Politik | Eiertreter*in

Enkeltauglich

Südtirol versinkt im Stau. Wir brauchen einen radikalen Paradigmenwechsel. Die Blaupause muss so aussehen.
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Foto: Pixabay

Skype, Teams, Zoom … keine Ahnung womit der Mensch am Tisch neben mir seine Videokonferenz bestritten hat, aber er brauchte ziemlich lange bis seine Schalte stand: Scheiß Funkloch(!) und das nur zehn Minuten von der Zivilisation entfernt. Vermutlich ist es das, was der Kläffer aus der Handelskammer immer meint, wenn er sagt, dieser von Gott auf den Allerwertesten geküsste Flecken Erde sei nicht erreichbar.
Das Intro der „Telko“ deren Zeuge ich unfreiwilligerweise wurde, hatte folgenden Tenor: „Du, hier müssen wir mal ein Meeting machen. Alles Baubiologisch ... mit Lehmwänden und so … von diesem bekannten Designer … ah, wie heißt der noch mal? Biologisches Essen, vegetarisch, vegan, glutenfrei. Tolles Hotel … schick dir nachher ein paar Fotos“. Und dann fiel dieser Satz: „Kannste auch anfliegen und in einer halben Stunde von Bozen bist du dann an der Seilbahn und dann gleich hier oben.“

Der Gast

Da saß es also! Das Objekt der Begierde unserer hochpreisigen Vier- und Fünf-Sterne-Hotelerie. Der Geldsack, der nicht mit seinem Porsche Cayenne GTS oder Mercedes-AMG GLE 63 S 4MATIC hier anrauscht (der alleine beim Anlassen genau die zwei Tonnen CO2 produziert, die der Grottn selber wiegt) sondern standesgemäß einfliegt - um dann im Biohotel abzusteigen. Getreu dem alten Schlagerheuler: „Wir fliegen Richtung Süden mit dem Sommer im Handgebäck“ - und sei es MUC-BZO, über die garstigen Nordtiroler mit ihren Abfahrverboten, Nachtfahrverboten, sektoralen Fahrverboten und Blockabfertigung hinweg. Was? Sie kennen weder den IATA-Flughafencode MUC für den Flughafen München „Franz Josef Strauß“ noch BZO, der bei der International Air Transport Association für Airport Bolzano steht? Das wundert mich nicht. Identifiziert Sie als original echter - und mittelloser - Südtiroler Trottel*in, weiterhin im Stau stehend, währende unsere Gäste über unseren Blechkolonnen einfliegen.
Würde mich jetzt echt interessieren. Wo standen Sie an Christi Himmelfahrt oder Pfingsten so rum? Töll, Kiens, vor der Mautstelle Sterzing oder in Schmieden im schönen Pragsertal, weil ihre bessere Hälfte die glorreiche Idee hatte, sich mal anzusehen, wo die Idioten da zu Ostern eingebrochen sind?
Am meisten haben mich die Worte vom Präsidenten der A22-Gesellschaft Hartmann Reichhalter - einer von den Arno-Boys - beeindruckt: „Ein Gast kann auch nicht mehr mit der blinden Erwartung starten, dass er auf jeden Fall mit seinem Wagen jederzeit von A nach B kommen kann. Dafür sind die Autobahn-Strukturen zu schwach und speziell die A22“, ließ er sich auf der Website von RAI Südtirol zitieren. Sie sind übrigens mit gemeint. Beim „Gast“ meine ich. Denn wenn Sie zwischen den Zeilen lesen, wurde zaunpfahlgewunken, dass Sie am Wochenende gefälligst nirgendwohin gondeln, um mit ihrer Benzinschleuder Autobahn, Staats-, Landes- oder Gemeindestraßen zu verstopfen. Pisciadu-Klettersteig? Brixner-Hütte? Zirmtalalm? Vergessen Sie's! Kommen Sie dem Urlauber-Schichtwechsel bloß nicht in die Quere! Wobei hinzugefügt werden muss, dass wegen den 2-bis-3-Tage-Kurztripps der Wechsel nicht mehr Samstags stattfindet, sondern Twentyfour-Seven, womit im Neudeutsch Rund-um-die-Uhr gemeint ist. Wir sind allenfalls noch Gast im eigenen Land. Gefangene des Tourismus. Der olle Goethe fällt mir ein: „Die Geister die ich rief …“ Und sitzen Sie nicht dem Irrtum auf, es gäbe eine Ausnahme für Einheimische, wenn der Landesrat für Hüttenverschiebung andenkt, das Bootshaus vom Terence Hill und den Villnösser Instagram-Hotspot in Ranui, so wie Schloß Neuschwanstein oder Alhambra, nur mehr über ein Buchungssystem erreichbar zu machen. Gibt auch keinen Aborigines-Skonto, wenn Sie in Gröden 1,90 Euro für einen Espresso am Banco hinlegen müssen. Was glauben Sie denn?! Wir haben zwei harte Jahre Pandemie hinter uns. Der Tourismus hat Nachholbedarf. Kredite müssen bedient, Nächtigungs- und Ankünfte-Rekorde gebrochen werden. Personal findet man auch keines. Alles Scheiße, deine Elli.

