Umwelt | Verfall

Ruinenlandschaft Südtirol

Die oft gepriesene Natur- und Kulturlandschaft Südtirols verkommt mancherorts zu einer Ruinenlandschaft. Beispiele aus dem Ultental, Dorf Tirol und Bozen.
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Der verfallene Schmiedhofstadel (2022)
Foto: Franz Berger

Ein besonders auffallendes Zeichen des Verfalls findet sich in Ulten, kurz vor Kuppelwies, direkt neben der Straße: Der stattliche Stadel des Schmiedhofs bricht langsam, aber sicher zusammen. Keine schöne Visitenkarte für das Tal mit seiner ursprünglichen Höfe-Landschaft! Wie konnte es soweit kommen? Nach dem Konkurs des Sägewerks wurde der Schmiedhof 1985 versteigert. Den neuen Besitzer, einen reichen Obstbauern aus Lana, interessierte nur der Wald. In die Instandhaltung der Gebäude investierte er nie einen Cent. Und so ist der Stadel allmählich zu einer Ruine verkommen. Auch die Erben des 2010 verstorbenen Stöcklhof-Bauern in Lana zeigten bisher keine Sensibilität für die bäuerliche Baukultur in Ulten und lassen den Stadel vor aller Augen zusammenfallen. Eine Unverschämtheit!

 

Der zusammenstürzende Stadel des Schmiedhofs ist kein Einzelfall. Allein im Ultental gibt es ein Dutzend Gebäude, die einfach verfallen: Häuser, Städel, Almen. Das krasseste Beispiel ist die Ruine Mittelbad in St. Pankraz, im 19. Jahrhundert das beliebteste Heilbad im deutschen Raum. Mit erlauchten Gästen aus Adel, Politik und Kultur. So waren u. a. Kaiserin Elisabeth von Österreich, der junge Otto von Bismarck sowie Thomas und Heinrich Mann dort Gäste. Nach dem Ersten Weltkrieg wechselten die Besitzer häufig, das Bad verlor seinen Glanz. Es wurde noch bis 1971 betrieben, zuletzt von den Barmherzigen Schwestern.  Nach erneutem Besitzerwechsel vor 50 Jahren steht es leer und verfällt. Vom einstigen Promi-Bad ist eine Ruine im Wald übriggeblieben, mit grauenhaften Bildern des Verfalls.

 

Aber auch in anderen Gemeinden stehen weithin sichtbare Ruinen, so u. a. in Dorf Tirol mit dem seit Jahren dem Verfall preisgegebenen Johanneum. Die Besitzer um die Familie Gostner finden keine Lösung, die Gemeinde ist machtlos. Für eine Tourismusgemeinde ist der Anblick dieser unübersehbaren Dauer-Ruine alles eher als eine gute Werbung.

 

Mit der bekanntesten Ruinenlandschaft in Südtirol kann sich aber Bozen rühmen. Der seit Jahrzehnten dem Verfall preisgegebene Hausberg Virgl ist DAS Symbol dafür, wie man in Südtirol häufig mit ruhmreicher Geschichte, natürlichen Ressourcen und verpassten Chancen umgeht und lieber eine Müllhalde vor der Haustür hat als etwas Neues. Vor dem Ersten Weltkrieg war der Bozner Hausberg ein beliebtes Ausflugsziel und wurde 1907 mit einer Zahnradbahn erschlossen, die 1955 durch eine Seilbahn ersetzt wurde. Es folgte eine zweite Blütezeit mit Hotel, Panorama-Restaurant, Terrassencafé, Schwimmbad und Tennisplätzen. Nach Stilllegung der Seilbahn 1976 begann der Untergang. Hotel und Restaurant wurden geschlossen und gerieten in die Hände von Spekulanten. Später wurden auch die Sportplätze aufgegeben. Seitdem ist das Areal dem Verfall preisgegeben und zu einer Müllhalde mutiert. 2010 wollte eine Gruppe um Peter Thun aus dem Virgl einen „Märchenhügel“ mit Hotel und Kongresszentrum machen, scheiterte aber an den politischen Widerständen in Bozen. 2011 erstellte Rudolf Benedikter als Virgl-Beauftragter der Stadtgemeinde ein Konzept zur Neugestaltung und Wiederbelebung des Virgls, das aber bis heute Papier blieb. So ist der Virgl ein weiteres Jahrzehnt verfallen. 

