Umwelt | Seilbahn

Tierser Abbruchverfügung

Die Tal- und auch die Bergstation der Tierser Seilbahn wurden zu groß gebaut. Das Urbanistikgesetz lässt keine Sanierung zu. Im Land weiß man jetzt nicht mehr weiter.
funivia tires
Foto: Salto.bz
Das Thema ist topsecret.
Denn selbst die Fachleute innerhalb der Urbanistikabteilung wissen nicht mehr weiter. Demnächst ist eine Krisensitzung angesagt. „Wir müssen nach einer Lösung suchen“, sagt einer der Beteiligten, „die auch für zukünftige Fälle anwendbar ist“. Doch alle sind sich einige: Genau das wird ein schwieriger Weg.
Die Geschichte klingt absurd. Ist aber Südtiroler Urbanistik-Realität.
Vor knapp einem Monat hat die neue Tierser Seilbahn von St. Zyprian auf die Frommer Alm ihren Betrieb aufgenommen. Die hochmoderne Aufstiegsanlage, die als italienweit erste Cabrio-Seilbahn angepriesen wird, hat bereits in der Bauphase wegen der Schlägerungs- und Planierungsarbeiten bei den Umweltschützern und den Alpinvereinen für viel Kritik gesorgt.
 
 
Dazu kommt, dass das Projekt der privaten Tierser Seilbahn AG einen Landesbeitrag von 13 Millionen Euro erhalten hat. Bei einer ausgewiesenen Gesamtinvestition von 15,8 Millionen Euro entspricht das einem öffentlichen Beitrag von 75 Prozent der Baukosten. „Wir bringen unsere tiefe Enttäuschung über die Entscheidung der Landesregierung zum Ausdruck, soviel an öffentlichen Mitteln für private Einzelinteressen zu vergeben“, protestierten Alpenverein, CAI und weitere Umweltverbände gegen diese Finanzierung.
Beim Bau dieser neuen Seilbahn ist aber das passiert, was bei Aufstiegsanlagen nicht selten vorkommt. Sowohl die Talstation als auch die Bergstation sind weit größer ausgefallen als im genehmigten Projekt angeben. Konkret: Es wurden sowohl die Volumina überschritten als auch die Freiflächen verändert. Es geht dabei nicht um Peanuts, sondern die Abweichungen vom Projekt liegen nach Informationen von Salto.bz bei rund 20 Prozent der ursprünglichen Vorgaben.
 

Die unmögliche Sanierung

 
Die Tierser Seilbahn AG hat deshalb vorvergangene Woche bei den zuständigen Ämtern ein Variante Projekt zur Sanierung dieser Abweichungen vorgelegt.
Es ist der Genehmigungsweg, der bisher gangbar war. Die Landesämter begutachten das Variante Projekt und geben nach den nötigen Gutachten und Bewertungen grünes Licht. Der Bauherr zahlt für die Abweichungen die vorgeschriebenen Sanktionen und am Ende werden die Bausünden saniert.
 
 
 
So sollte es auch diesmal sein. Sollte.
Aber in diesem Fall kommt nun zum Vorschein, dass diese Art der Sanierung mit den neuen Urbanistikgesetz nicht mehr möglich ist.
Im entsprechenden Artikel 100 mit dem Titel „Ausstellung der landschaftsrechtlichen Genehmigung im Nachhinein“ heißt es:
 
Werden Maßnahmen ohne landschaftsrechtliche Genehmigung oder davon abweichend durchgeführt, so ist die Feststellung der Landschaftsverträglichkeit im Nachhinein nur in folgenden Fällen möglich:
 
  • wenn durch die Maßnahmen keine neuen Nutzflächen oder Baumassen geschaffen wurden und die ordnungsgemäß bestehenden nicht erweitert wurden,
  • wenn Materialien in Abweichung von der landschaftsrechtlichen Genehmigung verwendet wurden,
  • wenn es sich um Arbeiten handelt, die auf jeden Fall als ordentliche oder außerordentliche Instandhaltungsmaßnahmen im Sinne von Artikel 62 einzustufen sind.
 