Der Verkehr

Das kann es doch nicht sein! Der Tourismus befeuert unsere Lebenshaltungskosten, die deutschen Immobilienhaie kaufen uns die Wohnungen weg und jetzt sollen wir nicht einmal mehr den, laut IDM „begehrenswertesten Lebensraum Europas“ verstopfen dürfen? Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, eine 360°-Wende. Hier ist mein Plan:
Als erstens kassieren wir die 2,4 Millionen des geplanten Nachhaltigkeitsfestivals und bauen die dringend notwendigen Kreisverkehre auf der Töll, Percha, usw. - Moooment! Zweikommaviermillioneneuro? Wie kann leeres Geschwafel überhaupt so viel kosten? Egal. Dazu kommt die ganze Olympia-Kohle. Also: Damit beim Weltfest der Sportfunktionäre, die leider notwendigen Athleten samt Medienmeute ohne Verzug von Cortina nach Antholz kommen, kramen wir die alten Pläne der Alemagna-Autobahn aus den Schubladen. „Ursprünglich sollte die A27 über Cortina d'Ampezzo weiter nach Südtirol und dort über Toblach und Bruneck ins Tauferer Ahrntal führen. Ab dem Ahrntal gab es zwei angedachte Varianten: In der ersten Variante sollte die Inntal Autobahn über das Zillertal erreicht werden. Die zweite Variante sah eine Verbindung über Gerlos ins Brixental vor und von dort weiter Richtung Inntal“, erinnert man sich auf Wikipedia an die Ausbaupläne. Na, wenn das mal keine Entlastung der Brennerautobahn wäre? Und da wir schon mal vierspurig in Bruneck sind, stoßen wir mit der „BrBr“, der Bruneck-Brixen, weiter bis Vahrn durch. Die Idee für eine Schnellstraße durch das Unterpustertal hatte schon unser Landesfürst Luis I. Dann siegte die Angst vor seinen Stammwählern aus der Bauernschaft. Übrigens der einzige Fehler seiner 25-jährigen Autokratie, den der SAD-Berater sich vorwirft.
Anstatt die Dörfer zu umfahren, umfahren wir die Eier mit den Bauern und nehmen für die Schnellstraße die bestehende Bahntrasse. Lassen Sie uns ehrlich sein. Das mit dem Zug ist eh Mumpitz. Ski+Zug, klingt geil auf dem Werbeplakat, ist aber nie und nimmer enkeltauglich. Die Kosten und der Aufwand mit dem Zug zurück ins Hotel, um die Rodeln zu holen, weil die Plagen nach 14 Uhr nicht mehr Skifahren wollen, anstatt kurz zum Auto an der Talstation? Ressourcenfressend statt enkeltauglich! Das Wort „enkeltauglich“ würde ich am liebsten auf hundert Seiten A4-Recyclingpapier ausdrucken, zusammenrollen und dem erstbesten Umweltfuzzi in den Rachen rammen (oder eine andere Körperöffnung). Möge er daran ersticken, statt an Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen wie sie immer jammern. Wir brauchen statt dessen: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Besonders im Vinschgau. Da fällt mir ein: Wird bei Milano Cortina 2026 nicht Snowboard samt den Hupfern vom Freestyle in Livigno und die Männerabfahrt und Skitour in Bormio abgehalten? Sie ahnen wo ich hin will? Für eine Verlängerung der MeBo durch den Vinschgau, inklusive einem Tunnel unter dem Stilfeser Joch, zapfen wir weitere Olympiagelder an. Wenn wir dann mit dem Bagger im Pyromanendorf Prad sind, ist es ein Katzensprung über den Reschen bis Landeck und fertig ist die dritte Südtiroler Alpentransversale.

