Wirtschaft | Milchwirtschaft

„Der Milchpreis muss steigen“

Der Preisanstieg bei den Futter- und Düngemittel bringt die Südtiroler Landwirtschaft in arge Bedrängnis. Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler über die Folgen.
Leo Tiefenthaler
Foto: SBB
Salto.bz: Die Ukraine ist nicht nur einer der größten Getreide-, sondern auch Düngemittelproduzenten. Welche Auswirkungen hat der Konflikt im Osten auf die Landwirtschaft in Südtirol?
 
Leo Tiefenthaler: Es gibt mehrere Faktoren, welche die Südtiroler Landwirtschaft – insbesondere die Milchwirtschaft – in Schwierigkeiten gebracht haben. Die drei weltweit größten Getreideproduzenten sind Kanada, die Russische Föderation und die Ukraine. Sie stellen zwischen 60 und 70 Prozent der weltweiten Getreideproduktion. Im vergangenen Jahr gab es in Kanada eine extreme Dürre, was zu einem Ernte-Ausfall von 30 bis 40 Prozent geführt hat. Bereits vor dem Ukraine-Konflikt kam es also zu einer Preissteigerung. Dazu kommt, dass wir weltweit nur Reserven für die nächsten drei Monate haben. Wenn die Produktion nicht ständig läuft und neue Ernten eingefahren werden, kommt es zu Problemen.
 
Die Folgen von Ernteausfällen und kriegerischen Auseinandersetzungen sind in unserer heutigen globalisierten Welt sehr komplex.
 
In der Ukraine wurde im vergangenen Jahr zwar eine reiche Ernte eingefahren, aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzung mit Russland kann das Getreide aber nicht mehr auf dem Schiffsweg exportiert werden, weil die Häfen dicht sind.
50 bis 60 Prozent des Futtergetreides werden in Italien, und zwar gentechnikfrei, produziert, der Rest stammt aus Österreich und Deutschland. Das bedeutet, dass wir im Verhältnis relativ wenig Getreide aus der Ukraine importieren. Indirekt hat der Konflikt jedoch einen großen Einfluss auf den Preis, weil Getreide an der Börse gehandelt wird und damit auch Spekulanten Tür und Tor geöffnet sind. Sinkt die Produktion, steigt automatisch der Preis.
2014 kam die Südtiroler Apfelwirtschaft in große Schwierigkeiten, aber nicht weil Russland ein großer Absatzmarkt für Südtiroler Äpfel wäre und der Export wegen der Krim-Krise verboten wurde – wir haben nur fünf Prozent unserer Äpfel nach Russland geliefert, im Verhältnis spielte das eigentlich keine Rolle – sondern das große Problem folgte indirekt, und zwar weil Polen, das seit jeher seine Äpfel vorwiegend nach Russland exportierte, ebenfalls als EU-Land vom Export-Verbot betroffen war und auf unsere Absatzmärkte drängte. Die Folgen von Ernteausfällen und kriegerischen Auseinandersetzungen sind in unserer heutigen globalisierten Welt also sehr komplex.
 
 
Wie ist die Situation bei den Düngemitteln?
 
Ein Großteil des Stickstoffs und Phosphors werden wiederum in der Ukraine und in Russland produziert. Die Ukraine hat die Produktion fast vollständig eingestellt und Russland benötigt den Dünger für sich selbst und hat ein Export-Verbot ausgesprochen. Aber auch hier spielen wiederum mehrere Faktoren eine Rolle. So hat einer der größten Düngemittelhersteller in Österreich seine Produktion auf 45 Prozent gedrosselt. Weil das Gas, das für die Herstellung benötigt wird, dermaßen im Preis gestiegen ist, lohnt sich anscheinend die Produktion nicht mehr. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass weniger Düngemittel auf dem Markt sind, was wiederum zur Folge hatte, dass sich die Preise im Vergleich zu vor einem Jahr inzwischen verdoppelt und verdreifacht haben.
 
 
 
Welche Möglichkeiten hat nun beispielsweise die Südtiroler Milchwirtschaft, die zusätzlich unter den hohen Produktionskosten leidet, aber die Preise für die Erzeugnisse laut Joachim Reinalter nicht an den Handel weitergeben kann?
 
