Wirtschaft | Energie

„Unabhängigkeit wird immer wichtiger"

Der Fachmann Gottfried Rier über den Energieträger Wasserstoff, die Rolle hauseigener Speicher, den Klimawandel und eine mögliche Wasserstofferzeugung am Äquator.
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Foto: GKN Hydrogen
Wasserstoff ist das häufigste Element des Universums und seit geraumer Zeit ein Hoffnungsträger der Energiewende. Bisher blieb der große Durchbruch aber aus, die saubere und zugleich kostengünstige Produktion sowie effiziente und sichere Speicherung stellten Wissenschaft und Wirtschaft lange vor Probleme. Ein Zweig der GKN-Gruppe befasst sich seit einigen Jahren mit der Speicherung von Wasserstoff und stellte 2021 ein vielversprechendes Speichersystem vor. Der gebürtige Kastelruther und nunmehr im Pustertal heimisch gewordene Gottfried Rier leitet die Geschicke von GKN Hydrogen als technischer Direktor (CTO).
 
 
salto.bz: Herr Rier, GKN Hydrogen ist letztes Jahr mit einem Wasserstoffspeichersystem an den Markt gegangen. Was steckt dahinter?
 
Gottfried Rier: Wir produzieren nicht nur Speichersysteme, sondern smarte Energiemanagementsysteme. Grundsätzlich müssen wir aufgrund der Klimaveränderung auf erneuerbare Energien umsteigen und dieser Prozess sollte sehr schnell erfolgen. Unabhängig, ob wir die grüne Energie aus Wasser-, Wind- oder Solarkraft beziehen, ist diese nicht permanent, sondern fluktuierend und deshalb nur eingeschränkt verfügbar. Die Lösung liegt in der Speicherung dieser Energie. Eine sehr galante Methode ist die Speicherung der grünen Energie in Wasserstoff.
 
Warum?
 
Wasserstoff ist vollkommen CO2-neutral, wenn die Herstellung mittels grüner Energie erfolgt. Zudem ist er transportierbar und kann in größeren Mengen gespeichert werden. Er kann als Brennstoff genutzt, sowie in elektrischen Strom oder Wärme konvertiert werden. Im Gegensatz zur Speicherung in Batterien, wo die Energie über die Zeit verloren geht, bleibt diese in unseren Systemen stabil erhalten. Uns ist es gelungen, Wasserstoff sicher und kompakt in Metallhydriden einzulagern, langfristig zu speichern und jederzeit nutzbar zu machen.
 
Wie funktioniert das?
 
Vom Verbraucher nicht genutzte Energiemengen werden durch einen Elektrolyseprozess (Anm. d. R.: hierbei wird Wasser mittels elektrischen Stroms zu Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt) in Wasserstoff konvertiert und in Metallhydriden eingelagert. Metallhydride verhalten sich wie ein Schwamm, sie können Wasserstoffatome in die Metallstruktur stabil einlagern und auch wieder abgeben. Diesen Prozess steuern wir über einfache Temperaturregelungen. Die bei GKN Hydrogen entwickelte Methode gehört zu den sichersten und stabilsten Formen der Wasserstoffspeicherung.
Für mich ist Wasserstoff der Energieträger der Zukunft, der die Nutzung von erneuerbaren Energien erst in den richtigen Effizienzbereich bringt.
Wasserstoff ist sehr flüchtig, die konventionelle Speicherung mitunter nicht ganz einfach. Welche technischen Voraussetzungen müssen bei Ihrer Anwendung erfüllt werden?  
 
Es gibt prinzipiell drei Formen der Speicherung von Wasserstoff: flüssig, fest und gasförmig. Bei der Speicherung in Metallhydriden, also in fester Form, arbeiten wir mit sehr niederem Druck von maximal 30 bar. Der Wasserstoff ist so nicht nur am sichersten eingelagert, sondern hat auch ein vergleichsweises geringes Volumen. Ein Kilogramm Wasserstoff hat, als Gas gespeichert, ein Volumen von 310 Litern. Wenn wir das in Metallhydride einlagern, benötigen wir nur noch 20 Liter Volumen. Weiters erfolgt die Einlagerung in einem für den Haushaltsbereich idealen Temperaturbereich von 20 bis 60 ° Celsius. Selbst wenn wir den Speicher öffnen, entweicht zwar eine geringe Menge an Wasserstoff. Gleichzeitig würde das Abkühlen der Metallhydride den Austritt des Wasserstoffes auf ein Minimum reduzieren, was einen wichtigen Sicherheitsaspekt darstellt.
 
