Politik | Volksanwaltschaft

Vertrauen auf dem Prüfstand

Volksanwältin Gabriele Morandell stellt im Landtag ihren Tätigkeitsbericht vor. Dabei nimmt sich die Ombudsfrau kein Blatt vor dem Mund und übt auch offen Kritik.

Morandell, Gabriele
Foto: Südtiroler Landtag
Der Bericht dürfte kaum so ausgefallen sein, wie manche oder mancher sich gewünscht hatte.
Es war ein Jahr mit Vertrauensverlust und mit einer Vertrauenskrise in der öffentlichen Verwaltung“, sagt Gabriele Morandell am Mittwoch im Südtiroler Landtag.
Die Südtiroler Volksanwältin stellt - so wie im Gesetz vorgesehen - den Abgeordneten ihren Tätigkeitsbericht vor. Dabei ging es aber nicht nur um Zahlen und Daten, sondern Morandell nahm sich auch kein Blatt vor dem Mund. Die Volksanwältin zeigte Missstände in der Südtiroler Verwaltung genauso auf, wie Verwerfungen, die durch teilweise absurde und für die Bürger völlig unverständliche Regeln in der Corona-Pandemie entstanden sind und die nachhaltige Folgen haben werden.
Grundsätzlich haben die Bürger und Bürgerinnen den Eindruck, dass sich die Verwaltung in den letzten Jahren von ihnen entfernt hat“, sagte die Volksanwältin im Landtag, „deshalb wäre es wichtig die Menschen ernst zu nehmen und mit ihnen in Dialog zu treten“. Gabriele Morandell appellierte an die Verantwortlichen diese Kritik der Menschen anzunehmen. „Es geht jetzt darum, das Vertrauen wieder aufzubauen“, so die Volksanwältin.
Es war keine Lobesrede für jene Regierungspolitikerinnen und -politiker, die es gewohnt sind, fast täglich Jubelnachrichten von sich zu geben.
 

Zunahme der Fälle

 
Besondere Schwerpunkte im Arbeitsjahr 2021 waren für die Volksanwaltschaft die Corona-Maßnahmen, das Landesgesetz für Raum und Landschaft, Beiträge an Vereine und Verbände, die Nachzahlung von Arbeitsjahren für die Altersrente sowie die Digitalisierung und ihre negativen Folgen.
 
 
Die Anzahl der Beratungen ist auch im abgelaufenen Jahr 2021 konstant hoch geblieben. Gegenüber dem Jahr 2020 sind die Beschwerdefälle auf 1.150 leicht angestiegen, die Zahl der Beratungen ist hingegen leicht gesunken. Insgesamt wandten sich im abgelaufenen Jahr 7.981 Bürgerinnen und Bürger an die Volksanwaltschaft.
Interessant ist eine kürzlich durchgeführte Erhebung zum Alter der Bürger, die sich an die Volksanwaltschaft wenden“, so Volksanwältin Gabriele Morandell. „Die Erhebung über einen Zeitraum von drei Monaten hat ergeben, dass die Hälfte der Rat suchenden Bürger älter als 60 Jahre ist. Bei Anliegen wegen Behörden, wie dem Nationalen Institut für Sozialfürsorge (INPS/NISF), liegt der Anteil der älteren Bürgerinnen und Bürger noch weit höher.
 

Schwierige Digitalisierung

 
Im Allgemeinen wird im Jahr 2021 eine Zunahme der Digitalisierung und eine damit einhergehende zusätzliche Distanzierung der öffentlichen Verwaltung vom Bürger festgestellt. Fehlende Bürgerfreundlichkeit, mangelnde Öffnungszeiten und mangelnde Erreichbarkeit der Ämter wurden immer mehr beanstandet.
 
 
Viele BürgerInnen berichteten der Volksanwältin auch verzweifelt von ihrer Überforderung und ihrer Unfähigkeit, mit den digitalen Systemen zu Recht zu kommen. Gabriele Morandell erklärte zum Beispiel, dass viel ältere Menschen, für die Erneuerung des Führerscheins auf eine private Agentur zurückgreifen müssen. „Es kann doch nicht angehen, dass man hier kommerzielle Agenturen braucht, um einen Behördengang zu erledigen“, meinte die Volksanwältin.
 

