Umwelt | Energieversorgung

Gegenseitige Abhängigkeit

Die EU importiert einen großen Teil von Gas, Erdöl und Kohle aus Russland, was zu einer starken Abhängigkeit führt, doch auch Russland braucht die Energie-Einnahmen
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Foto: Pixabay

Russlands Energiesektor

Russland, das flächenmäßig größte Land der Welt, verfügt über riesige Erdöl-, Gas- und Kohlevorkommen. Die Erdöl- und Gasvorkommen befinden sich in den verschiedenen Regionen des riesigen Landes: im Ural/Wolga Gebiet im Westen, im Nordwesten, im Nord-Kaukasus, im Gebiet des Kaspischen Meeres, in West- und Ostsibirien und im Fernen Osten. Nicht zuletzt gibt es auch riesige Erdöl- und Gasvorkommen in den Arktischen Regionen Russlands*, wobei die Exploration und die Förderung erst am Anfang stehen. Das Prirazlomnoye Erdöl-Vorkommen ist bis jetzt das einzige Erdölfeld in der Arktis, wo bereits Erdöl gefördert wird. Derzeit konzentriert sich die Erdöl- und Gasförderung hauptsächlich auf Westsibirien und die Ural/Wolga Region. Das rasante Wachstum der Asiatischen Märkte und die damit verbundene steigende Energienachfrage, sowie die Anwendung neuer Technologien führen dazu, dass die Erdöl- und Gasförderung in Ostsibirien, im Fernen Osten Russlands, sowie in den Arktischen Regionen stark ansteigen wird. Neben konventionellen Gas- und Erdölvorkommen verfügt Russland auch über große Schiefergas- und Schieferölvorkommen, deren Förderung noch gar nicht begonnen hat.

Laut Daten der im Energiesektor bekannten Publikation „BP Statistical Review of the World Energy 2021“ ist Russland mit 19,9% weltweit die Nummer eins bei den Gasreserven vor dem Iran (17%) und Katar (13%), bei den Erdölreserven rangiert Russland mit 6,2% an 6. Stelle. Russland hat mit 17% die weltweit zweitgrößten größten Kohlereserven nach den USA (23%).

Russland hat nach den USA und China mit 6,7 Millionen Barrel/Tag die drittgrößte Raffineriekapazität der Welt und exportiert neben Erdöl auch eine beträchtliche Menge an Erdölprodukten.

Der Energiesektor ist in Russland größtenteils in staatlicher Hand. Etwa 81% der gesamten russischen Erdölproduktion wurde im Jahr 2020 von den russischen Firmen Rosneft, Lukoil, Surgutneftegas, Gazprom, and Tatneft gefördert. Der größte russische Erdöl-Konzern Rosneft befindet sich mehrheitlich in staatlichem Besitz. Der weltweit größte Gasexporteur Gazprom, an dem auch der russische Staat die Mehrheit hält, kontrolliert die Gaswirtschaft Russlands weitgehend.

Russland spielt auf den globalen Energiemärkten eine sehr wichtige Rolle. Mit über 11% ist Russland nach Saudi-Arabien weltweit der zweitgrößte Erdölexporteur. Der Anteil an den weltweiten Gasexporten betrug 2020 19%, an zweiter Stelle rangierten die USA, vor Katar. Auch bei den Kohleverkäufen lag Russland mit 17,8% vor Australien und Indonesien im Jahr 2020 weltweit an 3. Stelle.

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Ein großer Teil der russischen Exporte von fossiler Energie wird nach Europa verkauft

Russland ist der wichtigste EU-Lieferant von Erdöl, Gas und Kohle. Laut Daten von Eurostat bezieht die EU über 40% der Gasimporte, fast 30 % der Erdölimporte und fast 50% der Kohleimporte aus Russland. Russland wiederum verkaufte im Jahr 2020 78% seiner Gasexporte nach Europa. Über 50% seiner Erdöl- und Erdölprodukte sowie über 50 % seiner Kohleexporte flossen nach Europa.

Das führt zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, die EU-Länder brauchen vor allem das Gas, aber auch das Erdöl und die Kohle, während Russland die Deviseneinnahmen braucht.

