Wirtschaft | Landwirtschaft

Die Macht der Kuh

Die beschlossene Förderung mit 300 Euro pro Milchkuh zeigt einmal mehr, wie wichtig und schwierig die Position der Bergbauern im Tourismusland Südtirol ist.
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Foto: suedtirolfoto.com

Die Ankündigung der Landesregierung zur finanziellen Unterstützung der Milchbauern in Südtirol hat Kritik von mehreren Seiten zur Folge. Es handelt sich dabei um eine Unterstützung für kleinere und mittlere Betriebe für die ersten 30 Milchkühe mit 300 Euro pro Tier. Die Beiträge werden für maximal 30 Milchkühe pro Betrieb ausbezahlt, durch die Bedingung der flächenbezogenen Viehwirtschaft sind Betriebe mit erhöhtem Viehbesatz ausgeschlossen.

 

Wer soll die Landschaftspflege ohne Milchkühe bezahlen? - Leo Tiefenthaler

 

Kompatschers Begründung

 

Landeshauptmann Arno Kompatscher erklärt auf Anfrage Der Neuen Südtiroler Tageszeitung, dass „die kurzfristige Sofortmaßnahme“ nötig sei, da die „extrem steigenden Futtermittelpreise“ für die Bergbauernhöfe eine Existenzbedrohung darstellen. Zudem verweist der Landeshauptmann auf die Ausgaben des Landeshaushaltes in Millionenhöhe, um in den Bereichen Soziales, Familien, Gesundheit und Bildung der breiten Bevölkerung kostenlose oder kostengünstige öffentliche Leistungen bieten zu können.

Er spricht auch die steuerlichen Entlastungen für Geringverdienende in den letzten Jahren an. „Das alles ganz abgesehen von den Covid-Sonder- und Sofortmaßnahmen im Bereich des Sozialen und der jüngsten Maßnahme der Heizkostenpauschale“, erklärt Kompatscher gegenüber der Tageszeitung.

 

Sicht der Arbeitnehmer

 

Der Chef des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes (ASGB), Tony Tschenett, sieht diese Maßnahmen als unzureichend an. Die Vorschläge des ASGB zur Entlastung von Arbeitnehmer:innen und Mittelstand zur Abfederung der Inflation seien von der Landesregierung weder angenommen noch kommentiert worden. Er spricht auch die Heizkostenpauschale von 500 Euro an: „Nur jene Minderheit, die Bezieher des Beitrages für Wohnungsnebenkosten sind, erhalten eine Einmalzahlung von 500 Euro – eine krasse Minderheit der Bedürftigen“, so Tschenett.

AFI-Direktor Stefan Perini kann im Gespräch mit salto.bz nachvollziehen, dass vor allem die Milchbauern in der Berglandwirtschaft derzeit unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Gleichzeitig zeigt aber das aktuelle AFI-Barometer vom Frühjahr 2022, dass auch 34 Prozent der Arbeitnehmer:innen Schwierigkeiten haben, mit ihrem Lohn über die Runde zu kommen. Hier gebe es vonseiten der Landespolitik geringe Gesprächsbereitschaft mit Arbeitnehmervertretungen. „Offensichtlich haltet die Landesregierung von 20.000 Bauern mehr als von 210.000 Arbeitnehmer:innen“, so Perini.

 

Die Berglandwirtschaft ist für die Landwirtschaft im Allgemeinen, die Milchwirtschaft im Speziellen und für unser Land von großer Bedeutung - Manfred Pinzger

 

 

Sicht der Bauern und Hoteliers

 

Landesobmann des Südtiroler Bauernbundes, Leo Tiefenthaler, sieht diese Sonderstellung der Bauern gerechtfertigt an – und das aus einem nicht leicht zu entkräftigenden und altbekannten Grund: Das Landschaftsbild in einer Bergregion wie der in Südtirol wird von Bauern gepflegt. „Würde die Landschaft wie in anderen Bergregionen verwildern, verschwände der Tourismus, was wiederum eine Abwanderung der allgemeinen Bevölkerung zur Folge hätte“, sagt Tiefenthaler. Da angesichts der hohen Preissteigerungen einige Betriebe die Milchwirtschaft aufgeben wollen, brauche es jetzt diese Sofortmaßnahme, die letzte Woche am sogenannten Milchtisch ausgehandelt wurde.