Ich habe den Sennereien den Vorschlag gemacht, sich zusammen zu schließen, und zwar im Sinne eines Zusammenhaltens und eines gemeinsamen Auftretens dem Handel gegenüber, um höhere Preise einzufordern. Jeder gibt schließlich die Kosten weiter bzw. muss sie weiter geben. Die Landwirtschaftliche Hauptgenossenschaft beispielsweise vertreibt Futtermittel: Wenn wir teurer einkaufen, dann müssen wir auch wieder teurer verkaufen, andernfalls gehen wir bankrott. Dasselbe muss auch für die Milchwirtschaft gelten, wo das große Problem bei den Handelsketten liegt. Ob der Endkonsument 1,30 Euro oder 1,40 Euro für den Liter bezahlt, sollte keine große Rolle spielen – erst recht nicht, wenn man sich als Vergleich die Preise für Minieralwasser anschaut: Wenn ein Liter Wasser mehr als ein Liter Milch kostet, dann ist das beschämend.
 
Wie könnten die Südtiroler Sennerein mit den Big Playern konkurrieren, die den Liter Milch im Handel um teilweise 45 Cent verkaufen?
 
Dieser Preis ist jenseits von Gut und Böse! Wieviel bleibt noch für den Bauern übrig, wenn die Kosten für Transport, Abfüllung, Gewinnmarge des Wiederverkäufers und die Kosten des Produktionsbetriebes abgezogen werden? 20, 30 Cent? So etwas ist beschämend und darf nicht passieren.
 
Jene, die ohnehin in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, werden wahrscheinlich aufgeben – leider! Das möchten wir aber verhindern.
 
Stehen wir nun vor einem massiven Bauernsterben?
 
Jene, die ohnehin in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, werden wahrscheinlich aufgeben – leider! Das möchten wir aber verhindern.
 
Mit noch mehr Subventionen?
 
Meines Erachtens muss der Milchpreis steigen. Der Bauer will von seinem Produkt leben und dafür braucht es einen gerechten Preis. Ich glaube, dass der Konsument bereit ist, einen fairen Preis zu bezahlen. Eine andere Möglichkeit, als den Preisdruck weiterzugeben, sehe ich nicht. Wenn der Liter Benzin heute an der Tankstelle über zwei Euro kostet, dann müssen die Leute diesen Preis bezahlen. Wird deswegen weniger mit dem Auto gefahren? Nein.
 
Und wenn der Liter Benzin an der Tanstelle nebenan nur 1,50 Euro kostet?
 
Dann wird dort getankt. Richtig! Nichtsdestotrotz gibt es auch in Südtirol immer mehr Leute, die Qualität zu schätzen wissen. Ansonsten wären wir auch nicht in der Lage gewesen, während der vergangenen Jahre solche hohen Auszahlungspreise an die Bauern zu ermöglichen. Während in Südtirol über 50 Cent für den Liter gezahlt wurden, waren es im übrigen Italien um die 40 Cent, in Deutschland sogar nur rund 30 Cent. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass für die Südtiroler Produkte ein höherer Preis bezahlt wurde. Der Verbraucher greift also sehr wohl zu den hochwertigen, regionalen Produkten. In diese Richtung müssen wir aber noch viel mehr tun.
Beispielsweise muss man es endlich schaffen, dass bei den öffentlichen Ausschreibungen für die Mensen, Altersheime, Kindergärten und vor allem Spitäler die hiesigen Produzenten zum Zuge kommen. Weshalb wird eine Ausschreibung getätigt, in der die Lieferung von Asiago-Käse enthalten ist? Dieser Käse darf in Südtirol nicht produziert werden, weil er als regionale Spezialität geschützt ist. Ich glaube nicht, dass man in Mailand eine Ausschreibung machen würde, welche die Lieferung von Stilfser Käse vorsieht. Das ist nicht nur dumm, sondern regelrecht frech. Seit zehn Jahren weisen wir auf diesen Missstand hin und es geschieht nichts. Sollte bei der nächsten Ausschreibung wieder Asiago-Käse drinnen stehen, machen wir einen Aufstand. Das sind unsere Ausschreibungen und hier kann man weder Italien noch der EU die Schuld geben. Ich wage zu behaupten, dass das von einigen Leuten bewusst gemacht wird.
 
