Kultur | salto Gespräch

„Wir leben von Begegnungen“

Der ost west club est ovest Meran/o feiert seinen 40. Geburtstag. Thomas Kobler erzählt von Freiräumen, gesellschaftspolitischen Aufträgen und der bevorstehenden Zukunft.
Ost west Club
Foto: Nicolas Rizziero

salto.bz: 40 Jahre ost west club est ovest Meran/o – was für ein Jubiläum. Was hat sich verändert im Laufe der Jahre?
Thomas Kobler: Also 1982 war ich selbst noch nicht geboren. Ich bin jetzt seit knapp zehn Jahren fix mit dabei. Vorher war ich circa drei bis vier Jahre als Besucher viel im Klub. Ich kann dir sagen, was sich dort verändert hat, und das ist ziemlich viel. Zum einen, dass der Verein feste Strukturen bekommen hat und seit dem Jahr 2014 hauptamtliche Mitarbeiter, das gab es beispielsweise vorher auch nicht. Zum anderen ist der Verein natürlich gewachsen – an Mitgliedern, am Programm mit der Tätigkeit. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Akzeptanz. Der ost west club ist mittlerweile in Bezug auf die Mitgliederzahlen der größte Kulturverein der Stadt, ich glaube sogar im Land. Und mit diesem Fakt steigt natürlich auch das Interesse der Öffentlichkeit am Verein.

Warum wurde der ost west Club damals überhaupt gegründet?
Es gab in jener Zeit Vereine, die konfessionell gebunden waren, Jungscharen zum Beispiel. Und dann gab es eine Gruppe von deutschsprachigen und italienischsprachigen Jugendlichen, die nicht in diesen konfessionell gebundenen Räumen unterwegs waren bzw. nicht dort Mitglieder sein wollten. Diese Jugendlichen fuhren dann oft nach Vorarlberg, Innsbruck, um in den dortigen Jugendzentren abzuhängen. Sie sahen, dass diese super funktionierten und wollten diese Idee nach Meran, nach Südtirol bringen.

Außerdem gab es in jener Zeit eine große Heroinwelle in Meran – sozial gesehen also ziemlich problematisch. Auch der Alkohol war ein großes Thema: Junge Menschen, die mit dem Auto verunglückten. Es gab kein Angebot für progressiv denkende, junge Menschen. Auch der Gedanke, die berühmte Barriere zwischen den beiden Sprachgruppen aufzuheben, stand im Mittelpunkt. Die Trennung von deutschsprachigen und italienischsprachigen Vereinszentren wurde von den jungen Menschen abgelehnt. Es sollte eine gemeinsame Gruppe entstehen, die zusammen Musik spielt, sich über aktuelle politische Themen auseinandersetzt – damals z.B. Anti-Atombewegung, Gründung der Grünen in Deutschland – usw. Und diese Gruppe wollte eben diese Dinge aufbrechen, diese Auseinandersetzungen auch nach Südtirol bringen und gründete daraufhin den Verein – Achtung – Verein für ein Jugend- und Kommunikationszentrum. Das Wörtchen „für“ ist interessant, weil es das noch niemals gegeben hat bzw. darauf hinweist, dass es noch nie da ist und irgendwann geben soll.
 

Die Trennung von deutschsprachigen und italienischsprachigen Vereinszentren wurde von den jungen Menschen abgelehnt.


Begonnen hat das Ganze dann in der Schillerstraße in Meran in einer kleinen Garage, dann waren sie in einem Raum, der von der Gewerkschaft zur Verfügung gestellt wurde. Aber immer im Kleinen – unbedeutend am Rande. Also die gesellschaftliche Akzeptanz fehlte damals noch ziemlich: „Jo, des sein holt die Jungen, de Linken, de Verruckten, de Spinner.“ Und irgendwann, erst später dann, kam der Vereinsname ost west club est ovest, der suggerieren soll: Alles was zwischen Osten und Westen liegt, findet hier Platz. Wichtig auch, dass es eine zweisprachige Namensgebung sein sollte.