Auch der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) argumentiert in diese Richtung: „Die Berglandwirtschaft ist für die Landwirtschaft im Allgemeinen, die Milchwirtschaft im Speziellen und für unser Land von großer Bedeutung“, sagt HGV-Präsident Manfred Pinzger. Deshalb sei es vernünftig, aufgrund gestiegener Kosten für Futtermittel bäuerliche Familienbetriebe zu unterstützen und dadurch einen Beitrag zum Erhalt der Berglandwirtschaft zu leisten. „Es soll im Interesse aller liegen, die Berglandwirtschaft zu sichern, weil sie unter anderem auch einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege leistet“, unterstreicht Pinzger.

 

Der hohe Konsum tierischer Produkte ist ein Fehler im heutigen Ernährungssystem - Jutta Staffler

 

Die Zukunft der Milchwirtschaft

 

Auf die Frage, ob die Milchwirtschaft in Zeiten der Klimakrise noch eine gangbare Lösung für ein attraktives Urlaubsangebot in Südtirol ist, sieht Tiefenthaler vom Bauernbund keine Alternative: „Wer soll die Landschaftspflege ohne Milchkühe bezahlen“, fragt er. Bei der Tierhaltung stoßen Rinder während der Verdauung von pflanzlicher Nahrung das Treibhausgas Methan aus. Die Südtiroler Milchkühe seien aber aus Sicht Tiefenthalers beim Klimawandel kein wesentlicher Einflussfaktor.

 

 

Jutta Staffler, Vorstandsmitglied beim Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Südtirol, sieht die Sachlage aus ökologischer Perspektive anders: „Die Argumente für die Förderung der Milchwirtschaft beinhalten unter anderem die gestiegenen Getreidepreise.“ Getreide sei aber ein Nahrungsmittel, das wir selbst essen können.

Da in Südtirol viele Wiesen mühsam zu bewirtschaften sind, war bis vor kurzer Zeit die Einfuhr von billigem Getreide einfacher als Kühe mit Gras und Heu zu füttern. Staffler hingegen findet die Viehwirtschaft nur dann sinnvoll, wenn Kühe keine Grundnahrungsmittel der Menschen fressen. „Der hohe Konsum tierischer Produkte ist ein Fehler im heutigen Ernährungssystem.“

Helmuth Scartezzini, ebenso Vorstandsmitglied des Dachverbandes, vermisst bei der Maßnahmensetzung der Landesregierung den Weitblick. „Diese Förderungen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagt er. Die Landwirtschaft sei als schwächstes Glied auf dem Markt zu unterstützen. Allerdings habe es aus volkswirtschaftlicher Perspektive wenig Sinn, zu niedrige Marktpreise durch öffentliche Gelder auszugleichen. Er fordert hingegen eine bessere Zusammenarbeit der Milchgenossenschaften in Südtirol, um aus einer besseren Marktposition heraus, höhere Milchpreise aushandeln zu können.

 

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Claudia Oberhauser Di., 26.04.2022 - 23:03

„Das Landschaftsbild in einer Bergregion wie der in Südtirol wird von Bauern gepflegt.“ Naja, wenn ich so manchen Hang hier in den Seitentälern des Pustertals anschaue: Jeder dem Erdboden glatt planiert, damit Bauer mit seiner neuen subventionierten Heumaschine fein den Hang runterkommt. Da frag‘ ich mich immer: ist der demonstrativ stehen gelassene Baum noch zynisch oder schon poetisch? Weil: Gibt ein tiefen Einblick zu was diese sogenannte „Landschaftspflege“ verkommen ist.