 
 
Was wäre ein angemessener Preis für einen Liter Milch? Ein Euro?
 
Das wäre natürlich ideal. Dann bräuchten wir keine Förderungen mehr.
 
Vonseiten der Politik waren hohe Auszahlungspreise zumindest zeitweise nicht gerne gesehen. Angeblich hätten sie die Landwirte dazu verleitet, auf Massentierhaltung umzusatteln – mit all den negativen Folgen wie beispielsweise Gülleproblem.
 
Dieses Problem haben wir nun mit der Einführung der flächenbezogenen Milchwirtschaft gelöst. Die Sennereien haben sicherlich die richtige Entscheidung getroffen, als sie 2018 dieses neue Konzept eingeführt haben. Damit erfolgte automatisch eine Kontingentierung: Wenn der Landwirt maximal 2,5 GVE pro Hektar halten darf, wird die Produktion so reguliert, dass sie nachhaltig ist und es zu keiner Überproduktion kommt.
 
Dagegen ist Südtirol noch eine Insel der Seligen.
 
Wieviele Bauern stehen auf der Kippe?
 
Wir sind nicht in der Lage, hier genaue Angaben zu machen. Wir als Südtiroler Bauernbund arbeiten natürlich daran, so viele Bauernhöfe wie möglich zu erhalten. Einmal natürlich, um die Lebensmittelproduktion zu gewährleisten, andererseits aber auch, um das Landschaftsbild zu erhalten. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, die Wiesen, Weiden und Almen durch die Bestoßung zu pflegen, dann wird sich auch die Landschaft in einer beispiellosen Art und Weise verändern. In der Folge wird der Tourismus zurückgehen – als Beispiel sei hier Belluno genannt, wo es keine Landwirtschaft und keinen Tourismus mehr gibt. In der Folge sind auch die Handwerks- und Industriebetriebe abgewandert. Dagegen ist Südtirol noch eine Insel der Seligen.
 
Der Südtiroler Landesbauernrat hat Landesrat Arnold Schuler kürzlich ein Dokument mit einer Neun-Punkte-Strategie unterbreitet? Können Sie uns etwas über den Inhalt sagen?
 
Dieses Papier enthält einige Forderungen und Vorschläge, wie beispielsweise die Ausnahme von UaB von Einschränkungen, wie sie im neuen Landestourismus-Konzept (LTEK) vorgesehen sind.
Weiters sollen die Bauern bei der Direktvermarktung ihrer Produkte unterstützt und bürokratische Hürden abgebaut werden. Der Landesbauernrat hat auch einen Vorschlag zur Doppelnutzung für Beregnungsanlagen gemacht. In Leitungen, die von einer großen Höhe ins Tal führen, entsteht hoher Druck. Damit die Leitungen keinen Schaden nehmen, muss der Druck künstlich verringert werden. Wenn anstatt des Druckreglers eine Turbine zur Energiegewinnung eingebaut wird, könnte der Strom vom Bauern oder der Genossenschaft verkauft werden. Solche und ähnliche Möglichkeiten, wie beispielsweise Photovoltaik oder Holz für die Wärmegewinnung, müssen wir nutzen. Wir hätten viele Vorschläge, die aber auch politisch gewollt sein und entsprechend gefördert werden müssen – oder zumindest sollten sie nicht behindert werden.
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Wolfgang Mair Do., 31.03.2022 - 11:16

Dann erhöht den Preis doch endlich..2 Euro kostet 0,2 lt Bier an der Theke, 2 Euro gebe ich auch für 1 lt Heumilch gerne aus. Die Händler lassen euch nicht? Dann schaltet sie aus, der Kunde kommt auch direkt zu euch. Aber fragt euch auch, obs wirklich 9 Milchhöfe im Land braucht.