Das Bild der Spinner und der Verrückten beeinflusste den Klub – und vor allem die Menschen, die dort waren, immer erheblich. Dass man nämlich etwas Negatives loswird, braucht Jahre – Jahrzehnte. Beim Positiven ist es umgekehrt. Das kann man innerhalb eines Tages wieder loswerden. Aber wir haben gemerkt, indem wir gesellschaftspolitische Diskurse angeboten haben, Vorträge, Diskussionsrunden usw., dass die Öffentlichkeit, die Presse auf einen aufmerksam wird. Und dann finden Menschen, die eigentlich nichts mit der Kunst- und/oder Kulturszenen zu tun haben, zum Klub, zu uns. Niederschwelligkeit und Barrierefreiheit war und ist uns immer schon ein großes Anliegen gewesen. Um im Klub dabei zu sein, ist es nicht wichtig wie dick deine Geldtasche ist, woher du kommst, welche Sprache du sprichst, welche Hautfarbe du hast, sondern in erster Linie sollst und darfst du Mensch sein. Mit all deinen Problemen, Sorgen, Fehlern, Unzulänglichkeiten. Mehr Menschen, mehr Konzerte, mehr Öffentlichkeit, mehr Geld. Wobei Geld immer ein schwieriges Thema ist.
 


Früher hat der Verein kaum öffentliche Förderungen bekommen. Es waren manch‘ versprengte Lire dabei, diese sind aber nicht der Rede wert. Der Wechsel bei den Landtagswahlen 2013 von Kasslatter Mur zu Achammer hat dann etwas bewirkt. Philipp Achammer hat sich für die Jugendkultur und vor allem für neue Ansätze im Kulturbereich eingesetzt. Mit der Gemeinde Meran herrschte in den vergangenen Jahren nicht immer ein einfaches Verhältnis, aber auch das hat sich zusehends gebessert und wir sind da mittlerweile auf einem sehr guten Weg. Grundsätzlich war es aber mit dem Land zu verhandeln, schon wesentlich einfacher. Vor allem auch der damalige Amtsdirektor Klaus Notdurfter und Achammer haben relativ schnell erkannt, dass der Klub ein unterstützenswertes Projekt ist, das der Gesellschaft insgesamt viel zurückgibt.

Gibt es ein Spannungsfeld zwischen neuen, jungen Ideen und „alten“ Wurzeln?
Ja, klar. Es gibt die ganz „Alten“, die sagen: „Ihr seid zu Mainstream geworden. Jetzt kommen sogar schon die SVPler hierher.“ Nette Anekdote dazu: Wahlkampf 2015 in Meran: Ein Monat vor den Gemeinderatswahlen hatten wir auf einmal nach einer SVP-Sitzung acht Kravatten-Träger im Klub sitzen, die ihr Feierabend-Bier bei uns trinken und anschließend freundlicherweise ihre Visitenkarten auf den Tischen liegen lassen.

Wo seid ihr zuhause?
Das ist ein Loch. Wir reden von 80-90 Quadratmeter. Heißt konkret, dass nur Mitgliedern der Zutritt gewährt wird. Im Unterschied zum Vereinslokal in der Altstadt bespielen wir dank der Zusammenarbeit mit der Gemeinde Meran mittlerweile in diesem Sommer zum sechsten Mal auch den öffentlichen Raum, Stichwort ost west country club/Sommerresidenz. Aber es hat halt den Großstadt-Berlin-Flair: Wände sind mit Graffiti besprüht, die Einrichtung selbst gebastelt. Mittlerweile sind wir kurz davor, in eine neue Vereinsstruktur umzuziehen. Im Dezember 2019 wurden die Verträge für den Umzug unterschrieben. Hoffentlich beginnen die Bauarbeiten noch in diesem Frühjahr, sodass wir in ein bis zwei Jahren dort einziehen können. Es geht ins Bersaglio-Gebäude.

 

 

Das Bersaglio-Gebäude. Eine langwierige Geschichte.
Allerdings. Wir hatten eigentlich schon 2015 gesagt, dass wir in dieses Gebäude ziehen möchten. Damals war das Haus nicht begehbar, eine Bruchbude, die den Sicherheitsnormen nicht gerecht werden konnte. Luis Durnwalder schenkt im Jahre 2012 in einer seiner letzten Amtsadministrationen das Gebäude dem SCM, dem deutschen Sportklub. Der SCM hatte damals keine geeigneten Vereinsstrukturen, benötigte aber welche und mit dieser Schenkung waren sie dann da.

