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Foto: Othmar Seehauser
Gesellschaft | Fritto Misto

Sie sind wieder da

Viele Touristen, knappe Ressourcen: Neben dem Wasser schwindet auch die Geduld.

Zugegeben, als sie ganz wegblieben, das war auch nicht schön: Zu Hochzeiten von Corona spazierte man durch Meran und glaubte, ganz leise das „Lied vom Tod“ zu hören, während einem die Steppenläufer vor die Füße kullerten. Die Stadt ganz ohne Touristen, das war seltsam und auch ein bisschen gespenstisch. Als dann die ersten wieder kamen, da verspürte man glatt Erleichterung und Dankbarkeit, dass sie „uns“ die Treue hielten und mit ihnen auch wieder ein wenig Normalität zurückkehrte. Mittlerweile aber droht die Dankbarkeit schon wieder in  Verdruss zu kippen: Wer am Osterwochenende an einem der sogenannten hot spots unterwegs war, stellte sich unweigerlich die Frage: Sind das noch Gäste oder schon Invasoren?

Einzeln betrachtet sind sie gewiss mehrheitlich sympathisch und ein Gewinn, die Hannelore aus der Pfalz und der Reto aus der Schwyz, in ihrer Gesamtheit aber rollen sie wie eine bedrohliche, verfrüht kurzbehoste Lawine durch die Laubengänge, den Tappeinerweg hinauf und die Promenade hinunter und drohen vor allem eines platt zu machen: Die Akzeptanz der Einheimischen, die sich fragen, wie viel Gastfreundschaft man aufbringen kann, wenn einem selbst kein Platz mehr bleibt. Andernorts brechen die Touristen in ihrer italienischen Ausprägung unbeirrt auf gefrorenen Seen ein und drängen die Eingeborenen in die Rolle der Aufpasser, der Spielverderber, die dann aber anrücken dürfen, wenn‘s brenzlig wird. Wollen wir das? Touristendulder sein, Touristendompteure, ja Touristendisziplinatoren, wie die Episoden auf dem Pragser Wildsee gezeigt haben? Wenn wir schon genervt den Blick abwenden, wie genervt müssen sie denn selbst sein, wenn sie hier ankommen und statt friedlicher Idylle vor allem eines vorfinden: andere Touristen.

Ich hatte ja die fromme Hoffnung, Corona hätte ein Umdenken bei unseren Touristikern gebracht, weniger ist mehr und so. Dass die Klimakrise einen Tritt auf die Bremse und ein tiefgreifendes Umdenken jetzt unumgänglich macht. Allein, bislang ist wenig davon zu spüren. Dass das Wasser knapp wird, das merkt wohl der gemeine Bürger, wenn er dazu angehalten wird, es mit der Körperhygiene nicht mehr ganz so genau zu nehmen, nicht aber Hans-Rüdiger, der sich überlegen darf, in welchem der hauseigenen Infinitiy-Pools er heute mal plantschen wird. Bis zu viermal mehr Wasser verbraucht ein Gast in einem Wellness-Hotel im Vergleich zu einem Normalbürger: „Pah“, muss Quellenhof-Chef Heini Dorfer gedacht haben, „da geht noch mehr“, und prompt hat er eine Anlage geschaffen, die mit den Tropen vor allem die Hitze eines Fiebertraumes gemein hat und mit Wasser umgeht, als läge das Passeiertal in einer separaten Klimabubble. Den Luxus-Chalets im künstlichen See bescheinigt Dorfer ein „maledivisches Antlitz“, vermaledeiend hingegen das Antlitz von unsereinem angesichts dieses der Ressourcenknappheit spottenden Konstrukts, und noch vermaledeiender wird’s , wenn man lesen muss, dass Gemeinde samt Bürgermeisterin im angeblich nicht wussten, was hier entstehen würde. Ich ziehe meinen Tropenhut vor der Gemeinde St. Martin in Passeier, die somit die verschwiegenste, diskreteste Gemeinde im Land sein muss, frei von Klatsch und Tratsch. Kein Wunder, dass es die VIPs immer mehr dorthin zieht.