Wie hoch ist der Energieaufwand zum Betrieb des Systems?
 
Energetisch haben wir einen extremen Vorteil. Um den Prozess aufrechtzuerhalten, benötigen wir weniger als 7% vom Gesamtenergiegehalt. Im Gegensatz dazu sind bei Hochdruckspeichern Kompressoren mit hohem Energiebedarf und Verschleiß nötig. Bei der Verflüssigung des Wasserstoffes hingegen bedarf es Temperaturen von -253° Celsius, es muss also sehr viel Energie aufgewendet werden, um ein vergleichbares Ergebnis zu erreichen.
 
 
 
Ganz neu ist die Technologie nicht. Beschäftigt hat man sich mit der Speicherung von Wasserstoff in Metallhydriden schon im vorigen Jahrtausend. Warum aber hat es so lange gedauert, bis etwas praktikables auf dem Markt kommen konnte?
 
Die Technologie wurde in den 1970er Jahren entwickelt, allerdings nur als Laboranwendung, die nie in Industrialisierungsprozesse überführt wurde. Man war sich bereits bewusst, dass Wasserstoff als Energiequelle oder -träger genutzt werden kann. Aus wirtschaftlichen Gründen hatte die Technologie allerdings keine Bedeutung. Der Wunsch nach erneuerbaren Energien stand, wie auch die Folgen der massiven Nutzung fossiler Brennstoffe, absolut nicht im Vordergrund. 
 
Wie kam es also, dass GKN sich auf diese Technologie einließ?
 
GKN Powder Metallurgy ist der zweitgrößte Hersteller von eisenbasiertem Metallpulver. Da der Umstieg auf erneuerbare Energien absehbar war, haben wir, aufgrund unserer Expertise mit Metallpulvern, bereits 2013 entschieden, die Forschung zur Speicherung von Wasserstoff in Metallhydriden neu aufzugreifen. Die ersten Versuche wurden mit sehr kleinen Proben, von zirka fünf Gramm, durchgeführt. Über die Jahre ist es uns gelungen, die Technologie zu industrialisieren und ein weltweit neuartiges Energiemanagementsystem zu entwickeln, das in einer Speichereinheit bis zu 250 kg Wasserstoff speichern kann. 
Wir arbeiten mit geringen Temperaturen, geringem Druck und der Austritt des Wasserstoffs ist selbsthemmend. Es ist das sicherste System am Markt, um Wasserstoff zu speichern.
Der meiste sich im Umlauf befindliche Wasserstoff kommt in der Industrie zum Einsatz, etwa in der Düngerproduktion. Was sind die Haupteinsatzgebiete Ihres Speichersystems?
 
Wir haben drei verschiedene Systeme entwickelt: HY2MINI, HYMEDI und HY2MEGA. Erstere werden in Gebäuden und Gebäudekomplexen, in der Landwirtschaft oder in der Industrie, in dezentralen und netzunabhängigen Anwendungen, in Micro Grids und in der Notstromversorgung verschiedener Größenordnung eingesetzt. Der HY2MEGA hingegen kommt vor allem in großen Industrieanwendungen zum Einsatz.
 
Wo zum Beispiel?
 
Ein Beispiel hierfür sind Datacenter, wo Daten auch bei Stromausfällen noch garantiert verfügbar sein müssen. So sind sie mit sehr großen Notstromsystemen ausgestattet, die meist durch Dieselgeneratoren betrieben werden. Auch die Notstromversorgung der Zukunft muss mit grüner Energie laufen. Dafür sind so große Energiemengen notwendig, dass die Lösung nur in Wasserstoffspeichern liegen kann. Ebenso im maritimen Bereich oder bei Anwendungen für die Eisenbahn wird unser Speichersystem eine wichtige Rolle spielen, da das Gewicht der Metallhydride genau hier einen Vorteil darstellt. Was für alle Systeme gilt: Sie können autark, oder teilweise losgelöst von zentralen Energieversorgern betrieben werden. Die energetische Unabhängigkeit für Kunden wird immer wichtiger. Dabei geht es nicht mehr nur um Wirtschaftlichkeit, sondern vielmehr um Verantwortung gegenüber der Umwelt, Sinnhaftigkeit und Lebenseinstellung. 
 
