Gesellschaft | Flüchtlinge

Flüchtlinge in der EU: ein Faktencheck

Die Zahl der Asylsuchenden hat seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 stark abgenommen, doch es gibt immer noch hunderttausende Menschen, die in der EU Schutz suchen
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Foto: Pixabay

Die Flüchtlingspolitik der EU steht nach wie vor großen Herausforderungen, das zeigen nicht zuletzt die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos oder die prekäre Situation der Flüchtlinge in Bosnien an der Grenze zum EU-Land Kroatien.

Die folgenden Zahlen und Grafiken geben einen Überblick über die Entwicklung der Flüchtlingsstöme in die EU-Länder während der vergangenen Jahre und die derzeitige Situation der Asylwerber/Flüchtlinge in der EU.

Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle in den Jahren 2015 und 2016 ist die Zahl der Asylsuchenden in der EU stark zurückgegangen. Während 2015 und 2016 über 1,2 Millionen Asylanträge gestellt wurden, verringerte sich die Zahl 2017 und 2018 um ungefähr die Hälfte. 2019 kam es mit 698.760 Asylanträgen wieder zu einem Anstieg. Als Folge der Corona-Pandemie sank 2020 der Flüchtlingszustrom in die EU stark. Vor dem Lockdown im März gab es noch einen Anstieg, danach brachen die Zahlen dramatisch ein. Als Folge von Reisebeschränkungen kamen wesentlich weniger Flüchtlinge in die EU. Zudem kam es zu Verzögerungen bei der Verarbeitung der Asylanträge. Im 3. Quartal nahm die Zahl der Flüchtlinge wieder zu.  Insgesamt wurden von Jänner bis Oktober 2020 388.225 Asylanträge in der EU gestellt, das ist um 33% weniger als im selben Zeitraum 2019.

Welche EU-Länder sind die wichtigsten Zielländer von Asylsuchenden?

Wie schon in den vergangenen Jahren steht Deutschland an erster Stelle bezüglich der Asylanträge. 24,3% aller Asyl-Erstanträge in den ersten 3 Quartalen 2020 wurden in Deutschland gestellt. An 2. Stelle rangiert Spanien mit 20,8%, gefolgt von Frankreich mit 19,2%. Auf diese 3 Länder entfielen fast 2 Drittel aller Asylanträge. Dann folgt Griechenland mit 10%, Italien mit 4,7%, Schweden mit 3,6%, die Niederlande mit 3,2%und Österreich mit 2,7%. Schlusslicht waren Estland (30 Asylwerber) und Ungarn (100 Asylwerber) und Lettland (110 Asylwerber).  

Betrachtet man die Asylwerber bezogen auf die Einwohnerzahl der Zielländer, liegen Zypern, Malta und Griechenland an erster Stelle, dann folgen Spanien, Luxembourg, Slowenien, Schweden, Deutschland und Österreich.

Aus welchen Ländern kommen die Asylsuchenden, wie ist ihre alters- und geschlechtsmäßige Zusammensetzung?

Von den fast 700.000 Asylwerbern in der EU im Jahre 2019, stammten die meisten aus Syrien, dann folgten Afghanen und Venezolaner. In den bis jetzt vorhandenen Zahlen für 2020 ist die Aufteilung nach Ländern ähnlich wie 2019.

2019 waren mehr als drei Viertel (77,3 %) der Asylerstantragsteller in der EU-27 jünger als 35 Jahre, fast ein Drittel (30,3%) der Antragsteller waren minderjährig.

Bezüglich der Geschlechteraufteilung der Asylsuchenden entfielen 61,9 % auf Männer und 38,1 % auf Frauen.

Ende September 2020 waren 790.800 Asylverfahren in der EU unerledigt, das ist immerhin 14% weniger als im September 2019, doch die Asylverfahren dauern immer noch zu lange.

Aus welchen Ländern stammen die Flüchtlinge, die 2019 einen positiven Asylentscheid erhalten haben?

Laut Eurostat, der Statistikbehörde der EU, wurden 2019 295.800 Asylanträge positiv entschieden, das entspricht 38,1 % der erstinstanzlichen Anträge. Den Asylbewerbern wurde entweder ein Flüchtlingsstatus (48%) zuerkannt, subsidiärer Schutz (28%) oder ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen (25%) gewährt*.

Verglichen mit 2018 (316 200 positive Asylentscheide), verringerten sich die positiven Entscheide um 6%.