Die Coronavorschriften

 
Ein besonderes Augenmerk legte die Volksanwältin in ihrem Bericht auf die Corona-Maßnahmen, die Impflicht und die Suspendierungen. „Die Fälle haben sich im Bereich der Sanität verdoppelt“, sagt Gabriele Morandell.
Die Beschwerden in Zusammenhang mit Impfpflicht, Impfterminen, Quarantänemaßnahmen, fehlendem Green Pass usw. nahmen im Laufe des Berichtsjahres immer mehr zu. In den letzten Monaten des Jahres wurde die Volksanwaltschaft mit Anfragen zu diesen Themen regelrecht überrollt. Und es wurde auch immer schwieriger, zu den unterschiedlichen Problemen und Beschwerden eine Rückmeldung vom zuständigen Dienst des Sanitätsbetriebs zu erhalten.
 
 
 
Von vielen Bürgern wurde beanstandet, dass die in der Quarantäneanordnung angeführte Telefonnummer für Fragen zu keiner Zeit erreichbar war und dass auch auf E-Mails an die dort angeführte E-Mail-Adresse keine Antwort erfolgte.
Auch zahlreiche Fragen, Problem und Beschwerden in Zusammenhang mit den Suspendierungen wurden an die Volksanwältin herangetragen. Zudem wurden auch Fragen rund um eine mögliche Entschädigung bei Impfschäden als auch die Anerkennung von Langzeit-Covid-Patienten und deren Ticketbefreiung thematisiert.
 

Das neue Urbanistikgesetz

 
Ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit der Volksanwaltschaft im abgelaufenen Jahr war das Landesgesetz für Raum und Landschaft.
Viele besorgte Bürger meldeten sich, da man sich nicht mehr auskannte oder man keine klaren Antworten erhielt, welche Bautätigkeiten wo erlaubt waren und in welchem Ausmaß. Die Unsicherheit war aber auch bei Technikern und Planern sehr groß und mehrfach wurde auch auf das komplizierte und umständlich nutzbare digitale Portal in Bausachen hingewiesen.
 
 
 
Die Volksanwältin stellte feststellen, dass das Fehlen der vormaligen „Bürgerklage“ bei vielen Bürgern auf Unverständnis stieß. Eine unkomplizierte und einfache Form der fachlichen Überprüfung von Bautätigkeiten gehört somit der Vergangenheit an.
Kopfzerbrechen brachten auch die neuen Bestimmungen zur Konventionierungspflicht von Wohnungen, die sich in verschiedenen Punkten von den alten bekannten Bedingungen unterscheiden und es nicht immer klar ist, welche Bestimmungen anzuwenden sind.
Zudem stellt sich dem Bürger die berechtigte und bis heute nicht geklärte Frage, ob nun die genannten Voraussetzungen für die Besetzung einer Wohnung für Ansässige nur im Moment der Besetzung vorliegen müssen, oder ob diese Voraussetzungen immerwährend gelten!
 

Problematische Beitragsvergabe

 
Die Landesbeiträge an Vereine werden von den verschiedenen Ämtern zu unterschiedlichsten Prozentsätzen mit unterschiedlichen Vorgaben und zeitlichen Terminen gewährt. Es werden derzeit mehr als 60 verschiedene Beitragsverfahren nach unterschiedlichsten Regelungen praktiziert. Es mangelt an einer angemessenen und rationellen Verwaltung des Beitragswesens. Die Beitragsvergabe ist in ihrer Ausrichtung seit Jahren blockiert und festgefahren, es werden immer dieselben Beträge für bestimmte Projekte vergeben und es wird keine realistische Bedarfsanalyse durchgeführt.
Es ist keine langfristige Planung von Seiten der Vereine möglich und die Situation ist für die Vereinsvertreter sehr belastend. Es gibt auch zahlreiche Liquiditätsprobleme, die mit den viel zu späten Beitragsauszahlungen zusammenhängen. Die Bearbeitungszeiten der Landesämter überschreiten sehr häufig die gesetzlich vorgeschriebenen 180 Tage, sodass Anzahlungen und Saldozahlungen viel zu spät eintreffen und die Liquidität der Vereine mit Überbrückungskrediten gesichert werden muss. Es kommt vor, dass Vereine aus diesen Gründen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Personal nicht mehr nachkommen können.
 