 
Kommen wir zur Problematik der Wasserstofferzeugung. 2020 wurde in Deutschland der Großteil des Wasserstoffs mittels sogenannter Dampfreformierung von Erdgas hergestellt, nicht gerade eine nachhaltige Energiequelle. Wahrt die Euphorie rund um den Wasserstoff also nur den falschen Anschein der Klimafreundlichkeit?
 
Die Dampfreformierung von Erdgas ist zurzeit die günstigste Methode zur Herstellung von Wasserstoff. Die Entwicklung muss weg vom Reformierungsprozess und hin zur Erzeugung von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse aus erneuerbaren Energiequellen gehen. Wirklich klimafreundlich ist die Sache erst, wenn grüner Wasserstoff dezentral und flächendeckend eingesetzt wird.
 
Südtirol produziert 90% seiner Energie mittels Wasserkraft. Warum nicht diese verstärkt nutzen, um grünen Wasserstoff herzustellen?
 
Walter Huber, Pionier in Südtirols Wasserstoffszene, mahnt immer wieder, dass wir zu viel Energie ungenützt vorbeifließen lassen. Die direkte Nutzung von Primärenergie als Strom ist die effizienteste und somit beste Methode. Sobald der Energieverbrauch aber geringer oder kein direkter Verbrauch möglich ist, muss diese überschüssige Energie eingelagert werden. Wenn das in größeren Mengen geschehen soll, dann ist Wasserstoff die Lösung. Batterien können Strom zwar effizient speichern, aber sind viel zu teuer, wenn es um große Speichermengen geht. Zudem verursachen Batterien in ihrer Herstellung und Entsorgung große Umweltbelastungen. Wasserstoff ist da unschlagbar.
 
Wie ist es um die Umweltbilanz Ihres Systems bestellt?
 
Alle unsere Rohstoffe kommen größtenteils aus dem Recyclingprozess. Wir bauen keine Erze ab, sondern wir verwenden bereits im Umlauf befindliche Metalle, die ausreichend zur Verfügung stehen. Die verwendeten Materialien können später wiederverwertet werden. Nicht zuletzt ist die Lebensdauer der Speichersysteme bei 30 Jahren oder länger angesetzt, was einen deutlichen Vorteil in Sachen Nachhaltigkeit darstellt. 
In der Gesellschaft gibt es bezüglich der Nutzung der erneuerbaren Energien noch keinen sense of urgency, dabei wäre es schon längst Zeit gewesen, konkrete Schritte einzuleiten, um die Klimakatastrophe abzuwenden.
Ein Thema, das viele bewegt, ist die Mobilität. Dort scheint die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle im Vergleich zu batteriebetriebenen Fahrzeugen den Kürzeren zu ziehen, zumindest im Individualverkehr.
 
Da gibt es verschiedene Ansichten. Momentan setzt man auf Batterien, weil die Elektromobilität basierend auf Batteriespeichern zurzeit naheliegender zu sein scheint und wohl ein gewisser Druck herrscht. Aber das ist viel zu kurz gedacht. Alleine die Herstellung der Batterie hat einen enormen CO2-Abdruck. Heute konzentriert sich die Automobilbranche auf die Entwicklung der Feststoffbatterie, die, bei reduziertem Gewicht und einer höheren Speicherfähigkeit, fast eine Verdoppelung der Fahrleistung verspricht. Der Markt zeigt aber gerade einiges an Dynamik, sodass eine Entwicklung hin zur Wasserstoffmobilität keineswegs ausgeschlossen ist. Die derzeitige Transition vom Verbrenner zum Elektromotor ist auf jeden Fall zu begrüßen. Der Schritt von batteriebetriebenen zu brennstoffzellenbetriebenen Fahrzeugen ist dann nur noch ein kleiner.
 
 
 
Ist eine Speichermöglichkeit nach Ihrem Vorbild für den nicht stationären Gebrauch, etwa in PKWs denkbar oder impraktikabel?
 
Manche Kunden sind der Ansicht, dass die städtischen Stromnetzte nicht in der Lage sein werden, alle E-Autos mit Energie zu versorgen. Deshalb setzen sie auf dezentrale Wasserstoffsysteme, um die netzunabhängige Versorgung der Ladestationen sicherzustellen. Wasserstoff ist am Ende der Energieträger, der die Elektromobilität unterstützen wird. Bei nicht stationären Anwendungen werden unsere Speichersysteme dort ihre Anwendung finden, wo Gewicht keine große Rolle spielt, wie zum Beispiel im Bahn- und Schiffsverkehr.
Mit dem was wir machen, sehe ich, aufgrund des Sicherheitsaspekts und der Kompaktheit der Speicherung, vor allem im stationären Bereich ganz große Möglichkeiten.
Was halten Sie von viel kritisierten und bisher noch nicht realisierten Plänen, in bestimmten Weltregionen, wie etwa Nordafrika, grünen Wasserstoff mittels erneuerbarer Energiequellen zu produzieren, und diesen dann über Pipelines nach Europa oder dorthin zu befördern, wo er großflächig gebraucht wird?
 
