Gesellschaft | Statistik

Wie „tickt“ Südtirols Jugend?

Was ist bei den Jugendlichen „in“ oder „out“? Auskunft darüber gibt die siebte Ausgabe der Südtiroler Jugendstudie des Landesinstitutes für Statistik (ASTAT).
Jugendliche mit Handy
Foto: Pixabay
Soziale Beziehungen in Familie und Freundeskreis, Freizeitgestaltung und Gesundheitsverhalten sowie das Engagement für Gesellschaft und Politik und Vorstellungen über zukünftige Lebenspläne sind die zentralen Themen, die in der aktuellen Ausgabe der „Südtiroler Jugendstudie – 2021“ beleuchtet werden.
Im Rahmen einer Präsentation hat das Landesinstitut für Statistik (ASTAT) im Beisein der Landesräte Philipp Achammer, Daniel Alfreider und Giuliano Vettorato die neue Studie heute (27. April) der Öffentlichkeit vorgestellt. „Unsere Jugend hat so viele Möglichkeiten und „Kontakte“ wie noch nie. Zugleich sieht sie sich mit vielen Irritationen konfrontiert“, sagte Landesrat Philipp Achammer mit Blick auf die Jugendstudie und aktuellen Krisensituationen. Die Jugend durchlebe eine Zeit, die vom Klimawandel, einer Pandemie und einem Krieg in Europa geprägt sei. „Aber was will unsere Jugend, die verantwortungsbewusst, weitblickend und solidarisch ist, und auf die wir stolz sein können? Unsere Jugend will wahr- und ernst genommen werden“, betonte Landesrat Achammer. „Wir müssen die jungen Menschen wieder verstärkt ins Zentrum des politischen Handelns rücken und überlegen, wie wir sie jetzt gezielt fördern, damit sie gefestigt durchs Leben gehen können.“
Landesrat Daniel Alfreider wies darauf hin, dass das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie besonders hart von den Einschränkungen getroffen worden sei und betonte: „Diese Studie gibt wichtige Hinweise über Erfahrungen, Sorgen und Bedürfnisse der Jugendlichen. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeiten geben, sich einzubringen und zu beteiligen. Wir müssen sie selbst fragen, wie es ihnen geht, worum sie sich sorgen und was sie brauchen und welche Ideen sie haben. Auf diese Befragungen müssen Taten und konkrete Maßnahmen folgen. Denn echte Beteiligung muss folgenreich und nachhaltig sein.“
Landesrat Giuliano Vettorato hob in seiner Stellungnahme die große Bedeutung dieser Umfrage hervor, „denn nur wenn man die Wünsche, Hoffnungen und Pläne der jungen Generationen kennt, können Politik und Gesellschaft ihre Prioritäten danach ausrichten und die Voraussetzung dafür schaffen, damit sich die Jugend eine gute Zukunft aufbauen kann“. Ein besonderer Fokus müsse dabei auf die Bereiche Mehrsprachigkeit, Forschung und Innovation gelegt werden, auch unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten, „die alles andere als unerheblich sind“, wie Vettorato betonte. „Wir müssen in die Ausbildung investieren vor allem im Hinblick auf die berufliche Orientierung.“ 
 
In Rahmen der Studie wurden nicht nur die sozialdemografische Daten erhoben, sondern auch das familiäre und soziale Umfeld, Ausbildung und Freizeit, gesellschaftliche und politische Beteiligung, Werthaltungen, Lebensentwürfe und berufliche Ziele, Religion, Selbstwahrnehmung, Risikoverhalten sowie Liebe und Sexualität.
 
Zum Stichttag 1. Jänner 2021 waren in Südtirol 71.482 Personen im Alter von 14 bis 25 Jahren registriert, was 13,4 Prozent der Südtiroler Bevölkerung entspricht. Während der Anteil junger Menschen Mitte der Achtzigerjahre den höchsten Wert erreichte, ist seit Ende der Achtzigerjahre bis zu den ersten 2000er Jahren eine Abnahme zu verzeichnen. Inzwischen hat sich der Anteil der Jugendlichen auf 13  bis 14 Prozent eingependelt. Der Anteil ausländischer Jugendlicher entspricht 9,8 Prozent (7.023) aller ansässigen Jugendlichen. Laut Erhebung beträgt die durchschnittliche Anzahl der Familiemitglieder 4,1, was der Erhebung von 2016 entspricht. Die Jugendlichen italienischer Muttersprache leben dabei im Schnitt in kleineren Hauhalten als die deutsch- und ladinischsprachigen Jugendlichen. Dementsprechend sind die Haushalte in der Landeshauptstadt kleiner als in den übrigen Gemeinden Südtirols.
 