Nachzahlung von Arbeitsjahren

 
Mit einem Gesetz aus dem Jahr 1962 wurde die Möglichkeit der Nachzahlung von Versicherungszeiten eingeführt und von unzähligen Arbeitnehmern bis heute genutzt, um fehlende Einzahlungen durch den Arbeitgeber zu ergänzen und anerkennen zu lassen. In den allermeisten Fällen handelte es sich um sehr alte Versicherungsjahre, für die der Arbeitnehmer nachweisen konnte, dass er berufstätig und beim NISF/INPS angemeldet war, jedoch keine Einzahlungen getätigt wurden bzw. diese heute nicht mehr nachgewiesen werden können.
 
 
Seit einigen Monaten werden nun diese Ansuchen abgelehnt, da ein Urteil des Kassationsgerichtshofes aus dem Jahre 2017 diese Möglichkeit der Nachzahlung nur für zehn Jahre anerkennt und nach diesem Zeitraum von einer Verjährung gesprochen wird. Das heißt in der Praxis, dass bei der Berechnung der Pensionsgesuche diese Möglichkeit der Nachzahlung nur für die letzten zehn Arbeitsjahre möglich sein soll.
Für sehr viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stellt diese neue Ausrichtung des NISF/INPS ein großes Problem dar. Sie müssen nun mit weniger Rente rechnen, bzw. können auch nicht wie beabsichtigt in Rente gehen. Die Volksanwältin hat sich mit diesen Problemen befasst und bereits beim INPS Rom um eine Klärung der Rechtslage gebeten, als auch die parlamentarischen Vertreter Südtirols in Rom über die Situation informiert und um Hilfestellung gebeten.
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Tschoerner Hagen Mi., 08.06.2022 - 15:34

Wo sie recht hat, hat sie recht.
Die Digitalisierung wird noch schlimmer werden.
Um Bürokratie abzuschaffen muss man viele Gesetze sowie Bestimmungen bündeln, vereinfachen und/oder abschaffen sowie auch auf mehr Bürokraten, Gemeinden und Ämter verzichten.

Mi., 08.06.2022 - 15:34 Permalink
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Martin Sitzmann Mi., 08.06.2022 - 15:47

Bereits die Zusammenfassung in diesem Artikel zeigt, dass hier Arbeit für Jahre zu leisten wäre, um die angesprochenen Missstände in der öffentliche Verwaltung einigermaßen zu beheben.
Aber wie man auf dem Bild aus dem Landtag sieht: 14 Abgeordnete auf den Bänken und 3 auf der Regierungsbank... so wird das nichts mit der Umsetzung eines Qualitätsmanagement.

Mi., 08.06.2022 - 15:47 Permalink
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Robert Hölzl Mi., 08.06.2022 - 15:49

Wenn man der Bürokratie die Aufgabe übergibt, Gesetze und Regelungen auszuarbeiten, speziell Vereinfachungen, dann wird man feststellen, dass die Bürokratie einen Überlebenstrieb besitzt, der es nicht zulässt, dass etwas einfacher wird.

Mi., 08.06.2022 - 15:49 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 08.06.2022 - 16:11

Antwort auf von Robert Hölzl

Die Bürokratie entsteht vor allem durch die Vergabe vieler verschiedner Beiträge. Denn überall müssen Bedingungen kontrolliert werden, Beschlüsse formuliert usw. werden, Auszahlungen getätigt werden. Jedenfalls, wer wenige oder keine Beiträge erhält - so wie ich und vielleicht auch du - der hat wenig Bürokratie zu ertragen.

Mi., 08.06.2022 - 16:11 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mi., 08.06.2022 - 22:09

Mal schauen, wie lange die Frau Morandell eifrig und pflichtbewusst ihrer Arbeit nachgehen darf. Eines ist für mich auch gruselig, die zunehmende soziale Isolierung hinter Masken und dem ganzen Online-Müll. Gäbe es zumindest brauchbare Software, dann würde man nicht Lebenszeit verschwenden. In der Zeit, in der ich mich mit einem schlechten Programm ärgere, würde ich lieber bei einem Kaffee oder Bierchen einen Ratscher unter Artgenossen machen. Wem nützt dieser Online-Müll eigentlich?

