Gesellschaft | Gastbeitrag

Nicht träumen, sondern tun

Eine etwas andere Neujahrsgeschichte aus dem thailändischen Koh Chang. Christine Losso über einen Neustart auf der Insel.

Schon lange hatten wir mit dem Gedanken gespielt, wieder einmal etwas völlig anderes zu tun. Nach gar einigen Experimenten in unserer beider Leben, das  bereichert worden war mit zwei Kindern und zwei Enkeln und nicht zu vergessen: mit einem Hund, sollte es diesmal richtig „anders“ werden. Um es „kitschig“ auszudrücken:  Wir waren reif für die Insel. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und es sollte eine schöne Insel sein. Mit angenehmen Klima, viel Wasser nicht nur rundherum, sondern auch innen drin. Ein paar Felsen brauchten wir auch noch, denn mein Mann Roland muss ab und zu auch klettern können. Dann sollte viel Grün drauf sein, ein paar Tiere zur Unterhaltung und angenehme Menschen für die sozialen Kontakte.  Die Wunschliste war also recht anspruchsvoll. Und nicht zu vergessen: Sonne fürs Gemüt sollte es auch noch geben. Doch das Wichtigste überhaupt:  Wir brauchten Beschäftigung. Also mit etwas angenehmer Arbeit sollte das Experiment schon gewürzt werden können, denn Geld zum Leben sollte irgendwie reinkommen. Diese Mixtur von hehren Wünschen sollte Platz finden in unserem  „Wieder einmal neuem Leben.“

Wohin und weshalb?

Unsere Reisen rund um die Welt, unsere zahllosen sozialen Projekte mit „hope for a better world“ und viele Expeditionen hatten uns bereits an viele Orte rund um den Globus katapultiert. Insofern fiel die Wahl nicht unbedingt leicht. Die Welt hat vielerorts traumhafte schöne Orte zu bieten, und auch in Südtirol kann einem durchaus das Paradies begegnen. Wenn man sich ein bisschen anstrengt. Doch wir wollten ja weg. Also mussten wir uns irgendwann für irgendetwas entscheiden und bald schon hieß die zentrale Frage eigentlich nur mehr: Wohin und Wie?

Der Entscheidung, uns schlussendlich in Koh Chang niederzulassen, lagen einige weitere grundlegende Gedanken zugrunde: Wir finden die buddhistische Lebensweise und deren ruhige Lebensgrundeinstellung prinzipiell sehr gut. Neben einem für uns passenden Klima auch noch freundliche Menschen vorzufinden, ist auch nicht zu unterschätzen. Menschen, die sich mit Respekt gegenüber den anderen begegnen, gefallen uns grundsätzlich. Und außerdem leben auf Koh Chang seit rund einem Jahr Martha und Valentin Lantschner, Südtiroler Freunde, mit denen wir uns austauschen können. Sollte es also einmal ganz dicke kommen im Paradies, treffen wir hier auf heimische Mentalität. Was nicht zu unterschätzen ist. Martha und Valentin betreiben ihr wunderschönes Resort „Garden of Joy“ an der Ostküste der Insel. Ein weiteres Plus für uns war, dass Koh Chang bis auf den schmalen Küstenstreifen, von den sonstigen Wahnsinnigkeiten der Welt noch weitestgehend unberührt geblieben ist und die Kriminalitätsrate sich noch als äußerst gering darstellt. Koh Chang besteht zu rund 90 Prozent aus unbewohntem Dschungel, ist an seinen schmalen Küsten heute zwar touristisch recht gut erschlossen, doch sonst noch urig und eigentümlich. Die Menschen hier begegnen sich freundlich und friedlich. Die Insel war bis vor rund 30 Jahren militärisches Sperrgebiet, weshalb sich das Paradies auch heute noch ziemlich jungfräulich darstellt. Na ja. Bis auf ein paar Ausnahmen.

