Gesellschaft | Gedanken zum Krieg

Ich bin nicht UKRAINE - Ich bin MENSCH

Vom Versuch uns vor den Karren zu spannen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Die Informationsschlacht in den Medien und die Statements der Führer des Westens und des Ostens zum Krieg in der Ukraine ist an Verlogenheit und Menschenverachtung kaum noch zu überbieten. Der „Feind“ wird dämonisiert, der „Freund“ glorifiziert. Man ruft zum Kampf. Die vielen Toten und Vertriebenen sind der „Preis“ dieses grausamen Spiels, hinter dem skrupellose Macht- und Kapitalinteressen stehen.

Der Aggressor ist identifiziert – sich selbst erteilt man die Absolution. Auf beiden Seiten wohlgemerkt. Es bleibt jedoch dieselbe Münze. Wir sammeln uns und hissen die Flagge der „Freien und Gerechten“. Widerspruch wird auf den Kasernenhöfen nicht geduldet. Es wird geschlossen strammgestanden. „Möge edler Zorn wie eine Welle aufbrausen, das ist der Krieg des Volkes, der Heilige Krieg.“

Der verbrecherische und barbarische Krieg Russlands in der Ukraine ist, ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Widerlich sind aber auch die „Herren des Westens“ die uns mit weißer Weste entgegentreten und ihre blutverschmierten Hände in Unschuld waschen. Die Fratzen und Absichten dieser „Herren“ und „Lenker“ verhöhnen uns.

Wir folgen ihrer Kriegsrhetorik wie Schafe dem Schlächter. Da wird von notwendigen humanitären Interventionen, vom Krieg, den keiner will, von Friedensmission und vom gerechten Krieg gefaselt. Kriegsgeheul bleibt aber Kriegsgeheul und verfolgt nur ein Ziel: die Rechtfertigung des Krieges, auf den man uns vorbereiten und in den man uns führen will. Kriegspropaganda will niemals dem Frieden dienen.

Die Historikerin Anne Morelli erarbeitete in ihrem Buch „Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ ein Raster dieser Rhetorik, das in erschreckender Weise auch auf die derzeitige Propaganda zum Krieg in der Ukraine zutrifft:

  1. Wir wollen keinen Krieg.
  2. Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich.
  3. Der Führer des feindlichen Lagers wird dämonisiert.
  4. Wir verteidigen ein edles Ziel und keine persönlichen Interessen.
  5. Der Feind begeht wissentlich Grausamkeiten, wenn wir Fehler machen, geschieht dies unbeabsichtigt.
  6. Der Feind benutzt unerlaubte Waffen.
  7. Wir erleiden wenige Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich.
  8. Anerkannte Kulturträger und Wissenschaftler unterstützen unser Anliegen.
  9. Unser Anliegen hat etwas Heiliges.
  10. Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter.

Wir sollten uns also davor hüten uns voreilig im Kasernenhof zu sammeln und Kampfeslieder anzustimmen. Wir würden, wie schon Biermann in einem anderen Zusammenhang anmerkte, nur zwischen „Scheiße und Jauche“ wählen können.

Letzthin wurde die Frage nach einer Alternative zur Gewalt in den Raum gestellt und die Antwort gleich mitgeliefert: Es gibt keine Alternative. Wir müssen handeln, ehe es zu spät ist. Hier greift Punkt 10 der Propaganda: „Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter.“ Löschen wir also brav weiter Feuer mit Benzin!

Dabei müssten diese Frage und die Tragik der gegebenen Antwort Anlass genug sein unsere bisherige Logik in Frage zu stellen. Anscheinend reicht „vernünftiges Schlussfolgern“ nicht aus, uns aus unseren Krisen zu führen, wobei ich das Vorhandensein von „Vernunft als Instrument der Selbstbefreiung“ in unseren Schlussfolgerungen nicht erst seit gestern vermisse.

So wie wir uns einig sind, dass wir uns bei Krankheit auf die Suche nach der Ursache der Erkrankung machen müssen, sollten wir uns einig sein, die tiefer liegenden Ursachen unserer Konflikte zu ergründen.

Die geopolitischen Schachzüge der Großmächte und Nationen die von der Besessenheit nach Macht und Bedeutung getrieben werden, die Herrschaft der Wenigen über die Vielen und das skrupelloses Durchsetzen ihrer Macht- und Kapitalinteressen mit allen Mitteln, unsere grausame Ausbeutung des Planeten und aller darauf lebenden Wesen, unsere zügellose Gier, unsere Maßlosigkeit, unser Egoismus und unsere Feindseligkeit auf persönlicher und kollektiver Ebene, die Kraft der Zerstörung (weil Fragmentierung) unserer Überzeugungen, Ideologien und Religionen, die Scheinheiligkeit und Verlogenheit unserer „Werte“ (Solidarität, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Mitgefühl usw.) sollten uns in ihrer gesamten Dramatik bewusst werden.