Mi., 08.06.2022 - 22:09 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 09.06.2022 - 16:21

Antwort auf von Dietmar Nußbaumer

"In der Zeit, in der ich mich mit einem schlechten Programm ärgere, würde ich lieber bei einem Kaffee oder Bierchen einen Ratscher unter Artgenossen machen. Wem nützt dieser Online-Müll eigentlich?" Auf wen oder was beziehen sich diese beiden Sätze, Herr Nussbaumer? Ich kann keinen Zusammenhang finden.

Do., 09.06.2022 - 16:21 Permalink
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Christoph Bart… Do., 09.06.2022 - 15:47

„deshalb wäre es wichtig die Menschen ernst zu nehmen und mit ihnen in Dialog zu treten.“ Das reicht nicht! Eine Anwaltschaft verdient diesen Namen nicht, wenn man nur redet und keine Gerichtsprozesse anstrengt. Ist die Volksanwaltschaft nicht ein Feigenblatt? In anderen Demokratien kennt man diese Missstände-Rhetorik sehr gut. Alle paar Zeiten darf irgendwann irgendjemand den Finger in die Wunde legen. Dann bedauern alle und geloben, in Zukunft besser aufzupassen. Passieren tut indes nichts. Ein eingeübtes Theaterstück. Dass es so läuft, wissen auch die Volksaufklärer. Was helfen würde, wird vermieden: Gesetze einzuhalten; Gesetze anzuwenden. Ein Rechtssystem ist seinen Namen nicht wert, wenn man sich die Überprüfung von Praxis vs. Gesetz teuer erkaufen muss, und doch keine Chance hat infolge Hintertüren und Absprachen zwischen Verwaltung und Delinquent.

Do., 09.06.2022 - 15:47 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 09.06.2022 - 16:42

"Fehlende Bürgerfreundlichkeit, mangelnde Öffnungszeiten und mangelnde Erreichbarkeit der Ämter wurden immer mehr beanstandet." Diese Dinge sind Tatsachen, die auch ich nicht nachvollziehen kann, dass Beamte die Bürger/-innen behandeln wie lästige Störefriede und nicht wie Klienten/Kunden.
Aber was will man von den Beamten auch erwarten, wenn die Geringschätzung der Wähler und Wählerinnen von ihren politischen Vorgesetzten vorgelebt wird. Man tut so auf transparent, in Wirklichkeit lassen Kompatscher & Co. keine Gelegenheit aus, die Bürger/-innen hinters Licht zu führen.
Ein gutes Beispiel ist jenes mit der SAD: Die Südtiroler Tageszeitung berichtet heute, dass SASA (Land) und die anderen Konzessionäre die gebrauchten Busse der SAD abgekauft haben, obwohl immer beteuert wurde, dass die SAD jene Busse, die teilweise oder ganz vom Land gekauft wurden, kostenlos an die neuen Konzessionäre abgetreten werden müssen.
Mit dem Geld der Steuerzahlenden kann man ja großzügig sein!? Aber den betroffenen gegenüber Stillschweigen bewahren (sind ja nur so Dummerlen)!?

Do., 09.06.2022 - 16:42 Permalink
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Josef Fulterer Fr., 17.06.2022 - 05:25

Antwort auf von Sepp.Bacher

Die gebrauchten von Widmann angekauften Busse der SAD um 7 Mio. € abgekauft und den neuen Konzessionären gratis zur Benutzung übergeben? ... wenn das tatsächlich unter diesen schrägen Bedingungen gelaufen ist, muss der Rechnungshof "die Erfolg-reiche Tätigkeit vom Alfreider" wohl etwas genauer prüfen.
Wenn man bei einer vom INPS falsch berechneten Rente unter 800 € / monatlich, den Rentnern mit einer Zwangseintreibung droht, darf auch diese weitere Mästung vom Gatterer etwas genauer geprüft werden.

Fr., 17.06.2022 - 05:25 Permalink