Familie und soziales Umfeld

 
Im Vergleich zur Studie, die 2016 durchgeführt wurde, zeigen sich keine großen Veränderungen in der Beziehung von den Jugendlichen zu ihren Eltern. Nach wie vor wird das Verhältnis zur Mutter besser (sehr gut in 72 Prozent der Fälle, gut in 25 Prozent der Fälle und schlecht bzw. kein Kontakt in zwei Prozent der Fälle) eingestuft als das Verhältnis zum Vater (jeweils 59 Prozent, 35 Prozent und sechs Prozent). Auf die Frage, was sie besonders an ihren Eltern schätzen, antwortete über die Hälfte der Jugendlichen, dass sie sich auf die Eltern verlassen können und dass die Eltern für sie da sind und die Kinder gern haben. Es folgen die Hilfe der Eltern in schwierigen Situationen und ihre Unterstützung in der Wahl der Ausbildung und des Berufes.
 
 
 
Einige Aspekte wie beispielsweise Zuverlässigkeit, das Dasein, die Hausarbeit und der Dialog werden mehr an der Mutter geschätzt, andere hingegen mehr am Vater (die Zuneigung, die finanzielle Unterstützung und gemeinsame Unternehmungen). Ansprechpartner für die Jugendlichen bei wichtigen Themen sind im Allgemeinen die Eltern, gefolgt von den Freunden und Freundinnen und vom Partner bzw. von der Partnerin. Bezüglich Freundeskreis gaben 65 Prozent an, eine Gruppe von Freunden und Freundinnen zu haben, und 44 Prozent, mehrere Freunde bzw. Freundinnen zu haben, mit denen sie sich getrennt treffen. 18 Prozent der Befragten antworteten hingegen, wenige Freunde zu haben und ein Prozent erklärte, keine Freunde zu haben. Unter den ausländischen (50 Prozent) und den italienischsprachigen Jugendlichen (56 Prozent) ist der Anteil der Jugendlichen, die eine Gruppe von Freunden haben, geringer als unter den ladinischsprachigen (75 Prozent) und den deutschsprachigen Jugendlichen (68 Prozent).
 
 

Schule und Beruf

 
Laut Erhebung besuchen 88 Prozent der 14 bis 19-Jährigen, die den Mittelschulabschluss, aber noch keinen Oberschulabschluss erlangt haben, eine Oberschule oder einen Vollzeitkurs an einer Landesberufsschule. Die restlichen 12 Prozent sind größtenteils Lehrlinge und besuchen Lehrlingskurse an den Berufsschulen.
Im Schuljahr 2019/2020 waren 19.999 Schülerinnen und Schüler in eine Südtiroler Oberschule und 6.697 in einem Vollzeitkurs an einer Landesberufsschule eingeschrieben, insgesamt also 26.696 Schülerinnen und Schüler. 10.399 bzw. 8.791 Jugendliche besuchten ein Gymnasium bzw. eine Fachoberschule, während insgesamt 7.506 eine Berufsausbildung absolvierten. Von diesen waren 809 in eine staatliche Berufsausbildung eingeschrieben. Der Anteil der Gymnasiasten betrug somit 39 Prozent an den gesamten Oberschülern. 32,9 Prozent der Oberschüler besuchten eine Fachoberschule, 28,1 Prozent eine Berufsschule.
 

Freizeitgestaltung

 
65 Prozent der Südtiroler Jugendlichen sind mit ihrer Freizeitgestaltung zufrieden. 20 Prozent geben an, dass sie zu viele Verpflichtungen und zu wenig Zeit für sich selbst haben, und 15 Prozent sind unzufrieden, weil sie sich häufig langweilen. Zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten zählen chatten, Influencern folgen und Social Media-Aktivitäten – 81 Prozent der Jugendlichen tun dies übrigens täglich – sowie Musik hören. Größtenteils informieren sich die Jugendlichen (75 Prozent) über Social Media Plattformen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Muttersprache und Wohngebiet. An zweiter und dritter Stelle der Informationsquellen liegen Online-Zeitungen (52 Prozent) und Fernsehnachrichten (50 Prozent), gefolgt von Radionachrichten (29 Prozent), Papierzeitungen (18 Prozent), Online-Magazinen (16 Prozent) und Papiermagazinen (1 Prozent). Vier Prozent der Jugendlichen geben an, sich nie zu informieren.
 