Di., 26.04.2022 - 23:03 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 27.04.2022 - 13:04

Antwort auf von Christian I

Anscheinend sind schwach gedüngte aber gemähte oder beweidete Wiesen mit viel mehr verschiedenen Pflanzen, Kräutern und Blüten beglückt. Bei Verwilderung würden bald mehrere der Ktäuter und Blumen verschwinden. Und sobald die Wiese oder Weide total verbuscht oder bewaldet ist, bleiben nur noch wenige Arten übrig. Wenn aber überdüngt wird, gibt es diese Pracht auch nicht mehr.

Mi., 27.04.2022 - 13:04 Permalink
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Hansi Kafmann Mi., 27.04.2022 - 06:48

Die Zuchtziele und Strategie aller Rinderzuchtverbände hat uns Tiere beschert die für eine Modeschau aber nicht für ein Berggebiet mit kargem Grundfutter tauglich sind. Wir müssen umdenken wenn wir überleben wollen.

Mi., 27.04.2022 - 06:48 Permalink
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rotaderga Mi., 27.04.2022 - 07:36

Die Arbeit der Landschaftspflege hat sich schon längst von den Milchkühen auf John Deere, Valtra, Fend, Clas verlagert.

Wenn Touristiker Landschaftspflege brauchen, sollte man diese nicht durch Steuern der Arbeitnehmerschaft finanzieren. Touristiker sollten ausschließlich Produkte aus der Umgebung verwenden.

Grundsätzlich sollte eine öffentliche Beitragsvergabe erst nach transparenter Offenlegung der bestehenden Eigenpotenziale erfolgen.

Hätten die Arbeitnehmer*innen Vertreter eines Kalibers von Leo Tiefentaler würde manches anders verlaufen!

Mi., 27.04.2022 - 07:36 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 27.04.2022 - 09:23

Antwort auf von rotaderga

Ja, die Bauern haben nur deshalb eine solche Macht, weil sie gut organisiert sind. Sie schaffen es auch im Verhältnis mehr Abgeordnete in den Landtag und in die Landesregierung zu entsenden. Wie sie schreiben "Rotaderga", hat der Bauernbund mit Tiefentaler und Rinner fähige Personen an richtiger Stelle. Die Vertretung in Brüssel haben auch die Bauern "gepachtet". Vom Tagblatt haben sie Unterstützung.
Die Lohnabhängigen und Rentnerinnen haben dies alles nicht. Sie haben nicht einmal Unterstützung bei der alternativen Presse und auch nicht von den Oppositionsparteien. Warum das alles so ist, ist schwer verständlich!
Vielleicht sollten die Medien und die Oppositionsparteinen im Rahmen der nächsten Wahlen, ihre gesellschaftlichen Gewichte verlagern um ein Gleichgewicht herzustellen!

Mi., 27.04.2022 - 09:23 Permalink
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M A Mi., 27.04.2022 - 07:42

Der "Tourismus" muss endlich einen ehrlichen Beitrag dafür zahlen, dass er eine Landschaft in Anspruch nimmt, die ihm nicht gehört!

Mi., 27.04.2022 - 07:42 Permalink
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m s Mi., 27.04.2022 - 08:24

Eine nachhaltige Milchwirtschaft bräuchte keine Futtermittel von außen. Wiederkäuer eigentlich auch kein Getreide. Wieviel Soja aus ehemaligem (brasilianischen) Regenwald wird in Südtirol für unsere Markenmilch und anderswo für unsere Speckhammen verfüttert?