Im Fall der Tierser Seilbahn wurden aber sehr wohl „neuen Nutzflächen und Baumassen geschaffen“. Diese Abweichungen sind so aber nicht mehr sanierbar.
In neuen Gesetz steht zudem: „Es werden auf jeden Fall die in Artikel 99 vorgesehenen Geldbußen verhängt“.
Demnach müsste die Tierser Seilbahnen AG jetzt nicht nur die vorgesehenen Sanktionen zahlen, sondern auch die zu viel gebaute Kubatur kurzerhand abreißen.
Dass das bei einer gerade fertiggestellten Seilbahn kaum möglich sein wird, ist allen Beteiligten klar.
Der Ausweg ist ein Änderung des Gesetzes“, heißt in der Landesverwaltung. Ob das aber politisch machbar ist, wir sich zeigen.
Sicher ist: Ab heute sind in Tiers nicht nur die Cabrio-Kabinen einmalig. Sondern es fährt auch ein Bahn, der die Benutzungsgenehmigung sowohl für die Tal- als auch die Bergstation fehlt.
Ob das aber so geht?
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Profil für Benutzer M A
M A Fr., 11.03.2022 - 13:25

Fragen:
Was passiert bei einer Seilbahn, wenn im "öffentlichen Betrieb" ein Unfall passiert und die Versicherung sich wegen der fehlenden Benutzungsgenehmigung weigert...?
Darf ein privater Häuslbauer seine Wohnung "in Betrieb nehmen", wenn ihm die Benutzungsgenehmigung fehlt?
Gibt es ein Gesetz, das weitere finanzielle Zuschüssen von Seiten des Landes verbietet, um den vorgeschriebenen Abbruch/Rückbau und eine eventuelle Neuprojektierung und -errichtung zu finanzieren (der privaten Betreibergesellschaft kann man das wohl kaum zumuten, denn sie haben sicher nur mit bestem Wissen und Gewissen im Sinne des Dienstes für die Öffentlichkeit gehandelt)?

Fr., 11.03.2022 - 13:25 Permalink
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Hartmuth Staffler Fr., 11.03.2022 - 15:05

Die Sache ist doch wirklich ganz einfach. Die Seilbahnstationen werden abgebrochen und der Millionenbeitrag wird an das Land zurückgezahlt. Dann ist alles in Ordnung und niemand muss sich mehr Sorgen machen. Ich verstehe nicht, warum solche simple Angelegenheiten oft zu einem Problem hochstilisiert werden.

Fr., 11.03.2022 - 15:05 Permalink
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Josef Ruffa Fr., 11.03.2022 - 20:32

„ Beim Bau dieser neuen Seilbahn ist aber das passiert, was bei Aufstiegsanlagen nicht selten vorkommt.“ … eigentlich ist diese Aussage schon ein Skandal. Praktisch macht jeder was er will. „Denn selbst die Fachleute innerhalb der Urbanistikabteilung wissen nicht mehr weiter. “. Eigentlich einfach Gesetz anwenden, so wie geschrieben ohne wenn und aber und der Beitrag wird retourniert, schließlich sind das öffentliche Gelder.

Fr., 11.03.2022 - 20:32 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Sa., 12.03.2022 - 08:02

Wer hat denn das alles so genehmigt,der soll ZAHLEN! Ich weiss,es wird nachträglich mit irgendwelchen Tricks der SVP genehmigt,wie gewohnt um die Lobbys nicht zu verärgern!

Sa., 12.03.2022 - 08:02 Permalink
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Profil für Benutzer Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler So., 13.03.2022 - 12:07

Antwort auf von Günther Alois …

Das Problem ist ja, dass nicht so gebaut wurde wie genehmigt, eine in Südtirol gängige Praxis. Man hofft darauf, dass niemand etwas merkt, dann hat man Glück gehabt, oder man zahlt, wenn das Vergehen nicht zu verbergen ist, eine kleine Strafe, dann ist man immer noch gut davongekommen. Da fast alle Gemeinden in Südtirol absolut blind sind, wenn es darum geht, Bauvergehen zu sehen, ist man üblicherweise auf die unsympathische Praxis der Denunziation angewiesen. Südtirols Baulöwen und ihre Freunde in den Gemeindestuben kennen aber auch noch verschiedene andere Tricks, um die angeblich so strengen Vorschriften mit Leichtigkeit zu umgehen.