27% der positiven Bescheide erhielten im Jahre 2019 Asylwerber aus Syrien, Afghanen waren mit 14% an 2.Stelle, Venezolaner kamen mit 13% auf Platz 3. Über die Hälfte der Flüchtlinge, die in den EU-Ländern Schutz fanden, stammen aus Ländern des Mittleren Ostens.

Mit 116.200 oder 39% stand Deutschland bei der Gewährung der positiven Asylentscheide in the EU an erster Stelle, gefolgt von Frankreich (42.100 oder 14%), Spanien (38.500 der 13%) und Italien (31.000 oder 10%). Diese 4 EU-Mitgliedsländer machten zusammen mehr als 3 Viertel aller positiven Asylentscheide in der EU aus.

71% der positive Asylentscheide für syrische Asylwerber wurden in Deutschland ausgestellt. Auch für Afghanen gab es mit 41% den höchsten Anteil an positiven Entscheiden in Deutschland, während 94% aller positiven Entscheide für Venezolaner in Spanien gewährt wurden.

Gibt es eine Lösung der Flüchtlingsproblematik?

Die Flüchtlingspolitik ist eines der umstrittensten Themen in der EU, in vielen Fragen gibt es keinen Konsens zwischen den Mitgliedsländern. Aber auch in den einzelnen Ländern der EU sind sich die politischen Parteien uneinig über das Vorgehen in der Flüchtlingsfrage. Seit der Flüchtlingswelle 2015/2016 setzt die EU stärker auf eine Abschottung ihrer Außengrenzen mit teilweisem Erfolg, der sich in wesentlich geringeren Asylanträgen widerspiegelt. Es gibt keine einfachen Lösungen in der Flüchtlingsfrage, weshalb die EU bei diesem Thema bis jetzt keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt hat. Und so wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Brüssel wohl noch oft über dieses Thema verhandelt werden.

* Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Asylwerber in einem EU-Land bleiben zu dürfen.

Auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK) wird Asylsuchenden Flüchtlingsschutz zuerkannt, wenn ihr Leben oder ihre Freiheit in ihrem Herkunftsland aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung bedroht ist.

Subsidiärer Schutz nach EU-Recht: Den Status „subsidiärer Schutz“ erhalten Asylwerber, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Diese Personen werden nicht persönlich verfolgt, sind aber durch die Verhältnisse in ihrem Herkunftsland in Lebensgefahr, beispielweise durch Krieg.

Eine Aufenthaltserlaubnis für Asylwerber kann auch aus humanitären Gründen gewährt werden.

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Thomas Benedikter Do., 07.01.2021 - 21:56

Danke für diesen daten- un faktenreichen Beitrag. Nach den Ausnahmejahren 2015 und 2016 hatten sich die Asylanträge drei Jahre lang auf eine Art mehrjährigen Durchschnitt von knapp 700.000 eingependelt, brüsk halbiert im vorigen Jahr wegen Covid 19.
Wichtig in diesem Zusammenhang und zu Recht unterstrichen von der Autorin ist der Zusammenhang mit der Anerkennungsrate, die mit 38,1% gegenüber 2018 weiter gesunken ist (in der 2. Instanz werden allerdings noch weitere anerkannt). Sie liegt auch bei Antragstellern aus Ländern in Kriegszustand inzwischen ziemlich niedrig. M.a.W. zwei Drittel der Antragsteller wollen das Asylrecht für eine Arbeitsmigration nutzen, was die Behörden und Gerichte eben nicht akzeptieren. Nach der Pandemie wird der Emigrationsdruck steigen, weil viele Länder im Süden wirtschaftlich gelitten haben, Arbeitslosigkeit und Armut gestiegen sind.
Die Autorin fragt zum Schluss: gibt es eine Lösung der Flüchtlingsproblematik? Natürlich muss Europa und die EU darauf eine Antwort im Sinne ihrer Grundwerte, der Menschenrechte und Genfer Konvention finden. Aber quantitativ bedeutsamer bleibt die Migrationsproblematik. Die EU will irreguläre Migration in diesem Umfang nicht mehr zulassen und hat dafür auch gute Gründe. Z.B. die rund 4 Millionen irregulären Migranten (meist abgelehnte Asylbewerber), die sich schon seit Jahren in der EU aufhalten (vgl. Pew Research Center (November 2019), Europe’s Unauthorized Immigrant Population Peaks in 2016, Then Levels Off. www.pewresearch.org). Die Zukunft liegt in der partnerschaftlichen Anwendung des UN-Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migration, unterzeichnet von 164 Staaten am 10.12.2018. Die EU und alle Mitgliedsländer sind aufgerufen, diesen enorm wichtigen Pakt konkret umzusetzen.

Do., 07.01.2021 - 21:56 Permalink