In der Erzeugung von Wasserstoff in Äquatornähe und dem Transport mittels Pipelines oder Schiffen nach Europa, besteht - aus meiner Sicht - großes Zukunftspotenzial. Weltweit gibt es bereits eine Vielzahl an Projekten, mit dem Ziel, Wasserstoff in großem Stil zu erzeugen und mit Schiffen, in Ammoniak gebunden oder in flüssiger Form, zu den Verbrauchernetzen zu bringen. Der Stand der Technik zur Wasserstoff-Offshore Produktion und dessen Transport ist noch ausbaufähig, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass auch hier in Zukunft die Wasserstoffspeicherung in Metallhydriden zur Anwendung kommen kann.  
 
 
 
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich beruflich mit der Wasserstoffthematik auseinanderzusetzen?
 
Der vom Menschen verursachte Klimawandel ist leider Realität geworden. Unser oberstes Ziel muss sein, dieser Entwicklung mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Wir haben eine Technologie entwickelt, mit der wir zur Verringerung der CO2-Belastung für unseren Planeten beitragen können und ich fühle mich äußerst privilegiert, für diese Technologie verantwortlich zu sein. Dies ist nicht nur meine Motivation, sondern die aller Mitarbeiter. Als Startup wachsen wir schnell und begeistern viele junge, gut ausgebildete Talente. Vor allem unsere Ingenieure und Ingenieurinnen sind von unserem Teamspirit, der Technologie, sowie den vielfältigen Einsatzbereichen begeistert. Wir verfolgen alle dieselbe Mission, indem wir unsere Fähigkeiten zur Verbesserung des Weltklimas einsetzen.
 
 
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Stefan TAFERNER Do., 16.06.2022 - 13:58

Antwort auf von Günther Mayr

Methanol ist sicher einfacher in der Herstellung und im Transport. 1999 hat Mercedes einige Prototypen gebaut mit Brennstoffzelle und Elektroantrieb, aber dabei wurde Methanol getankt und über einen Reformer Wasserstoff hergestellt. Damals wurden einige Mercedes A Klasse in Europa auf der Strasse geschickt und in Holland hat ein Hersteller aus Altreifen ein Tankstellenetz aufgebaut. Ich glaube das Projekt läuft noch (NECAR), aber leider sehr still geworden.

Do., 16.06.2022 - 13:58 Permalink
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Karl Trojer Fr., 17.06.2022 - 09:52

Großartig, dass GKN in Bruneck ein so effizientes und zukunftsfähiges Speichersystem für Wasserstoff entwickeln konnte ! Zurück zum Wesentlichen, das ist die Forderung, die uns auch Lösungen für den Klimaschutz bringt: Wasserstoff ist eines der häufigsten Elemente unseres Planeten und wird, klimaneutral, wohl die wichtigste, von uns nutzbare Energie der Zukunft sein.

Fr., 17.06.2022 - 09:52 Permalink
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gorgias Fr., 17.06.2022 - 17:14

Antwort auf von Karl Trojer

Wasserstoff ist eines der häufigsten Elemente unseres Planeten.

Das mag schon sein. Dass Wasserstoff aber als energietraeger in seiner Reinform vorhanden sein muss und dass dies in der Natur so nicht vorkommt und dass man dafür energie einsetzen muss und Wasserstoff im gegensatz zu batterien of den niedrigeren wirkungsgrad hat,hat ihnen noch niemand erzählt?

Fr., 17.06.2022 - 17:14 Permalink
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Karl Trojer Sa., 18.06.2022 - 10:56

Antwort auf von gorgias

Mit den "Wirkungsgraden" kann man hin-und her-schwindeln. Wir Europäer hätten durchaus die Voraussetzungen, innerhalb 2030 unseren Energiebedarf ausschließlich aus regenerativen Quellen abzudecken. Wir Bürger und unsere Politiker müssten´s nur wirklich wollen. Dann aber bedarf es großer Speicherkapazitäten und diese sind wasserstoffbezogen möglich....

Sa., 18.06.2022 - 10:56 Permalink