Im Schenkungsvertrag steht allerdings, dass dem italienischen Sportverein ASM Merano auch ein Teil dieses Gebäudes zur Verfügung gestellt werden muss. Schwierig und total schwammig formuliert. Es kommt dazu, dass der SCM das Gebäude umbauen will, aber nicht die Gelder dazu hat und daraufhin zur Gemeinde, zum Land mitsamt den Plänen gehen muss. Dort schlägt der SCM vor, den ost west club in das Projekt miteinzuschließen, da dieser ja auch auf der Suche nach einer neuen, größeren Vereinsstruktur ist. Der Landesrat gibt das OK, auch die Gemeinde sagt zu.

Dann aber kommt es zum Konflikt zwischen dem deutschen und dem italienischen Sportklub. Der ASM ist der Meinung, dass seinem Verein zu wenig Platz zugesprochen wurde. Dieser Streit stoppt den ganzen Umbau. Paul Rösch will diesen Konflikt zwischen den zwei Sportvereinen nicht mit Geld zuschütten, das Projekt ist gestorben. ASM wird letztlich doch noch überzeugt mitzumachen und wird einen kleinen Teil der Struktur auch nutzen. Der ost west club hätte eigentlich schon im Oktober 2021 saniert werden sollen. Dann aber erhalten wir zu Baubeginn die Nachricht, dass die Baufirma nicht mit dem Umbau beginnen kann, weil das Gebäude zu nah an den Bahngleisen steht. Die Pläne wurden umgestaltet, nach Rom geschickt. Das dauert wiederum zwei bis fünf Monate. Aber jetzt gibt es kein Halten mehr. (lacht)

Wer engagiert sich im Klub? Wem ist all die große Mühe zu verdanken?
All diese ganze Arbeit ist jenen zu verdanken, die sich in dieses Projekt hineingestürzt haben und mit Herz und Seele für den Klub gekämpft haben. Auch die Gemeinde Meran hat eingesehen, dass einheimische Menschen besonders in unserer Touristenstadt wie die unsere einen Platz brauchen.
 

Der ost west club est ovest ist ein Ort für alle Menschen.


Wie besteht ihr zurzeit als Klub? Welche sind eure Einnahmen?
Mitgliedsbeiträge, Bareinnahmen, Sponsoring und eben öffentliche Gelder. Wobei ich immer sage, dass überhaupt jetzt mit dem Umzug die Personalstruktur mit den öffentlichen Geldern, also Gemeinde und Land, helfen müssen, dass wir bestehen können. Es macht einfach keinen Sinn, so viel Geld in die Hand zu nehmen, für den Umbau und dann die Personalkosten nicht zu sichern. In Zukunft reden wir dabei von fünf bis sechs Hauptamtlichen, die immer fix da sind – Geschäftsführung, Verwaltung, künstlerische Leitung, Barpersonal, Putzfrau, Hausmeister, technischer Support und so weiter. Bis jetzt haben wir das immer irgendwie gemacht, – jeder a bissele do, a bissele zem. So kann es definitiv nicht weiter gehen und es braucht deshalb auch weiterhin eine vermehrte Unterstützung vonseiten der öffentlichen Hand.

Wie sieht eure Personalstruktur derzeit aus?
Neun Menschen sind Vorstandsmitglieder und drei Arbeiter/innen sind hauptamtlich mit dabei. Ich bin zurzeit Teilzeit angestellt, was mit der Corona-Pandemie zusammenhängt. Vorher war ich Vollzeit. Ganz viel – nicht zu vergessen – wird durch das Ehrenamt abgedeckt. Wir haben viele Mitglieder, die mit diesem Verein eng verbunden sind und jene helfen ganz stark mit.