Das Boonya

Unsere Bungalowanlage „Boonya Resort“ in der Ortschaft Klong Prao konnten wir nach einigen Vorbereitungen Mitte Dezember 2014 übernehmen. Das hat Vorteile. Unser Dorf liegt ziemlich genau in der Mitte der Insel, ist deshalb logistisch gut angebunden an alle weiteren Ziele. Das zum einen, zum anderen beginnt die Hauptsaison gerade im Dezember. Paradiesisch eingebettet in einem kleinen tropischen Garten mit Swimming Pool und nur wenige Minuten vom Traumstrand Klong Prao Beach entfernt, lässt es sich hier gut leben. Unterstützt von unserer Familie in Südtirol und Wien, versuchen wir nun unseren (kleinen) Traum wahr werden zu lassen. Unsere Tochter Denise lebt mit ihrer Familie in Südtirol und Manuel, unser Sohn, studiert in Wien. Er unterstützt uns übers Internet, wo immer er nur kann. Manuel hat die Web- und Facebookseiten aufgebaut, die Schilder kreiert und betreut den Blog „into the world“.

Bürokratische Hürden freilich gibt es hier wie anderswo. Auch hier gilt es eine wahr Flut von Papieren zu beschaffen, Genehmigungen einzuholen, Visumsanträge zu erledigen, und immer wieder der Sprache als Hindernis zu begegnen. Die Thais erachten es nicht als selbstverständlich, dass „Ausländer“ hier arbeiten. Ein Berg von Anträgen will bewältigt werden. Und manchmal geht rein gar nichts mehr. Dann hilft kein Englisch mehr weiter, kein Betteln und Beten und Fluchen schon gar nicht. Ein Thai wird niemals laut werden, will niemals sein Gesicht, also seine Würde verlieren. Ein Thai fordert Respekt von jedem ein, der ihm in diesem Moment gegenübersteht. Egal in welchem Rang und Namen er steht. Buddhistische Gelassenheit ist in diesen Momenten angesagt und dann einfach: Abwarten und Tee trinken. Cha Cha Cha, was so viel heißt wie „langsam, langsam“. Mit etwas Mut, noch mehr Humor und unglaublich viel Geduld kommt man dem Ziel aber jeden Tag ein kleines Stück näher. Europäische Hektik ist weitestgehend unbekannt. Und auch untersagt. Und das ist gut so. Seit das Militär in Thailand die Regierung übernommen hat, kommt es durchaus vor, dass Gesetze ad hoc über Nacht geändert werden, und was tags zuvor noch galt, kann morgen schon nicht mehr bindend sein. Also ist, wenn man hier leben und arbeiten will, größtmögliche Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, und immer wieder Geduld angesagt: Und ja: jeden Tag aufs Neue natürlich Humor.

Wir hatten das unsagbare Glück, eine komplette Anlage samt MitarbeiterInnen und Inventar und allem Drum und Dran fix und fertig übernehmen zu können. Kurzum: Nicht nur die liebenswürdige Bungalowanlage, auch unser Team, bestehend aus Thais und Kombadschanern ist Gold wert. Mee, Kim, Chan, Nee und Win machen im Prinzip auch jetzt das, was sie seit Jahren im „Boonya“ gemacht haben. Fleißig und gewissenhaft arbeiten. Egal wer auch immer die neuen Bosse jetzt sind. Wir aber mussten und müssen uns erst einarbeiten, uns mit einer neuen, völlig anderen Realität auseinandersetzen. Und insbesondere mit einer unglaublich anderen Mentalität. Wir sind nun nicht mehr nur in Urlaub hier. Die Sache hat durchaus ernsten Charakter angenommen. Wunderbar: Und wir werden hier immer die Ausländer, also die „Farang“ bleiben. Farang sein kann auch durchaus Spaß machen.

Arbeiten im Paradies

„Besser im Paradies untergehen als daheim in der Hölle schmoren“, meinte Roland lakonisch, als wir uns definitiv entschlossen hatten. Mit „Hölle“ meinte er vorwiegend einen schier unüberwindbaren Bürokratendschungel, der sich in Italien in den letzten Jahren vor allen innovativen Unternehmern entgegenstellt. Wir hatten ziemlich genug davon. Auch die Enge des Landes und vieler Gedanken hat insbesondere mich ein Leben lang sehr belastet. Zwar begegnen wir hier mindestens derselben Zettelflut, vielleicht sogar noch einer sehr viel größeren, und unsinnige Politik und Gesetze gibt es überall auf der Welt. Nach dem Motto „alles ist möglich, nichts vergebens“, hat man aber doch das Gefühl, dass der, der Ideen hat, doch wenigstens den Hauch der Chance bekommt, diese auch zu verwirklichen. Ohne andauernd spüren zu müssen, damit ohnmächtig an die Wand geknallt zu werden oder ins offene Messer irgendwelcher unbekannten Macher oder Machenschaften zu rennen. Nun gut: Wir sind erst angekommen im Paradies. Wir werden sehen.