Mi., 27.04.2022 - 08:24 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 27.04.2022 - 09:44

Der Bauer als Landschaftsgärtner - mit öffentlichen Mittel bezahlt? Diese Diskussion gab es schon vor Jahrzehnten. Aber die Bauern wollten keine Lohnempfänger werden, sondern selbständige Unternehmer bleiben. Dann sollen sie auch das Risiko tragen! Aber sie wollen beides.
Das Ergebnis ist es ben dieses: Turbolandwirtschaft mit überdüngten Wiesen in denen kaum noch Blumen vorkommen (altroche Landschaftsgärtner!) und mit Kraftfutter vollgestopfte Milchkühe - mit den ganzen Folgen, die wir kennen.
Weidewirtschaft ist die Lösung, wie in einem anderen Artikel auf dieser Plattform (https://www.salto.bz/de/article/15042022/mehr-klimaschutz-der-landwirts… plus Verweisauf Link: https://www.derstandard.at/story/2000135080767/klimakiller-kuh-sie-kann-...) beschrieben wird.
Vorschlag: die Obst- und Weinbauern soll die Milchbauern unterstützen. Die Stergelder der Lohnabhängigen und Rentnerinnen soll wieder für diese Zielgruppe verwendet werden. Oder noch besser: die Steuern bei den Rentnern stark reduzieren!

Mi., 27.04.2022 - 09:44 Permalink
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G. P. Mi., 27.04.2022 - 11:46

Die lt. Arno Kompatscher "kurzfristige Sofortmaßnahme" gibt's doch nur, um sich am Freitag bei der Landtagssitzung die Mehrheit zu sichern durch die vier Vertreter der Landwirtschaft.

Mi., 27.04.2022 - 11:46 Permalink
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G. P. Mi., 27.04.2022 - 13:05

„Die Berglandwirtschaft ist für die Landwirtschaft im Allgemeinen, die Milchwirtschaft im Speziellen und für unser Land von großer Bedeutung“, sagt HGV-Präsident Manfred Pinzger.
Ganz richtig erkannt ... und in den Hotels gibt es dann zum Frühstück die H-Milch von der "Molkerei Berchtesgadener Land", die Butter von "Meggle" und das Joghurt von "Nestlé".

Mi., 27.04.2022 - 13:05 Permalink
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Factum Est Mi., 27.04.2022 - 23:25

Antwort auf von G. P.

Nach Pinzger muss man dem deutschen Gast sein gewohntes Lebensmittel mit der gewohnten Aufschrift servieren. Wäre doch Allerhand wenn man versuchen würde aufzuklären dass es bessere Produkte gibt als seine Gewohnten die Er übers Jahr zu sich nimmt.

Mi., 27.04.2022 - 23:25 Permalink
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rotaderga Mi., 27.04.2022 - 16:56

Zwei Kühe sind eine Zuwenig, warum? Ach ja, auch das Land bevorzugt große Haufen. Aber 3 Zuchkalbinen und 2 Mastochsen mit zwei Milchkühen, das geht nicht. Dafür kaufe ich aber in Rom südtiroler Milchprodukte billiger als in Bozen.
Ich nennen dies Willkür. Für unser Politiker, selbstbestimmend in Lohn und Renten, eine durchaus nachhaltige Lösung.

Mi., 27.04.2022 - 16:56 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mi., 27.04.2022 - 21:54

Die Subventionspolitik ist, soweit ich das ermessen kann, eine Erfindung der EU. Sie federt geringe Verdienste der Landwirtschaft ab, damit Landwirtschaftsbetriebe nicht zusperren müssen. Das ganze, so vermute ich, hat den Sinn, möglichst genug Lebensmittel in der EU selber zu produzieren (was Auslagerung bewirken kann, das erkennen wir zur Zeit). Neben dem Frieden hat die EU auch wirtschaftlichen Erfolg garantiert und genug Lebensmittel (im Gegensatz zu kommunistischen Regimes; will nicht heißen, dass es nicht auch Schattenseiten gibt, sprich: die Macht des Kapitals). Genau diese Subventionspolitik ist aber auch zweischneidig, denn einerseits kann der Konsument billige Lebensmittel beim Discounter kaufen, bezahlt aber hintenrum über Steuergelder wieder etwas drauf. Der Landwirt andererseits möchte wahrscheinlich lieber vom Verkauf leben können, ohne um Almosen betteln zu müssen. Dieses System belohnt v.a. die richtig großen Betriebe, die wir in Südtirol nicht mal ansatzweise haben.

Mi., 27.04.2022 - 21:54 Permalink