Gesellschaft | gegen verschwendung

Eine App als Retterin

Nicht verkaufte Lebensmittel landen in der Tüte statt in der Tonne: Die App “Too Good To Go” soll Verschwendung vermeiden. Wie Südtirol auf den Zug aufspringt.
Too Good To Go
Foto: Too Good To Go

Am Ende des Tages bleibt immer was übrig. Und vieles landet im Müll. Notgedrungen – denn wer kauft schon gerne ein Joghurt kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums, einen Laib Brot, der abends nicht mehr so weich, Gemüse oder Obst, das nicht mehr so frisch ist, wie gewünscht? Die Lebensmittel, die so Tag für Tag vergeudet werden, sorgen nicht nur häufig für unschöne Bilder, sondern brauchen in der Produktion und Entsorgung Energie, die mit ihrem Ende in der Tonne verschwendet wird. Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung gibt es zuhauf. Eine, die seit Jahren einen Erfolgskurs fährt, steuert nun auch Südtirol an. “Too Good To Go” – so der Name der App, über die (noch) Gutes günstig abgegeben wird.

 

492 Mal um die Welt geflogen

 

Das Unternehmen Too Good To Go wurde 2015 in Dänemark gegründet. Die gleichnamige App vernetzt Betriebe, die unverkaufte, überschüssige Lebensmittel anbieten, mit Kunden, die diese preisreduziert erstehen können. Und zwar in Form einer “Magic Box” oder “Magic Bag”. Das funktioniert so: Die Anbieter – Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte, Bäckereien, Bars, Restaurants, Hotels u.ä. – stellen eine Überraschungsbox oder -tüte mit Produkten und Gerichten aus ihrem Sortiment zusammen. Die App-User sehen, wer in der Umgebung was anbietet, können eine Box bzw. Tüte reservieren und zur angegebenen Zeit – meist kurz vor Ladenschluss – abholen. Den Inhalt bestimmt das Tagesgeschäft, sprich, in der Tüte landet, was übrig bleibt. “Bei uns sind das neben Brot auch Lebensmittel wie Milch, ein Stück Käse oder Wurst, die wir nicht mehr wegkriegen – aber alles Sachen, die verkaufbar sind”, erklärt Christian Gasser in einem Interview mit Radio 2000 Mitte Februar. Gasser ist Miteigentümer der Bäckerei Gasser mit Sitz in Lüsen. Der Betrieb gehört zu den ersten, die in Südtirol auf den “Too Good To Go”-Zug aufgesprungen sind.

 

Die App gibt es inzwischen in 15 europäischen Ländern, den USA und Kanada: Über 110.000 Betriebe und 47 Millionen Nutzer haben 100 Millionen Lebensmittelportionen vor der Tonne bewahrt. Allein in Österreich gibt es 4.200 Partnerbetriebe, über eine Million Nutzer und 2,7 Millionen verkaufte Boxen. In Italien ist Too Good To Go seit April 2019 aktiv. In den ersten eineinhalb Jahren wurde eine Million Boxen verkauft. Das sind 1.000 Tonnen Lebensmittel und eine Einsparung von 2.500 Tonnen CO2, wie es auf der italienischen Unternehmenswebseite heißt: “Konkret wurden dank der Anti-Verschwende-App in eineinhalb Jahren die Emissionen von 492 Flügen um die Welt (Frankfurt-New York-San Francisco-Tokyo-Dubai-Frankfurt) oder 2.279 Flügen Rom-New York oder die jährlichen Emissionen von 325 Menschen eingespart.”

 

Günstige Überraschung

 