Laut Zahlen der Russischer Zentralbank beliefen sich die gesamten russischen Exporterlöse im Jahr 2021 auf 489,9 Milliarden US-Dollar, wobei die Einnahmen aus Erdöl, Erdölprodukten, Gas und Kohle über 50% ausmachten. Da Europa der Hauptabnehmer der fossilen Energie ist, stammt ein großer Teil der Einnahmen aus Europa.

Schon in der Vergangenheit wurde die starke Energie-Abhängigkeit der EU von Russland, vor allem bei den Gasimporten von verschiedenen Politikern, von den östlichen EU-Ländern sowie von der US-Administration kritisiert. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist die starke Abhängigkeit von russischem Gas erneut in den Fokus gerückt, was dazu geführt hat, dass der deutsche Bundeskanzler das vorläufige Aus der Inbetriebnahme der umstrittenen Gas-Pipeline Nordstream 2 verkündet hat. Zudem wird in der EU schon seit Wochen über Alternativen zu russischem Gas diskutiert, auch weil eine wichtige Gaspipeline aus Russland durch die Ukraine führt und Russland möglicherweise die Gas-Importe verknappen könnte. Die EU versucht mehr Flüssiggaslieferungen von anderen Anbietern (Katar, USA) zu bekommen, sollte es zu Ausfällen bei den russischen Gaslieferungen kommen.

Bei den Gasimporten kann ein Lieferantenwechsel kurzfristig schwierig sein, da es oft an der notwendigen Infrastruktur fehlt. Der Bau von Gas-Verflüssigungsanlagen in den Exportländern und Flüssiggasterminals in den Importländern, sowie der Bau von neuen Gas Pipelines dauert einige Jahre. Bei den Importen von Erdöl/Erdölprodukten und bei Kohle kann der Umstieg auf andere Importländer meist rasch erfolgen. Außerdem gibt es vor allem bei den Erdölproduzenten im Arabischen Golf genügend freie Kapazitäten.

Einige EU-Länder überlegen sogar kurzfristig Kohlekraftwerke oder Atomkraftwerke später als geplant vom Netz zu nehmen, um etwaige Gasimport-Ausfälle zu kompensieren.

Die Eskalation der Ukrainekrise und der Krieg sind zu einem Zeitpunkt gekommen, als die Energiepreise bereits sehr hoch waren, die unsichere geopolitische Lage, sowie etwaige zukünftige Lieferkürzungen könnten die Preise weiter in die Höhe treiben. Erst gestern haben sich die Mitgliedsländer der Internationale Energiebehörde (IEA) ** geeinigt 60 Millionen Barrel Erdöl aus ihren Notfallreserven freizugeben, um eine starke Botschaft an die globalen Ölmärkte zu senden, dass es infolge der russischen Invasion in der Ukraine keinen Versorgungsengpass geben wird. Diese Aktion soll auch dazu beitragen die hohen Erdölpreise auf einem niedrigeren Niveau zu stabilisieren.  

In den kommenden Tagen wird die IEA einen 10-Punkte-Plan veröffentlichen, wie die europäischen Länder ihre Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen bis zum nächsten Winter verringern können.

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Mögliche Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die zukünftige Energieversorgung

Der Ukraine-Krieg bringt nicht nur für die geopolitische Lage eine Zeitenwende, sondern auch im globalen Energiemarkt wird es bedeutende Veränderungen geben. Europas Energiesicherheit steht auf dem Prüfstand, der Energiemix in der EU wird sich wohl schneller als bisher geplant verändern. Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, wird einerseits versucht werden von den bereits bestehenden Gaslieferanten mehr Gas zu importieren. Dabei wird es sich in erster Linie um Flüssiggasimporte (LNG) handeln.  Zudem werden höhere Investitionen in erneuerbare Energie (Windstrom, Solarstrom, Strom aus Wasserstoff etc.) getätigt werden, um den Anteil von erneuerbarer Energie schneller zu erhöhen.

