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"Der stille Tod der Fische"

Christoph Walders Dokumentarfilm zeigt die Auswirkungen von Uferverbauungen und Wasserkraftwerken am Inn; aus Sicht der Fische.
Was Fische wollen
Foto: ecotone

Wenn Fische schreien könnten, dann wäre das Inntal oft ein schneckenerregender Ort. Mit diesen Worten stellt sich der Dokumentarfilm “Was Fische wollen”, der am Mittwochabend um 20 Uhr im Filmclub Bozen erstaufgeführt wird, vor.

Die Dokumentation des Innsbrucker Biologen und Filmemachers, Christoph Walder, zeigt das Leid, dem Millionen von Fischen Jahr für Jahr durch Uferverbauungen und den Betrieb von Wasserkraftwerken ausgesetzt werden. Und zwar: aus der Sicht der Fische. Salto.bz hat vorab mit dem Regisseur gesprochen.

 

Salto.bz: Der Titel des Films lautet: “Was Fische wollen”. Was wollen Fische denn?

Christoph Walder: Fische wollen sauberes Wasser. Nicht regierte Flüsse. Natürliche Uferbänke, wo sie laichen können. Und einen Fluss, in dem genügend Nahrung vorhanden ist. Es ist relativ einfach, herauszufinden, was Fische wollen. Das Problem ist, dass ihnen all das in weiten Teilen der europäischen Flüsse genommen wird. So auch am Inn. Ich habe diesen Film gedreht, um dieses Problem aus der Sicht der Fische darzustellen.

 

Das, was Fische wollen, ist den menschlichen Bedürfnissen nach Sicherheit und Energie gegenübergestellt: Uferschutz oder die Verwendung von Wasserkraft zum Beispiel. Kann dieser Konflikt überwunden werden?

Es gibt verschiedene Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Fischbestände in kurzer Zeit so dramatisch eingebrochen sind. Wo zuerst Tausende waren, kommen heute nach 20-30 Jahren nur noch Einzeltiere vor. Das zeigt, dass die Natur ein Problem hat; und wir mit ihr. Aber es müsste alles nicht so sein! Wir hätten die Möglichkeit, das Ganze anders, besser zu gestalten. Natürlich brauchen wir Strom und natürlich müssen wir uns vor Hochwassern schützen, aber es gibt Möglichkeiten, um beiden Bedürfnissen - den menschlichen und den tierischen - gerecht zu werden.

Im Film wird das Massensterben der Jungfische dokumentiert, das der Betrieb von Wasserkraftwerken mit sich zieht. Ein vermeidbarer Tod?

Zunächst mal ist es ein sehr stiller Tod. Das war das Erschreckendste für mich. Die wenige Zentimeter großen Fische sterben durch die Schwallereignisse, die durch den Betrieb von Speicherbecken verursacht werden. Einige wenige Jungtiere überleben diesen ersten Schock. Sobald das Kraftwerk aber ausgeschaltet wird und der Wasserspiegel wieder sinkt, verrecken die Fische auf den Schotterbänken zu Millionen! Allein in Österreich sind es laut Schätzungen des WWF etwa 200 Millionen Jungfische, die jedes Jahr durch die von Wasserkraftwerken ausgelösten Druckwellen sterben.

Wie muss man sich diese Zahl - 200 Millionen Jungtiere - im Verhältnis zur gesamten Fischpopulation vorstellen?

Streckenweise sind das 100 Prozent! Im Tiroler Oberinntal, dort, wo der Film gedreht wurde, überlebt möglicherweise überhaupt kein Fisch. In anderen Bereichen, wo die Ufergestaltung etwas natürlicher ist, können einige Tiere überleben. Aber insgesamt führt das Ganze dazu, dass ein Großteil der Jungpopulation ganz früh stirbt. Dadurch kann sich keine richtige Population aufbauen. Und das müsste nicht sein.

 

Es ist ein sehr stiller Tod. Das war das Erschreckendste für mich.

 

Liegt in anderen europäischen Gebieten eine ähnliche Situation vor?

Das ist in jedem Gebirge, an allen Flüssen, an denen es Speicherkraftwerke gibt, gleich. Speicher- und Pumpspeicherkrtaftwerke haben zwar viele technische Vorteile, da von einer Sekunde auf die andere, Wasser aus dem Teich abgelassen und Strom erzeugt werden kann. Das Wasser, das dabei abgelassen wird, kommt aber wie ein Tsunami daher. Aber es gibt viel zu wenig Aufmerksamkeit für dieses Thema. Es gibt zwar viele Energiewissenschaftler, die erforschen, wie man das Problem in den Griff kriegen kann. Aber aus Sicht der Naturschützer geht das alles viel zu langsam.