 
 
Jugendliche interessieren sich vor allem für Musik und Sport. Es folgen Technologien, Wissenschaft, Mode und Kultur. Auf der Rangliste ganz unten stehen Politik, Klatsch und Tratsch sowie Wirtschaft.
Fast alle 14-25-Jährigen Südtiroler und Südtirolerinnen verwenden Internet. 63 Prozent verbringen täglich mehr als zwei Stunden im Netz, 30 Prozent ein bis zwei Stunden und sieben Prozent weniger als eine Stunde. Der Anteil der Jugendlichen, die mehr als zwei Stunden im Internet verbringen, sinkt allerdings mit dem Alter. Sind es bei den unter 14 bis 17-Jährigen und den 18 bis 21- Jährigen 67 Prozent, so sinkt der Anteil dann bei den 22 bis 25-Jährigen auf 54 Prozent. Dabei ist sich der Großteil der Jugendlichen durchaus bewusst, dass die Nutzung des Internets auch Risiken in sich birgt. Von 63 Prozent der 14 bis 25-Jährigen wird beispielsweise die Gefahr genannt, zu viel Zeit im Internet zu verbringen und sich in der Folge von der Außenwelt abzuschirmen bzw. Zeit zu verschwenden.
 

Politik und Gesellschaft

 
Auf die Frage, was den Jugendlichen am meisten an Südtirol gefällt, nannten 82 Prozent der Befragten die Landschaft. Mit deutlichem Abstand folgen die Küche (53 Prozent), die Traditionen (40 Prozent) und der wirtschaftliche Wohlstand des Landes (38 Prozent). 30 Prozent der Jugendlichen gefällt die Mehrsprachigkeit in Südtirol und 22 Prozent bewerten das Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen positiv. 26 Prozent der Jugendlichen zählen die beruflichen Chancen zu den fünf wichtigsten Vorzügen. 19 Prozent der 14 bis 25-Jährigen schätzen besonders das breitgefächerte Schul- und Bildungsangebot und 15 Prozent die vielen kulturellen Angebote wie Theater, Konzerte und Bibliotheken. Bei den negativen Aspekten hingegen fallen vor allem der Egoismus und Neid der Menschen (39 Prozent) ins Gewicht. Weiters die Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche (36 Prozent) und die Lebenshaltungskosten (36 Prozent), gefolgt von der Trennung zwischen den Sprachgruppen (25 Prozent), Extremismus/Rassismus/Ungleichheiten (23 Prozent), Überfüllung durch Touristen (22 Prozent), Verkehr (17 Prozent), exzessiver Alkoholkonsum (17 Prozent), Arbeitsplätzemangel (16 Prozent), ungenügender Umwelt- und Naturschutz (14Prozent), Einwanderung (14 Prozent), Abhängigkeiten/ Sucht (14 Prozent), Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (12 Prozent), Kriminalität (10 Prozent), steigende Armut (9 Prozent), unzureichende Möglichkeiten der politischen Beteiligung (9 Prozent) und Belastung durch große Infrastrukturen (6 Prozent).
Was muss ein Land bieten, um den Vorstellungen eines eigenen Lebensentwurfes zu entsprechen? Auf diese Frage nannten 73 Prozent der Jugendlichen die Arbeit. Es folgen ein effizientes Gesundheits- und Sozialsystem (55 Prozent), Meinungsfreiheit (48 Prozent), verbreiteter wirtschaftlicher Wohlstand (27 Prozent), Verpflichtung gegen Diskriminierung und für die Menschenrechte (24 Prozent), Unterhaltung (23 Prozent), geschützte Umwelt (20 Prozent) und die kulturellen Möglichkeiten (12 Prozent).
 

„In“ und „Out“

Deutlicher als bei den anderen Fragestellungen ist bzgl. Wertehaltungen und Zukunftswünsche ein Unterschied zwischen den Sprachgruppen feststellbar. Bei den deutschsprachigen Jugendlichen sind die ersten vier Plätze mit Themen der sozialen Konkurrenz belegt, die wiederum unter den Erstplatzierten der italienischsprachigen Jugendlichen vollkommen fehlen. Letztere bevorzugen Selbständigkeit und Verantwortung. Die Ladiner liegen interessanterweise ziemlich genau dazwischen, während die Vorstellungen der anderssprachigen Jugendlichen eher den italienischsprachigen ähneln.
 
