten Jahren hat sich bereits sehr sehr viel zum Positiven verändert. Die mediale Aufmerksamkeit ist sehr viel größer geworden, die Paralympischen Spiele werden jetzt auf dem Fernsehsender RAI übertragen, es wird regelmäßig in den lokalen Zeitungen berichtet, unsere Nationalmannschaft war sogar in der New York Times. Es wurde sehr viel gemacht, aber natürlich gibt es noch Spielraum nach oben. Sicherlich ist es keine Sportart, bei der wirtschaftliche Interessen mitspielen, wie beispielsweise beim Fußball oder beim traditionellem Eishockey. Ich studiere Sportmanagement und kenne deshalb auch den wirtschaftlichen Zusammenhang. Von diesem Standpunkt aus gesehen, ist es eigentlich klar, wieso die paralympischen Sportarten (noch) nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen. Es wäre natürlich gut, wenn noch mehr gemacht werden würde. Vor allem damit wir weiterhin neue Spieler bekommen, denn dann wird auch das Niveau höher und die Bekanntschaft gesteigert. In Hinsicht auf die Spiele in Milano Cortina 2026 wird viel getan, muss aber auch noch viel getan werden. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, aber wir gehen in die richtige Richtung.
 
 
Seit 2016 wird nicht mehr der Begriff „Sledgehockey“ sondern „Para-Eishockey“ verwendet. Öfters wird kritisiert, dass der Begriff Sledgehockey passender war, weil er für mehr Inklusion stand.
 
Am Anfang, als die Sportart umbenannt wurde, war es definitiv seltsam und ich war auch erstmal dagegen. Außerdem bin ich mit dem Begriff „Sledgehockey“ aufgewachsen. Es dann plötzlich anders nennen zu müssen, war komisch. In Amerika wird es auch heute noch Sledgehockey genannt. Ich finde, auf Worten herumzureiten, macht keinen Sinn, denn im Endeffekt hat sich das Wichtigste nicht verändert, nämlich der Sport an sich.
 
Die Paralympischen und Olympischen Spiele finden zwar im selben Ort und auch fast zur gleichen Zeit statt, jedoch nicht zeitgleich. Wieso kann man nicht ein großes gemeinsames Event daraus machen?
 
Das ist logistisch nicht möglich. An sich ist es gut, dass die beiden Events im selben Ort stattfinden und das muss auch so sein, denn so sind die Stadien und all das, was benötigt wird, schon vorbereitet. Trotzdem gibt es ein paar Unterschiede in den Vorbereitungen, weshalb es unmöglich ist, die Olympischen und Paralympischen Spiele zur selben Zeit zu veranstalten. Beispielsweise benötigt man fürs Eishockey andere Banden als fürs Para-Eishockey. Auch aus medialer Sicht, wäre das nicht ideal: Wenn Wettkämpfe oder Spiele zeitgleich stattfinden, können die Fernsehsender natürlich nicht alles übertragen und werden sich für die beliebteste Sportart entscheiden. Ich finde super, dass beide Spiele im gleichen Ort stattfinden und auch gleich nacheinander, aber zeitgleich wäre aus organisatorischen Gründen nicht möglich.
Entweder man bleibt zu Hause und bemitleidet sich oder man geht raus und versucht, das Beste daraus zu machen
Was möchten Sie Kindern mitgeben, die gerne mit diesem Sport anfangen möchten?
 
Geht raus in die Welt und probiert aus, was euch gefällt. Ich glaube, das ist der wichtigste Ratschlag. Egal, ob man seit Geburt an eine Beeinträchtigung hat oder nach einem Unfall: Entweder man bleibt zu Hause und bemitleidet sich oder man geht raus und versucht, das Beste daraus zu machen. Und es muss auch kein Sport sein. Wichtig ist nur, dass man etwas findet, das einem Freude bereitet. An meiner Situation kann ich nichts ändern, ich kann nur versuchen, das Beste daraus zu machen und ich glaube, das habe ich für mich auch gemacht. Wer hat schon mit 16 Jahren bereits die Möglichkeit gehabt, bei den Paralympischen Spielen dabei zu sein. Mir fehlt es an nichts: ich kann alles tun, was mir Spaß macht, ich studiere, spiele Hockey, habe eine Freundin und ich brauche nicht mehr. Der beste Rat, den ich jemanden mitgeben kann, ist, rauszugehen, das auszuprobieren, das einem Spaß macht und das Beste aus seinem Leben zu machen, denn an der Situation kann man nichts ändern. Man kann nur ändern, wie man damit umgeht und das liegt an einem selbst.