“Ich nutze die App, weil mir die Idee gefällt und ich den Gedanken unterstützen möchte”, erklärt Andreas Baumgartner. Der Brunecker hat vor Kurzem erstmals eine Box in seiner Umgebung abgeholt. Ende vorigen Jahres wurde Südtirol genauso wie die Provinz Belluno offiziell in das Netzwerk aufgenommen. Das bestätige, “wie positiv unsere Zielsetzung in der Alpenregion aufgenommen wurde und wie unerlässlich die Zusammenarbeit aller ist, um konkrete Maßnahmen zum Schutz des Planeten zu ergreifen”, meinte Eugenio Sapora, Country Manager Italia von Too Good To Go damals. Bislang bieten vor allem Betriebe in der Landeshauptstadt ihre Boxen und Tüten über die App an, darunter zum Beispiel das Loacker Cafè am Waltherplatz. Neben einigen kleineren Betrieben ist auch die Biokistl GmbH dabei – und die Bäckerei Gasser. Er habe von Bäckerkollegen in Österreich und Deutschland von der App erfahren, berichtet Christian Gasser – und beschlossen, aufzuspringen. In den zehn Filialen im Eisack- und Pustertal stellen die Mitarbeiter Tüten mit (Back-)Waren im Wert von 15 Euro zusammen – verkauft werden sie um 4,99 Euro.

 

Andreas Baumgartner hat auch schon in der Bäckerei eine “Magic Bag” abgeholt. Zuvor war er in der Faschingszeit bei einem italienischen Imbissladen fündig geworden. “Dort war die Tasche ungefähr zur Hälfte mit Brot gefüllt – das habe ich eingefroren. Der Rest war Pizza, Panzerotti und Faschingskrapfen.” Er sei bereits vor einigen Jahren auf die App aufmerksam geworden, erinnert er sich. “Damals gab es bei uns in Südtirol aber noch keine Angebote, darum habe ich die App auch wieder gelöscht.” Langsam, aber stetig fasst die App (gratis Download im Google Play Store und im App Store von Apple) nun Fuß – wenn auch noch nicht so wie anderswo, wie Baumgartner festgestellt hat. “Vor Kurzem war ich in Innsbruck und habe dort die App geöffnet. Da waren Angebote von Spar, Billa, dem IKEA-Restaurant, Tankstellen – ein Hotel hatte Frühstücksbeutel im Angebot.”

 

Beitrag mit Potenzial

 

Noch haben die Partnerbetriebe relativ wenig Angebot, entsprechend schnell sind die Boxen meist reserviert. Gerade deshalb sieht Baumgartner noch großes Potenzial in Südtirol – auch, weil das Ganze denkbar einfach sei: “Über die App reserviert man die Tasche und bezahlt auch gleich – das geht ganz bequem mit Apple oder Google Pay, Paypal oder Kreditkarte. Bei der Abholung zeigt man die Reservierungsbestätigung vor und kriegt die Tasche mit den Lebensmitteln.” Seiner Erfahrung nach “ist die Abholung reibungslos und die Mitarbeiter sind auch froh, dass sie nicht so viel wegwerfen müssen”.

Seit Anfang Februar Partner von Too Good To Go ist auch Würth Italia. Die Hausbar im Firmensitz in Neumarkt packt nicht verkaufte Speisen abends ein und die Mitarbeiter können sie vergünstigt mit nach Hause nehmen. “Wir sind stolz, unseren Beitrag in einem so wichtigen Kampf wie dem gegen die Verschwendung von Lebensmitteln zu leisten”, meint Würth-Geschäftsführer Nicola Piazza. “Besonders in Zeiten wie diesen wird einem bewusst, dass wir eigentlich im Überfluss leben und darum möchte ich meinen kleinen Teil beitragen”, sagt Andreas Baumgartner in Bruneck. Jetzt würde er sich freuen, wenn nach dem offiziellen Start vor wenigen Monaten “noch mehr Verkaufspunkte an der Initiative teilnehmen würden”. Natürlich gebe es schon viele Geschäfte, die ablaufende Ware billiger anbieten, in ein Aktionsregal stellen, kurz vor Geschäftsschluss verschenken oder für karitative Zwecke spenden. “Der große Vorteil der App ist aber, dass man gezielt Sachen vor dem Verfall retten kann”, findet Baumgartner.

Bild
Profil für Benutzer Martin Aufderklamm
Martin Aufderklamm Sa., 02.04.2022 - 10:11

Das Angebot in Südtirol ist sicherlich ausbaufähig.
Schade nur, dass es einen "Zwischenhändler" der gig-economy braucht für eine Sache, die Verkäufer und Kunde direkt am Ladentisch abends bewerkstelligen könnten.
Ist wahrscheinlich zu wenig trendy und/oder wir haben das Reden mit dem Gegenüber verlernt.

Sa., 02.04.2022 - 10:11 Permalink