Weihnachten unter Palmen

Nachdem ich alle möglichen und unmöglichen bürokratischen Hürden hier in Thailand fünf Wochen lange alleine (mit Cora) überwunden hatte, ist auch Roland definitiv nachgekommen. Er war im November 2014 noch einen Monat lang in Nepal und hat dort mit Freunden den 6473 hohen Mera Peak im Himalaya bestiegen. Roland wird auch weiterhin klettern, Berge besteigen und seine Abenteuer bestreiten. Im Grunde werden wir beide dies tun. Alles andere würde für uns bedeuten: Aufhören zu atmen, aufhören zu leben.

Vor genau zehn Jahren hatte ein fürchterlicher Tsunami insbesondere die Küstengebiete rund um Puketh heimgesucht und Tausende Tote gefordert. Die Insel Koh Chang war davon Buddha sei Dank, verschont geblieben. Sie liegt rund 1200 Km weiter nördlich und rund 350 südöstlich von Bangkok, direkt an der Grenze zu Kambodscha. Unser Weihnachten unter Palmen war hier recht profan: Wir haben bei unseren neuen Freunden, Cookai und ihrem Team nebenan im Restaurant, Fisch mit Gemüse und Reis gegessen und auf neue Freundschaften angestoßen. Später kamen einige Gäste unseres „Boonya“ hinzu und man prostete sich zu und wünschte sich Glück, Zufriedenheit und Wohlstand. Letzterer ist den Thais sehr wichtig. Wohlstand wird dauernd weitergeschenkt und zwar in Form von Geld und Gold, sofern es die wirtschaftliche Lage erlaubt. Die Ventilatoren in „Boonyas“ kitchen liefen also auf Hochtouren, als wir Weihnachten feierten. Trotz Winter auf Koh Chang war es doch recht heiß geworden. Die Temperaturen schwanken im Dezember zwischen 20 und 30 Grad. Im Jänner wird es noch heißer werden und im Mai beginnt die Regenzeit. Dann gibt es bis September fast täglich einen Schauer oder auch zwei. Nichts Dramatisches eigentlich. Die Sonne scheint trotzdem munter weiter. Am Weihnachtsabend wiegten sich die Palmen im lauen Abendwind und die Wellen am Strand sangen leise ihr ewiges Lied. Das war aber auch schon alles, was dieses thailändische Weihnachten an Romantik zu bieten hatte. Hier werden alle Feste, auch jene der „Farang“ (Wort für Weiser) laut, bunt, schräg und schrill gefeiert. Die Buddhisten kennen Weihnachten eigentlich nicht. Doch weil es eben immer irgendetwas zu feiern gibt, wird es stets knallig und laut und bunt und kitschig. Einer Faschingsparty gleich. Die Buddhisten feiern ihre Buddhadays und ihr wichtigste Fest im April. Wir indes ließen dieses bunte Treiben mit buddhistischer Gelassenheit über uns ergehen. Thaistyle eben. Und fanden es recht exotisch. Nun waren wir angelangt in unserem Paradies. When dreams come true. Gemäß unserem Lebensmotto: „Nicht träumen. Tun“, mag das neue Jahr nun ruhig kommen.

Christine und Roland Losso

Christine Losso stammt aus Meran und ist unter anderem Journalistin und Buchautorin, Mutter von zwei Kindern und Großmutter zweier Enkel. Seit mehr als 30 Jahren reist sie mit ihrem Mann Roland Losso um die Welt. Als Präsidentin der Organisation „Hope for a better world“ gelang es ihr mit einem aktiven Team zahlreiche Entwicklungs-Projekte weltweit zu verwirklichen, unter anderem in Indien, Nepal, Brasilien, Rumänien, Moldawien, Äthiopien. Christine Losso arbeitet aktuell unter anderem gemeinsam mit ihrem Sohn Manuel Losso, an dem Familienblog Into the world - Eine Familie reist um die Welt, auf dem mehr über das Leben der Lossos in Koh Chang nachgelesen werden kann. Roland Losso stammt aus Lana und ist Bergsteiger, Kletterlehrer, Hüttenwirt und Abenteurer. Mit seiner Familie hat er in den vergangenen Jahren mehrere Restaurants betrieben. Seine Abenteuer- und Kletterreisen führen ihn seit  mehr als 30 Jahren rund um die Welt.