Wie wirkt sich der Tod der Fische auf das Ökosystem aus?

Man muss sich vorstellen, dass es in unseren Flüssen früher nur so wimmelte von Fischen. Wenn die Äschen zum Laichen kamen, war der Fluss oft ganz schwarz! Das kennen wir heute nur noch aus den Lachswanderungen in den Universum-Filmen. Das war bei uns früher aber genauso. All diese Tiere hatten natürlich Millionen von Jungtieren, die einerseits die Population sichern konnten, andererseits aber auch Nahrung für viele andere Tierarten darstellten. Ohne Fische funktionieren unserer Flüsse nicht, sie sind ein überaus wichtiger Teil unseres Ökosystems.

Sie haben angedeutet, dass der Tod vieler Fische vermeidbar wäre. Welche Möglichkeiten gibt es denn beispielsweise, um Wasserkraftwerke schonender zu betreiben?

Man könnte die Betriebsweise der Kraftwerke anpassen. Der Schwall muss nicht immer so heftig kommen und das Wasser könnte langsamer zurückgezogen werden. Auch bauliche Veränderungen - wie beispielsweise der Bau von Ausgleichsbecken - kann eine Lösung darstellen. Dabei wird der Wasserschwall nicht sofort in den Fluss, sondern zuerst in ein Auffangbecken geleitet, aus dem das Wasser dann langsam abgeführt wird. Es gäbe genügend Möglichkeiten, aber sie müssten auch umgesetzt werden.

 

Das heißt, es gibt Möglichkeiten, um sowohl den Fischbestand als auch die Energieproduktion zu erhalten?

Die gibt es. Und es gibt hier auch eine diesbezügliche europäische Vorgabe: Laut der europäischen Wasser-Rahmenrichtlinie müssten diese Wasserschwalle in der EU bis 2027 beseitigt werden. Aber die Energiewirtschaft hat sich zumindest in Österreich viel Zeit gelassen. Es werden immer noch Studien durchgeführt, konkrete Maßnahmen gibt es wenige. Das hilft den Fischen natürlich nicht.

Gäbe es auch kurzfristig umsetzbare Lösungen?

Viele Fischerverbände und auch den WWF setzen sich im Moment für ein Jungfischzeitfenster ein. Das würde bedeuten, dass man in den wenigen Wochen, in denen die gefährdeten Jungfische schlüpfen - das sind in etwa sechs bis sieben Wochen im Jahr - den Schwallbetrieb zurückfährt oder ganz aussetzt. Das könnte sofort umgesetzt werden.

Woher rührt der Widerstand gegen solche Lösungen?

Es kostet Geld. Die Energiewirtschaft würde durch die Zeitfenster eingeschränkt und so weniger Geld verdienen und auch der Bau der Becken kostet Geld. Die Energiewirtschaft ist natürlich profitorientiert, das ist ja klar. Dadurch entsteht aber ein Interessenkonflikt.

Werden hier Tierwohl und die Produktion von erneuerbaren Energien gegeneinander ausgespielt?

Das ist Ansichtssache. Der Film will nicht anklagen; er will etwas dokumentieren, das passiert und so zur Lösung des Problems beitragen. Ich glaube, dass es wichtig ist, aufzuzeigen, was die Gesellschaft bereit ist, zu akzeptieren. Auch erneuerbare Energien sind nicht ohne Auswirkungen; weder Wind- noch Wasserkraft. Die Wasserkraft hatte über viele Jahrzehnte ein heiliges Image: “Da passiert überhaupt nichts”. Das stimmt natürlich nicht. Auch mit dem Ausbau der Wasserkraft muss sorgsam umgegangen werden. Und genau darum geht es im Film. 

Wir sprechen hier speziell über die Auswirkung von Wasserkraftwerken auf die ganz kleinen Fische. In Ihrem Film geht es eigentlich um viel, viel mehr. Welches Bewusstsein möchten Sie durch den Film erzeugen?