Der Klub ist einer der wenigen Orte in Meran für alternative Menschen. Sind Sie mit dieser Aussage immer noch zufrieden? Immer noch, weil Sie diesen Satz 2015 in einem Interview gesagt haben.
Das ist in Teilen richtig. Der ost west club est ovest ist ein Ort für alle Menschen. Wie vorhin schon gesagt. Für alle offen, vielfältig, divers, multilingual, sprach- und generationenübergreifend. Das Etikett „alternativ“ ist zwar verständlich, drückt aber nicht die Fülle und Verschiedenheit der Menschen aus, die zu uns kommen.

Wem trifft man im ost west club? Unterschiedlichste Menschen von alt bis jung, von links bis rechts?
Mehr oder weniger ja. Ich denke, dass ein Neo-Nazi nicht zu uns in den ost west club kommt. Und wenn einer oder eine kommen sollte, dann hat derjenige oder diejenige bei uns nicht Platz. Wir haben uns als Verein eine rote Grenze gesetzt: Wir diskutieren gerne und sind gesprächsoffen. Aber Faschismus, Nationalsozialismus, Neurechte, Menschen mit fanatischen Ideologien dürfen keinen Platz haben. Aber nach sprachgruppenübergreifend ist das Wort generationenübergreifend eines der wichtigsten Schlagworte. Das jüngste Mitglied – ok, das ist ein Gag, aber egal – ist ein paar Monate alt. Und das älteste Mitglied ist über achtzig Jahre alt.
 

 

Wie sieht Ihr Alltag im ost west club aus? Was machen Sie? 
Ich bin grundsätzlich der künstlerische Leiter des Vereins, kümmere mich aber um zig andere Dinge. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungsbetreuung, Sponsoring und vieles mehr. Zurzeit bin ich, wie bereits gesagt, nur mehr Teilzeit dabei. Vorher war es eine Berufung, mehr als ein Job. Ich bin mit dem Verein tief verbunden, auch mit der Jugend, mit der Stadt Meran. Ich will irgendetwas weiterbringen, was außerhalb der klassischen Südtiroler Box liegt. Im Klub fallen auch ganz oft die Wörter Familie, Wohnzimmer, – also Orte, wo man sich wohlfühlt. Und das genau ist der Punkt. Wir wollen Neues ausprobieren, junge Künstlerinnen auf die Bühne bitten, Basiskultur fördern. Es gibt bei uns immer Platz für Ideen. Es geht einfach um das Sichtbarmachen, um die Anerkennung verschiedenste experimentelle Formate.  

Ihr lebt von Konzerten, Poetry Slams, Vorträgen, Diskussionen. Und dann kam Corona. Wie geht’s weiter?
Ich hoffe, dass wir wieder zu unseren alten Formaten so schnell wie möglich zurückkehren können. Denn in einer Gesellschaft, die sich zunehmend individualisiert, ist es wichtig, Begegnungen zu schaffen, sich auszutauschen, Freiräume zu geben. Der ost west club lebt von menschlicher Begegnung in der Wirklichkeit. Das virtuelle Format soll kein Dauerzustand sein.

Wie wird die Geburtstagsparty 40 Jahre ost west club gestaltet?
Es gibt jetzt im März und April mehrere Veranstaltungen. Das Gründungsdatum ist der 8. März 1982, feiern tun wir am 12. März direkt im Klub mit Torte, Livemusik und einer Liveübertragung der Feier durch Radio Tandem. Dann finden am 22. März, 29. März und 12. April drei Filmabende in der Mairania statt und am 23. April feiern wir im Nikolaussaal mit den langjährigen Weggefährten, wo es ein buntes musikalisches Programm dieser verschiedenen Musiker, mit abschließender offener Jamsession geben wird. Am Samstag, den 30. April gibt es eine große Punk und Metal Geschichte: Dead Like Juliet, Bizarro Welt, WC, Hjiss, Heating Cellar.

 

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△rtim post So., 06.03.2022 - 11:38

Meine Erfahrungen sind — nach H. G. Gadamer — Vergegegnungen.
Ich erinnere mich an On the Road, die Gestaltung und Herstellung von Zeitschriften, Konzerte, die nicht endenden philosophischen Diskurse, die Punk-Zeit ... als es eben noch den Verein für ein Jugend- und Kommunikationszentrum gab.

So., 06.03.2022 - 11:38 Permalink