Nun denn, neidisch blicken wir nach Venedig, das Touristen künftig nur noch mit Vormerkung willkommen heißen wird, und warten darauf, was wohl hierzulande unternommen wird, um die Touristenströme wieder auf ein erträgliches Maß zu regulieren. Ach ja, Bettenstop, Belebung der Nebensaison, ich vergaß. Effektiver wäre doch eine Touristen-Lotterie: Anreise nur mit dem Zug, in Bozen dürfen die Südtirol-Liebhaber dann ein Los ziehen, und die Spannung steigt: Wird es Meran oder doch Meransen? Prags oder Prad? Karer- oder Brennerpass? Welch Nervenkitzel, welch Abenteuergeist! Überrannte Gebiete würden entlastet, unbekannte belebt und die Urlauber kämen in den Genuss wahrhaftiger Authentizität, wenn sie mal die einzigen im hintersten Weiler wären. Geht es hingegen weiter wie bisher, dann könnte die vielgepriesene Gastfreundschaft der Südtiroler*innen bald in unverhohlene Abneigung umschlagen, inklusive mit faulen Eiern bewaffneter Guerillatruppen. Deshalb jetzt einlenken, bevor es heißt: Südtirol? Nie wieder.

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Dietmar Nußbaumer Mo., 25.04.2022 - 19:26

Eine gut durchdachte Entwicklungsperspektive ist sicher nötig. Es gibt Gegenden, wo der Tourismus die Grenzen wohl schon überschritten hat ebenso wie Gebiete, die noch einige Betriebe aushalten würden.

Mo., 25.04.2022 - 19:26 Permalink
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Eduard Gruber Mo., 25.04.2022 - 19:46

Geehrte Fr. Kienzl, es gibt ein Zitat, welches da heißt:

„Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

Dem ist Angesichts ihres Artikels nichts mehr hinzuzufügen.

Mo., 25.04.2022 - 19:46 Permalink
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Factum Est Mo., 25.04.2022 - 23:24

Wie sind nochmals die Prioritäten bezüglich Wasser geregelt? Zuerst die Bevölkerung danach die Landwirtschaft, dann die Industriebetriebe. Und wo bleibt der Tourist?

Mo., 25.04.2022 - 23:24 Permalink
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Josef Fulterer Di., 26.04.2022 - 07:19

Antwort auf von Factum Est

Der Tourismus schlägt in der Wahrnehmung der Bevölkerung um wenn:
* die Lieblings-Orte von Gästen überrollt werden
* kaum lösbare Grenzen bei der Verfügbarkeit vom Trinkwasser und den Verkehrsproblemen auftauchen
* die durch den Wochenendwechsel entstehenden Staus, zu Stunden-langen Zeitverlusten führen (... auch bei den Gästen)
* an voraussichtlichen nicht-Schönwettertagen die Linienbusse (mit Zusatzbussen lösbar) überfüllt und die Städte verstopft sind
* die Orts-ansässige Bevölkerung in den Geschäften, Bars und Gasthöfen nachrangig bedient wird
* die Projektanten und Bauherren ihre unangenehmen Duftmarken in die historischen Orte und in die Landaschaft setzen.
Die Gästewerbung müsste auf 365-Tagestourismus ausgelegt werden, dann würden endlich auch mehr Ganzjahresstellen das Arbeiten in diesem Bereich atraktiver machen, die Betriebe könnten ruhiger arbeiten und nicht mehr nur an der "Spitzenpreisjagd zu Ferraagosto, Weihnachten und Ostern" interessiert sein.

Di., 26.04.2022 - 07:19 Permalink
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ueli wyler Di., 26.04.2022 - 10:52

Gestern, Tag der Befreiung. In Orten, wie Schenna klapperten einmal die Stiefel der Besatzer. Heute klappern die Wanderstöcke der "neuen" Besatzer. Doch jetzt sind sie willkommen............
Südtirol hat längst seine Seele dem Tourismus verkauft.

Di., 26.04.2022 - 10:52 Permalink