Russland wird im Gegenzug versuchen mehr Gas, Erdöl und Kohle in den asiatischen Raum (China, Indien, Pakistan etc.) zu verkaufen.  Als nach der Krim-Annexion durch Russland im Jahre 2014 von den USA- und der EU-Sanktionen gegen Russland verhängt wurden, beschlossen die Regierungen in Moskau und Peking die erste Gaspipeline („Power of Siberia“) von Russland nach China zu bauen. Die 2200 km lange Pipeline führt von der russischen Teilrepublik Jakutien bis an die chinesische Grenze. Diese Pipeline hat eine Kapazität von circa 61 Milliarden Kubikmetern pro Jahr und wurde in knapp fünf Jahren fertiggestellt. Moskau und Peking werden in Zukunft im energiepolitischen Sektor wohl noch enger zusammenarbeiten.

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* Das Ölfeld Prirazlomnoye wurde 1989 entdeckt. Es befindet sich auf dem Schelf der Peschorasee 60 Kilometer vor der Küste entfernt. Die Eisdecke bleibt hier sieben Monate lang bestehen, wobei das Eis bis zu zwei Meter hoch ist. Die eigens für dieses Projekt konzipierte Prirazlomnaye-Plattform ist speziell für den Betrieb unter diesen Bedingungen ausgelegt. Die Plattform ist so ausgestattet, dass sie alle technischen Abläufe abdeckt, einschließlich Bohrungen, Förderung, Verarbeitung, Lagerung, Entladung des Öls auf Tanker sowie Wärme- und Stromerzeugung. Die Plattform ist dafür ausgelegt, dass bis zu 200 Personen das ganze Jahr über untergebracht werden können. Im Dezember 2013 wurde zum ersten Mal von der russischen Erdölgesellschaft Gazprom Neft Erdöl gefördert.

** Die Internationale Energiebehörde (IEA) wurde 1974 als Reaktion auf den ersten „Ölpreis-Schock“ gegründet. Die IEA-Mitgliedsstaaten verfügen über Notvorräte von 1,5 Milliarden Barrel.  Erst dreimal in der Geschichte der IEA fanden gemeinsame Aktionen statt: 1991, 2005 und 2011. Die Ankündigung einer ersten Freigabe von 60 Millionen Barrel entspricht 2 Millionen Barrel pro Tag für 30 Tage.

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Günther Schwei… Do., 03.03.2022 - 08:50

Vielen Dank Frau Psenner, für Ihren aufschlussreichen Beitrag. Sie führen uns vor Augen, wie wir durch unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen diesen russischen Krieg gegen die Ukraine mitfinanzieren. Italien vor allen durch die Abhängigkeit von russischem Gas, solange es noch fließt...

Do., 03.03.2022 - 08:50 Permalink
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Josef Fulterer Fr., 04.03.2022 - 07:01

Antwort auf von Günther Schwei…

Die hohen Preise von Kohle, Erdöl und Erdgas, sollte für alle Staaten und Bürger der Anlass sein, den Verbrauch radikal herunter zu fahren, um die Erderwärmung zu vermeiden, die erst kürzlich bei der Klimakonferenz in Glasgow erneut beteuert wurde.
Andernfalls drohen gewaltige Umweltprobleme, die weite Teile der Erde unbewohnbar machen und deswegen sehr hohe Flüchtlingsströme auslösen, die auch die sozial eingestellte Bevölkerung der gerade noch bewohnbaren Gebiete in Bedrängnis bringen wird.

Fr., 04.03.2022 - 07:01 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Sa., 05.03.2022 - 19:13

Es ist schon verrückt was derzeit passiert. Wir geben dem Putin Geld für den Krieg und zugleich den Ukrainern Waffen, auch für den Krieg. Die Ukrainer haben sozusagen den Schwarzen Peter gezogen und retten uns den A...

Sa., 05.03.2022 - 19:13 Permalink
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Thomas Benedikter So., 06.03.2022 - 21:53

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

Ausgezeichnete Hintergrundinformationen, vielen Dank. Sowohl der italienischen als auch der deutschen Regierung hat in den letzten 10-15 Jahren wohl stark der Weitblick gefehlt, sich so einseitig in die Abhängigkeit von einem einzigen Erdöl- und Gaslieferanten zu begeben (Russland). Italien hat nicht nur seine Gaslieferanten viel zu wenig diversifiziert, sondern auch viel zu wenig in die Erneuerbare Energie investiert. Seit 5 Jahren stagniert der Anteil der Erneuerbaren an der Gesamterzeugung von Elektroenergie in Italien.

So., 06.03.2022 - 21:53 Permalink