 
 
 
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Josef Fulterer Do., 28.04.2022 - 06:26

Südtirol hat den Vorteil / die Mühsal der Nahtstelle vom deutschen und romanischen Sprach- und Kulturraum.
Für ein friedlicheres Zusammenleben der Volksgruppen und besseres Erlernen der Sprachen, müssten endlich die 3 Schulämter, die sich krampfhaft gegeneinander abschotten und recht aufwendig ihr Unwesen treiben, verräumt werden.
In den Schulen sollte statt "dem Fremdsprachen-Unterricht," Stufen-weise die Fächer wechselnd, in Deutsch, Italienisch, im ladinischen Raum auch Ladinisch und auch Englisch unterrichtet werden.
Leider hat die deutsche Rechtschreibreform mit zwei Ansätze, noch mehr Ausnahme-Eigenheiten durchgesetzt, die ein Fehler-frei schreiben fast unmöglich macht.

Do., 28.04.2022 - 06:26 Permalink
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Christian I Do., 28.04.2022 - 08:57

Antwort auf von Josef Fulterer

Absolut ihrer Meinung!
Ich sehe das bei meiner Tochter: Erste Klasse deutsche Schule, nur eine Stunde italienisch. LÄCHERLICH!! Englisch? Erst in der vierten Klasse. ABSURD!! Die Politik verhindert aktiv, dass unsere Kinder schneller (und besser) die Sprachen lernen, wobei wir in Südtirol die besten Voraussetzungen hätten. Da bleibt den Eltern nichts anderes übrig, als dies selbst in der Hand zu nehmen.

Do., 28.04.2022 - 08:57 Permalink
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Katharina Hersel Do., 28.04.2022 - 07:48

Bei der letzten Frage unterscheidet sich die Fragestellung in der deutschen und der italienischen Version erheblich, deshalb fallen auch die Antworten unterschiedlich aus. Im Italienischen wird nach in und out „per te“ gefragt, also nach dem persönlichen Wert für die Antwortenden. In der deutschen Fragestellung wird gefragt, was „deiner Meinung nach“ in und out ist. Das kann auch eine unpersönliche Beobachtung
der Gesellschaft sein, so wie die Jugendlichen es von vielen Erwachsenen vorgelebt bekommen und hat nicht zwangsläufig mit der Wertehaltung der Antwortenden zu tun. Um diese abzufragen, hätte die Frage lauten müssen: was ist „für dich“ in und out, wie in der ital. Version.

Do., 28.04.2022 - 07:48 Permalink
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Martin Sitzmann Do., 28.04.2022 - 15:01

Wir müssen also feststellen, dass der Jugend die Arbeit und das Versorgt-Sein wichtiger sind als Umweltschutz und Kultur... ich finde das ziemlich spießbürgerlich! Wenn nicht mal die Jugend von Weltverbesserung träumt, wer dann?
Für die deutschsprachige Jugend sind Cash, Erfolg und gutes Aussehen das Wichtigste, für die italienischsprachige Jugend sind es durchwegs soziale Werte.
Ich frage mich, wer da wohl eher ehrlich geantwortet hat. Boh...

Do., 28.04.2022 - 15:01 Permalink
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Martin Sitzmann Do., 28.04.2022 - 15:09

Interessant auch, wie sich in Grafik 2.7 (der ersten in diesem Artikel) das patriarchale und traditionelle Rollenbild widerspiegelt:
Papi ist für Karriere, Cash und Wochenendausflüge zuständig, Mami für Waschen, Putzen, Kochen und als Seelentröster...
Wir scheinen noch ein ganzes Stück vom 21. Jahrhundert entfernt zu sein.

Do., 28.04.2022 - 15:09 Permalink
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Karl Trojer Fr., 29.04.2022 - 10:04

Meine Erfahrung ist, dass Jugendliche heute mit ihrem Leben, der Umwelt und der Solidarität bewusster umgehen als es frühere Generationen taten. In der zunehmenden Vertiefung in die digitalisierte Chaos-Welt (handy, tabelt...), sehe ich allerdings die Gefahr, dass sie Schaden nimmt. Hierzu müsste m.E. von Seiten der Kindergärten und Schulen eine Stärkung des Selbstbewusstseins angeboten werden.

Fr., 29.04.2022 - 10:04 Permalink