Die Fische haben es wirklich schwer! Das Leben unter Wasser ist für die meisten Menschen eine unbekannte Welt. Mit jeder Maus, die piepst und mit jedem Vogel, der zwitschert, kann ich in Kontakt treten. Bei Fischen ist das nicht der Fall. Deshalb gibt es hier kaum ein Bewusstsein. Und genau dieses Bewusstsein möchte ich fördern.

 

Viele Menschen fahren zum Schnorcheln in die Malediven und wissen dabei gar nicht, was es bei uns für farbenprächtige Fische gibt!

 

Es ist ein sehr leises Thema, über das kaum gesprochen wird. Dazu kommt: Viele Szenen, die im Film gezeigt wurden, waren vorher noch undokumentiert. Wie sind Sie selbst auf das Thema gestoßen?

Ich wollte immer schon einen Film über den Inn drehen. Wie viele Biologen habe auch ich einen Ort, der mich für die Natur begeistert hat. Und das war bei mir der Inn. Ein befreundeter Fischer hat mich dann für das Thema der Fische begeistert. Viele Menschen fahren ja zum Schnorcheln in die Malediven und wissen dabei gar nicht, was es bei uns für farbenprächtige Fische gibt!

Als Innsbrucker sind Sie selbst auch am Inn aufgewachsen. Welche Bilder sind seitdem aus dem Flussbild verschwunden?

Das sind leider einige. Ich kann mich noch gut an die Inn-Auen erinnern, die später aufgestaut wurden. Es gibt ganz viele Bereiche, wo wir früher gespielt haben und als Kinder ins Wasser gesprungen sind. Das war ja saukalt! Heute sind viele dieser Flussteile verbaut. Diese Erinnerungen haben mich aber dazu motiviert, mich für den Inn einzusetzen. Dank einiger Naturschutzaktionen haben wir es vor Kurzem auch endlich geschafft, große Teile des Inns per Gesetz unter Naturschutz zu stellen. Aber viele Bereiche haben sich in der Zwischenzeit leider zum Schlechteren entwickelt.

Ein Film über Fische ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Warum sollten wir uns den Film trotzdem ansehen?

Der Film ist in erster Linie eine Liebeserklärung an den Inn und seine Fische. Wenn man irgendwie erahnen will, was in den letzten 250 Jahren mit dem längsten Alpenfluss passiert ist und was man wiederherstellen könnte, dann bietet der Film eine gute Grundlage. Man kann sich heute gar nicht vorstellen, wie fischreich und divers der Fluss noch vor 100 Jahren war! Zudem ist es einer der wenigen Filme, die tatsächlich draußen in der Natur, hier bei uns unter Wasser gedreht wurden. Und man sieht eigentlich zum ersten Mal, was diese Schwallereignisse tatsächlich in der Natur bewirken. Wenn der Film hierfür ein wenig Bewusstsein schaffen kann, dann hat er seinen Zweck schon erreicht. 

 

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Peter Gasser Do., 27.01.2022 - 09:43

Ein wichtiger Beitrag, ich muss den Film sehen.
Sie schreiben:
“ Viele Fischerverbände und auch den WWF setzen sich im Moment für ein Jungfischzeitfenster ein. Das würde bedeuten, dass man in den wenigen Wochen, in denen die gefährdeten Jungfische schlüpfen - das sind in etwa sechs bis sieben Wochen im Jahr - den Schwallbetrieb zurückfährt oder ganz aussetzt. Das könnte sofort umgesetzt werden”:
Ich möchte dies vorsichtig ergänzen, am konkreten heimischen Beispiel Etsch oder Eisack: die (Marmorierte) Forelle laicht im Herbst, schlüpft im Frühjahr, die Äsche (die “Esche” ist ein Baum, könnte man dies im Artikel korrigieren?) laicht im Frühjahr, schlüpft im Frühsommer: so bräuchte es dieses “Jungfischzeitfenster” schon 2 Mal.
Die Gefährdung des Jungfisches durch den Schwallbetrieb geht allerdings weit über die ersten Lebenswochen hinaus, aber es wäre sicherlich ein guter Anfang.
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Der Schwallbetrieb lässt zudem für die Forelle bereits im Herbst und Winter die Laichgelege vielerorts trockenfallen, der Schutz müsste also schon weit vor dem Jungfischstadium greifen.
Der Schwallbetrieb ist in der Tat eines der großen Hindernisse für eine (über)lebensfähige Fischpopulation.

Do., 27.01.2022 - 09:43 Permalink