Diese Bewusstheit, so mein Wunsch, sollte in uns fahren wie ein Blitz der alles „Falsche“ in Schutt und Asche legt.

Vielleicht könnte dann jenes Neue entstehen, das wir (noch) nicht denken können.

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Klaus Hartmann Do., 07.04.2022 - 18:30

Antwort auf von Peter Gasser

"Das ist für Sie eine zumutbare Lösung? Dem rohen und brutalen Recht des Stärkeren wieder politische Möglichkeit geben?"
Schauen Sie Herr Gasser, ich weiß ja nicht auf welchem Planeten oder Kontinent Sie beheimatet sind (Atlantis vielleicht?). Ich bin Mensch dieser Erde und meine bisherige Erfahrung hat mich gelehrt, dass das Recht des Stärkeren unseren Alltag bestimmt und Teil unseres kulturellen Erbes ist. Es ist unsere Wirklichkeit.
Schauen Sie sich doch das Verhältnis Mensch-Tier, reich-arm, Mann-Frau, Weißer-Schwarzer-Gelber-Roter, Erfolgreicher-"Versager", Erwachsener-Kind, Lehrer-Schüler, Institutionen-Bürger an und schauen Sie sich die Machtverhältnisse in Familien, Religionsgemeinschaften, Firmen und Betrieben, Gemeinden, Provinzen, Regionen, Staaten, zwischen sog. 1. Welt und 3. Welt, zwischen reichen und armen Nationen, zwischen reichen und armen Kontinenten, zwischen Nuklearmächten und jenen die es nicht sind an. Und dann halten Sie einen Moment inne, richten den Blick auf sich selbst und erkunden Ihr persönliches Verhältnis zu Macht, Geld und Besitz. Vielleicht würden Sie dann beginnen zu verstehen und ihren moralischen Zeigefinger auch gegen sich selbst richten. Vielleicht wäre dies ein erster Schritt in eine friedlichere und gerechtere Welt.

Do., 07.04.2022 - 18:30 Permalink
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Markus Schwärzer Fr., 08.04.2022 - 17:55

Ich befinde mich in der Zwickmühle. Putin ist ein Agressor, ein Diktator, sein Angriff, basierend auf haarsträubenden Lügen, gehört verurteilt. Ist es jedoch verharmlosend, wenn ich das Verhalten des Westens seit dem Ende des Kalten Krieges in Frage stelle, und glaube, dass die Entwicklung in Mittel- und Osteuropa eine Rolle spielt, um diesen Krieg zu verstehen? Ist es Verharmlosung, wenn ich von USA, EU, NATO erwarte, dass hingeschaut wird, wie mit Minderheiten umgegangen wird? Wurde versucht, den russischsprachigen Menschen in der Ostukraine die autonomen Rechte einzuräumen? Nein, es wurde hinausgezögert. Warum wurde hinsichtlich der Verfassungsrechtlichkeit der Präsidentschaftswahl 2015 in Kiew von der EU weggeschaut? Natürlich rechtfertigt das keinen Krieg, das soll es auch nicht. Aber ist es Verharmlosung, wenn man vom Westen die Einhaltung der Werte verlangt, die er nicht müde wird, zu propagieren? Bin ich nun ein Putinversteher? Nein. Ich verurteile seine Angriffskriege, seine Giftanschläge, Hackerangriffe und und und. Kommt jetzt auch „Sie retten sich Ihren Putin nicht mehr?“. Ich hoffe nicht. Die Welt ist nämlich nicht nur schwarz und weiß.

Fr., 08.04.2022 - 17:55 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 16.04.2022 - 08:29

Antwort auf von Peter Paul Ped…

Gegen plündernde und raubende Horden konnte man sich zu früheren Zeiten, durch Verstecken und gesicherter Verwahrung einigermaßen erwehren, wenn nicht von besonders gewissenlosen Elementen Brände gelegt wurden.
Mit der Industrialisierung begann die Produktion mit zunehmend perfideren grausameren Mord- und Zerstörungsprodukten. Die Kriegstreiber in ihren sicheren und klimatisierten Büros, haben keine Hemmung mehr, um damit viele Menschen zu töten und den größtmöglichen Schaden anzurichten.

Sa., 16.04.2022 - 08:29 Permalink