Gesellschaft | Papst und Migration

Hassobjekt Franziskus

Die Weihnachtsbotschaft von Franziskus trifft buchstäblich ins Schwarze. Die xenophobe Rechte ist erzürnt und schimpft ihn einen politisch ferngesteuerten "Volkstribun".
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Papst Franziskus
Foto: Screenshot

„Es ist unglaublich! Er hat wirklich eine Obsession! Auch in der Weihnachtspredigt spricht der peronistische, obamaliebende Volkstribun von den Migranten, statt von Jesus Christus. Immer nur Politik! Man hat ihm befohlen, auf diesen Punkt einzuhämmern und seit Jahren bombardiert er uns damit tagtäglich... Jemand soll ihm erklären, dass Josef seine Familie nicht aus wirtschaftlichen Gründen in ein fremdes Land führte, sondern lediglich in seinen Herkunftsort Bethlehem wegen einer Volkszählung!“

„Peronistischer, obamaliebender Volkstribun“

So der Journalist Antonio Socci auf Facebook. Der „peronistische obamaliebende Volkstribun“ ist kein Geringerer als Papst Franziskus. In der Weihnachtspredigt während der Christmette im Petersdom hatte er – nicht gerade überraschend – über die Flucht von Maria und Josef gesprochen und über die Geburt des Christkindes in einem Stall, weil es in Bethlehem für die kleine Familie nirgendwo ein Obdach gab. Und – auch dies nicht überraschend, aber für Socci offenbar eine Zumutung – nahm dies zum Anlass, um an das Schicksal von Millionen Menschen zu erinnern, die heute wegen Kriegen, Verfolgung und Armut ihr Haus und ihre Heimat verlassen müssen. Fremden, Geflüchteten, Armen und anderen Schutzbedürftigen solle man beistehen und „auf sie achtgeben“, ermahnte der Papst.

Socci sieht darin eine „Obsession“. Und unterstellt, der Papst handele „auf Befehl“. Von wem, sagt er nicht. Diego Fusaro, der für das rechte Blatt „Libero“ schreibt, schon: „Francescos Predigt ist mehr von Soros als von Christus inspiriert“, twitterte er. Der amerikanische Milliardär und Betreiber internationaler Stiftungen wird von der radikalen Rechte in Europa oft als weltweit agierender Strippenzieher dargestellt: Er wolle mit seinem Werben für eine offene Gesellschaft in Wahrheit die europäischen Länder ins Chaos stürzen, v. a. dadurch, dass sie von Migranten und Flüchtlingen „überflutet“ werden. Nun soll er also auch den Papst fernsteuern und ihm den Text für die Weihnachtspredigt diktiert haben. Wer ist da von paranoiden Obsessionen geplagt?

Socci und Fusaro sind nur zwei Beispiele, andere erzkonservative Publizisten und Politiker reagierten ähnlich. Und setzten damit eine Flut von Kommentaren in Gang, die es in sich haben. „Wie lange wird es (mit diesem Papst, Anm. MH) noch dauern?!“ fragt ein Anonymus. „Hoffentlich nicht lange“ lautet die eindeutige Antwort. Weitere Kostproben: „In ein paar Jahren werden wir in der Krippe zwischen den Hirtenfiguren auch Schwulen und Lesben sehen!“ oder „Josef ließ aber nicht seine Frau allein, um vor den Supermärkten zu betteln, mit den Kopfhörern seines Smartphones in den Ohren!“.

Woher der Hass?

Dass im „tief katholischen“ Italien Päpste nicht nur kritisiert, sondern mitunter unflätig beleidigt wurden, ist an sich nichts Neues. Jeder, der Rom kennt, kennt auch die Statue des Pasquino in der Nähe der Piazza Navona, an der seit dem Mittelalter die Römer ihre bissig-wütende Zettelbotschaften „gegen die da oben“ anhefteten. Meist gegen den jeweils amtierenden Papst. Allerdings ging es damals um Päpste, die – selber im ausschweifenden Luxus lebend – ihre Untertanen hemmungslos unterdrückten und ausbeuteten. Spätere äußerte sich Papst-Kritik – zumindest in der Öffentlichkeit – „sachlicher“, ohne so heftige persönliche Angriffe wie jetzt bei Bergoglio. Sogar der in Italien ungeliebte „Papa tedesco“ blieb davon verschont.

Nicht aber Franziskus. Das liegt einerseits an Franziskus selbst, der – wie sein Namenspatron – durch klare Worte und „unorthodoxe“ Stellungsnahmen polarisiert. Aber auch an dem veränderten kulturell-politischen Klima, das inzwischen dominiert.

Schon viele Päpste vor Franziskus haben die Weihnachtsgeschichte zum Anlass genommen, um an die Verantwortung gegenüber Fremden und Schutzbedürftigen zu erinnern, so auch Ratzinger in der letzten Weihnachtsansprache kurz vor seinem Rücktritt: „Wir sind von uns selbst so 'erfüllt', dass für Gott kein Platz bleibt. Und daher gibt es auch für die anderen kein Platz, für die Kinder, die Armen, die Fremden... Beten wir zu Gott, auf das wir Ihn auch in denen erkennen, durch die Er sich an uns wendet: die Kinder, die Leidenden, die Ausgeschlossenen dieser Welt“, sagte er damals. Reaktionen auf diese Rede wie auf die von Bergoglio sind nicht bekannt.