 

2014 hat der Investor Renè Benko auf dem Virgl ein großes Areal gekauft und will dort ein Kulturquartier und Naherholungsgebiet verwirklichen. „Das darf nicht sein!“ schreit eine Lobby von Bozner Kaufleuten, Politikern, Architekten, Heimatpflegern und Naturschützern und versucht, das Vorhaben zu verhindern. Mit Presseaussendungen, Offenen Briefen und schönen Heiße-Luft-Konzepten will man den Hügel über Bozen zu einem „naturnahen Ort der Erholung für die Bürgerinnen“ machen. Klingt gut! Solange aber ein finanzierbares Projekt fehlt, hat dies zur Folge, dass die Terrasse von Bozen für weitere Jahrzehnte verfällt.

 

Was kann gegen all die Bauruinen im Lande unternommen werden? Rechtliche Mittel gibt es anscheinend keine. Es gibt auch keine Lobby, die gegen diese Beispiele des Verfalls wirksam ankämpft. Die Verbände, die solche Wunden in der Kulturlandschaft anprangern müssten, sind in dieser Hinsicht zu still. Ich meine den Dachverband für Natur- und Umweltschutz, den Heimatpflegeverband und den Alpenverein. Diese Verbände verbünden sich regelmäßig zu lauten Protesten gegen die Erschließung von Almen, den Bau von Hotelanlagen im Grünen und den Neubau von Schutzhütten, die nicht ihrem Geschmack entsprechen. Der Einsatz von Heimatpflegern gegen Verfall oder Verlust von Gebäuden und Ensembles wird vergleichsweise zu wenig unterstützt.

 

Und was tun die Parteien gegen den sichtbaren Verfall der Heimat? Herzlich wenig! Von den Grünen würde man viel mehr Engagement erwarten. Die anderen Oppositionsparteien schweigen, wohl weil sie jedes Beispiel des Verfalls an ihr eigenes Schicksal erinnert. Die SVP vergeudet ihre ganze Energie für die Aufarbeitung von Skandalen und die Positionskämpfe Pro & Contra Landeshauptmann. Die offizielle Landespolitik schließlich hält sich bei diesem Thema zurück. Die landesweit sichtbaren Exempel des Verfalls von Gebäuden, der Überdüngung von Almwiesen und der Verwahrlosung von Wäldern sind für die Damen und Herren in Landtag und Landesregierung keinen müden Gedanken wert. Man beschließt einen schlecht durchdachten Bettenstopp. Aber man hat keine Idee, wie man den Verfall der Kulturlandschaft stoppen kann. Das muss sich ändern!  Oder wollen wir warten, bis die Sendung „Piazzapulita“ von La7 einem staunenden italienischen TV-Publikum die vielen Zeichen des Verfalls in Südtirol vor Augen führt? „Il Sudtirolo delle rovine!“ 

 

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train watcher Fr., 04.02.2022 - 10:48

Ich würde noch das Ex-Bahnbetriebswerk und das Ex-Dopolavoro Ferroviario in Meran hinzufügen. Die Ruinen sind ein grauenvoller Anblick für die Bahnreisenden und ein Schandfleck für die Kurstadt.

Fr., 04.02.2022 - 10:48 Permalink
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Georg Mair Sa., 05.02.2022 - 14:29

In Weißbrunn in Ulten kann man auch ein Panoramabild des Verfalls machen. Nur die Gebäude der Alperia machen dort gute Figur!

Sa., 05.02.2022 - 14:29 Permalink
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G. D. Di., 08.02.2022 - 10:42

Hinzuzufügen wäre auch die Ruine in der Bozner Drususstraße, kurz vor der Kreuzung mit der Sorrentostraße, links, Richtung Meraner Kreuzung fahrend.
Ich glaube, vor vielen Jahren war da mal ein Supermarkt untergebracht. Ein altes Gebäude, verschmiert, vollkommen heruntergekommen, eingeschlagene Fensterscheiben, verdreckter Grund. Jedenfalls ist das ein Schandfleck in einer der wichtigsten Zufahrtsstraßen der Stadt.
https://www.google.de/maps/@46.4949718,11.3291691,3a,75y,175.34h,96.77t…

Di., 08.02.2022 - 10:42 Permalink