So., 13.03.2022 - 12:07 Permalink
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Profil für Benutzer Tschoerner Hagen
Tschoerner Hagen So., 13.03.2022 - 14:04

Theoretisch ist es eine strafrechtliche Handlung da im Landschstsschutzzgebiet.
Es gibt keine Alternative zum Abbruch.
Alles andere ist ein Skandal,
Jeder sollte vor dem Gesetz gleich behandelt werden.
Schon allein die Suche nach einem neuen Gesetz um alles zu legitimieren ist ein Skandal.
Aber die Landesregierung wirds schon richten....
Ohne salto.bz hätten es viele Verwalter und deren Freunde leichter :0)

So., 13.03.2022 - 14:04 Permalink
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Salto User
Silke Raffeiner So., 13.03.2022 - 22:42

Während im Fall der Tierser Seilbahn wohl schon an einer "Lösung" gebastelt wird...,
...wird die Südtiroler Bevölkerung dazu aufgerufen, an Informationsabenden und Workshops teilzunehmen, um "Südtirols Weg der Nachhaltigkeit mitzugestalten" (https://nachhaltigkeit.provinz.bz.it/de/partizipation). Wer kann angesichts der Entscheidungen und Beitragsvergaben der Landesregierung all den schönen Papieren (Nachhaltigkeitsstrategie, Klimaplan, Landestourismusentwicklungskonzept...) noch irgendeinen Glauben schenken?
Es ist zum Weinen.

So., 13.03.2022 - 22:42 Permalink
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M A Mo., 14.03.2022 - 07:17

Wie ist es überhaupt möglich, dass die Seilbahn eine Betriebserlaubnis bekommen hat, wenn von Seiten der Gemeinde die Benutzungsgenehmigung aussteht???

Mo., 14.03.2022 - 07:17 Permalink
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O M Mi., 16.03.2022 - 17:22

Im Fachplan für Aufstiegsanlagen steht dies:

Artikel 4 - Aufstiegsanlagen

Die im Register für Skipisten und Aufstiegsanlagen eingetragenen Aufstiegsanlagen erfassen die Luftseilbahnen sowie Schlepplifteund Standseilbahnen, welche für den Personentransport bestimmt sind.
Die Stationsgebäude dieser Aufstiegsanlagen gelten als Infrastrukturen und bilden keine Baumasse.

Die Stationen der Luftseilbahnen und der Standseilbahnen dürfen außer den betriebstechnisch notwendigen Einrichtungen und Räumlichkeiten auch Fahrkartenschalter, Warteraum, Werkzeuglager, Räumlichkeiten für die Betriebsverwaltung, für die Skischule,für die erste Hilfe, für den Lawinenwarndienst, für die Unterbringung und Instandhaltung der Pistenpräpariergeräte, für dieBetriebsverwaltung sowie sanitäre Anlagen, beinhalten.

Die Stationen der Schlepplifte dürfen ausschließlich die betriebstechnisch notwendigen Einrichtungen und Räumlichkeiten sowie Fahrkartenschalter, Werkzeugräume und sanitäre Anlagen beinhalten.

Es gelten folgende Bauvorschriften:
- Mindestgrenzabstand: 5 m
- Mindestgebäudeabstand: 10 m, in jedem Fall nicht weniger als die Höhe der höheren gegenüberliegenden Gebäudefassade.

Die notwendigen Stationsbauten die der Seilbahn dienen, machen laut dieser Interpretation keine Baumasse. Inwieweit diese Regelung auf die neue Urbanistik angewand werden kann, bzw ob diese Ausnahme die gesamte errichtete Baumasse betreffen erschliest sich mir nicht, da ich das Projekt nicht kenne.

Mi., 16.03.2022 - 17:22 Permalink