Das mag auch an der besonderen Kraft liegen, welche die Worte und die Persönlichkeit des argentinischen Papstes ausstrahlen. An diesem Papst kommt keiner vorbei, Ignorieren ist keine Option. Das wissen auch seine Gegner. Diese Kraft kommt in seiner diesjährigen Weihnachtspredigt gut zum Ausdruck. Daher hier zum Abschluss einige Passagen (in der deutschen Version seiner Rede, die der Vatikan veröffentlichte):

Franziskus Weihnachtsbotschaft

„... Auf das kaiserliche Dekret hin sahen Maria und Josef sich genötigt aufzubrechen. Sie mussten ihr Volk, ihr Haus und ihre Heimat verlassen und sich auf den Weg machen zur Volkszählung...

Der Sohn Gottes musste in einem Stall zur Welt kommen, weil die Seinen keinen Platz für ihn hatten... Und dort, inmitten der Dunkelheit einer Stadt, die für den weit gereisten Fremden weder Raum noch Platz hat, inmitten der Dunkelheit einer sehr bewegten Stadt, die … dadurch aufgebaut wird, dass jeder nur auf sich bedacht ist, gerade dort entzündet sich der revolutionäre Funke der Zärtlichkeit Gottes. In Bethlehem tat sich da ein kleiner Lichtblick auf für jene, die ihr Land, ihre Heimat und ihre Träume verloren haben ...

Hinter den Schritten von Maria und Josef verbergen sich viele Schritte. Wir sehen die Spuren ganzer Familien, die auch heute gezwungen sind, von zu Hause wegzugehen. Wir sehen die Spuren von Millionen Menschen, die nicht freiwillig gehen, sondern gezwungen sind, sich von ihren Lieben zu trennen, weil sie aus ihrem Land vertrieben werden. In vielen Fällen ist es ein Aufbruch voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft; in vielen anderen Fällen hat dieser Aufbruch nur einen Namen: Überleben. Die aktuellen Nachfolger des Herodes zu überleben, die zur Durchsetzung ihrer Macht und zur Mehrung ihrer Reichtümer nicht davor zurückschrecken, unschuldiges Blut zu vergießen.

Maria und Josef, für die kein Platz war, sind die Ersten, die den umarmen durften, der kommt, um uns allen ein Bürgerrecht (ungenaue Übersetzung: in der italienischen Fassung „documento di cittadinanza“ Anm. MH) zu verleihen. Ihn, der in seiner Armut und Kleinheit aufzeigt und deutlich macht, dass die wahre Macht und wirkliche Freiheit darin bestehen, der Zerbrechlichkeit der Schwächsten respektvoll und hilfsbereit zu begegnen...

Und eben dieser Glaube drängt uns, einer neuen Auffassung des Sozialen Raum zu geben und keine Angst zu haben, neue Formen der Beziehung auszuprobieren, in denen niemand das Gefühl haben muss, in dieser Welt keinen Platz zu haben.... In diesem Kind lädt Gott uns ein, der Hoffnung zu dienen. Er lädt uns dazu ein, auf die vielen Menschen achtzugeben, die unter der Last der Trostlosigkeit so vieler verschlossener Türen aufgegeben haben...

Ergriffen von Freude über dein Geschenk, bitten wir dich, kleines Kind von Bethlehem, dass dein Weinen uns aufwecke aus unserer Gleichgültigkeit und unsere Augen öffne für den, der leidet. Deine Zärtlichkeit wecke unsere Sensibilität und schenke uns, dass wir uns angesprochen fühlen, dich in all jenen zu erkennen, die in unseren Städten, in unserem Alltag, in unseren Leben ankommen. Deine revolutionäre Zärtlichkeit überzeuge uns, dem Ruf zu folgen und uns für die Hoffnung und Zärtlichkeit unserer Leute einzusetzen.“

Als Nichtgläubige danke ich Francesco für seine Worte. Sie sind in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Was man an den geschilderten Reaktionen erkennen kann.

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kurt duschek Mo., 01.01.2018 - 11:27

Egoismus, soziale Kälte und eine nur schwer nachvollziebare Gedankenlosigkeit im täglichen Ablauf ! Im Aufzeigen dieser weit verbreiteten Eigenschaften stimme ich dem Pabst zu, auch wenn ich selbst kein großer Kirchengänger bin.

Mo., 01.01.2018 - 11:27 Permalink
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Karl Trojer Di., 02.01.2018 - 11:35

Kirchliche Fanatiker haben in den letzten 2000 Jahren weltweit viel Unheil zu verantworten. Ihre "Glaubenstreue" entspringt sowohl der Verlustangst als auch der Sucht nach Machterhalt. Die eigentliche Botschaft Jesu Christi, die Menschwerdung der Liebe, ist ihnen fremd...
Karl trojer, Terlan

Di., 02.01.2018 - 11:35 Permalink