Do., 31.03.2022 - 11:16 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 31.03.2022 - 11:28

Antwort auf von Wolfgang Mair

"...der Kunde kommt auch direkt zu euch...." Eigenartige Ansicht, als ob es in den Städten oder Dörfern im Etschtal leicht wäre, um der Ecke eine Milchbauern zu finden. Und ob das tägliche Zum-Bauern-fahren bezüglich Umwelt und Klima zu rechtfertigen wäre.

Do., 31.03.2022 - 11:28 Permalink
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Stefan TAFERNER Do., 31.03.2022 - 12:22

Ich verlange auch den aktuellen Auszahlungspreis an den Landwirt neben dem Verfallsdatum. Dann fällt die Auswahl zum richtigen Produkt leichter aus!!

Do., 31.03.2022 - 12:22 Permalink
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Stefan S Do., 31.03.2022 - 13:15

Antwort auf von Stefan TAFERNER

"Ich verlange auch den aktuellen Auszahlungspreis an den Landwirt neben dem Verfallsdatum. Dann fällt die Auswahl zum richtigen Produkt leichter aus!!"
Das wird nicht funktionieren da die Milchhöfe die Milch von den verschiedenen Erzeugern verschneiden, man könnte es auch zusammenpantschen nennen.

Do., 31.03.2022 - 13:15 Permalink
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S. Bernhard Sa., 02.04.2022 - 17:21

Kein erwachsener Mensch braucht Milch, ist sogar ungesund. Von den Tricksereien in den Milchhöfen ganz zu schweigen. Nebenbei bemerkt scheint es den Milchbauern nicht so schlecht zu gehen, wenn man sich die ganzen Chalets auf den Bingeln oben so anschaut..

Sa., 02.04.2022 - 17:21 Permalink
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Ludwig Gruber Sa., 02.04.2022 - 17:59

Solche Ausführungen zeigen, wie regional unsere Intensivlandwirtschaft wirklich ist.
Eine Landwirtschaft, die nur in globalen Kreisläufen, technologie-abhängig und kapitalintensiv am Markt bestehen kann, wird uns in Zukunft immer weniger versorgen können.
Aber: Die wenigsten haben in ihrer Landwirtschaftsausbildung jemals etwas anderes gesehen oder gelernt als zu vergrößern, zu intensivieren und in immer globaleren Spielen zu operieren.
Nicht nur, dass man diese Betriebe und die Prozesse hinter den Kulissen schon lange nicht mehr herzeigen kann - sie werden immer instabiler und abhängiger werden.

Sa., 02.04.2022 - 17:59 Permalink
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Salto User
Silke Raffeiner Sa., 02.04.2022 - 20:43

Antwort auf von Ludwig Gruber

Genau, hier zeigt sich mal wieder die fatale Abhängigkeit der Produktion "regionaler" Erzeugnisse von Importen (von Futtermitteln, Düngemitteln usw.). Zugleich müssen Überschüsse von Gülle in Biogas-Anlagen "verwertet" werden... Kreislaufwirtschaft sieht anders aus! Selbstverständlich sollen Bauern und Bäuerinnen einen fairen Preis für ihre Produkte erhalten. Dann muss aber auch das Tierwohl gewährleistet sein - und eine ganzjährige Anbindehaltung wird zu hinterfragen sein. Bleibt zu hoffen, dass für eine zukünftige autarkere Ausrichtung der Landwirtschaft die richtigen Schlüsse gezogen und die Weichen gestellt werden.

Sa., 02.04.2022 - 20:43 Permalink
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Profil für Benutzer Johann Georg Bernhart
Johann Georg B… Mi., 13.04.2022 - 09:56

Nicht der Milchpreis muss steigen, sondern die Energiekosten, Futtermittelpreise und Kraftstoffe müssen billiger werden , denn die Erhöhung der Milchpreise wird nur an den Konsumenten weitergegeben und dieser verdient deswegen auch nicht mehr, die Kaufkraft ist auch für den Konsumenten nicht gleich geblieben.
Der Konsument sucht sich das günstige Produkt, denn er muss sparen , die Zeiten haben sich auch für Verbraucher geändert.

Mi., 13.04.2022 - 09:56 Permalink