Die Straße

Damit wir uns richtig verstehen: Das sind nur die sprichwörtlichen „flankierenden“ Maßnahmen. Wir müssen ursächlich den LKW-Staus auf der Brennerautobahn zu Leibe Rücken. Der stehende Verkehr muss in einen fließenden - abfließenden wollte ich schreiben - zurückgeführt werden. Dieser Wahnsinn kann den Eisack- und Wipptalern nicht weiter zugemutet werden. Damit unsere Geld-und-Segen bringenden Touristen stressfrei zu ihren Chalets in Freienfeld kommen, brauchen wir neue „Perspektiven Für Südtirol“. Kleingeistig wie wir Südtiroler leider Gottes sind, hatte ich zunächst eine Erweiterung zu einer sechsspurigen A22 vor Augen. Aber: Die Sanierung der Luegbrücke der Brennerautobahn (A13) hinterm Brenner wird bis 2027 für einen Verkehrsinfarkt sorgen, da braucht es im Süden keine weiteren Baustellen.
Schon mal die Direttissima der A1 zwischen Bologna und Florenz befahren? So ein Betonband in die Landschaft gießen können wir - Italiens Klassenbeste - schon lange. Parallel zur Brennerautobahn bauen wir eine zweite, vierspurige Autobahn. Während der Bauarbeiten können unsere lieben Gäste an den LKW-Staus vorbei - aber ohne Baustellen - zu uns kommen und wenn die neue Schnellstraße - mit Betonung auf „schnell“ - dann eröffnet wird, verwenden wir die alte Autobahn als Nordspur und die neue als Südspur, weil die ist dann hübsch und neu. Wird schon die Anreise ins Genussland für die Gestressten zum Genuss. Wir räumen nämlich gleichzeitig radikal mit dem laut HGV hausgemachten Verkehr auf. Die Sella-Ronda beispielsweise wird für die LVH-Adepten komplett untertunnelt. (Ich bin so froh um meine Autokorrektur - hat sie doch „Deppen“ sofort zu „Adepten“ korrigiert). Dann rollt der Berufsverkehr zwischen den Jöchern und der Paket-Kurier von Amazon und Zalando unten durch, damit E-Biker, Motoradfahrer und der Ferrari-Club Düsseldorf die Passstraßen für sich haben. Bloß keinen Stopp! Stillstand ist Gift fürs Geschäft. Wir brauchen Wachstum. Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut. Die Lohnkosten müssen signifikant gesenkt werden. Die IRAP gehört abgeschafft. Weg mit dem Bürgereinkommen - wir brauchen Arbeitskräfte; nüchterne Abspüler. Außerdem, die EZB darf keinesfalls an der Zinsschraube drehen, weil das Darlehen für den Umbau Mitte der 90ern, läuft noch bis 2036; parallel zu jenem für das Fassadenlifting 2006, dem Umbau der Wellnessanlage 2011 und dem Makeover für den Sprung in die höhere Kategorie vor drei Jahren. Ich schweife ab.
Apropos Stopp. Gibt es ein garstigeres Wort als „Stopp“ - in Kombination mit „Betten“? Könnte dem Schuler - dem Vinschger Rebellen - jemand verklickern, dass, wenn wir keine Betten haben, die Leute mit Camper oder Wohnwagen kommen und alles zuparken? So ein Camper braucht Platz für zwei, drei Autos. Na, klingelt's? Außerdem, wenn du für einen Camper drei mal soviel Parkgebühr verlangst, bist du zu den anderen Urlaubsdestinationen auf Mallorca oder den Kanaren nicht konkurrenzfähig.
Für die Entlastung der Hotspots muss überlegt werden, die Ströme nicht nur zeitlich zu entflechten - die IDM mit ihrem bescheuerten Angie-Brief denkt da zu kurz - sondern räumlich. Warum zum Geier hört niemand auf den Manfred aus Vetzan? Ganz Südtirol muss zu einem „Streuhotel“ werden! Das ganze Land jeden Tag im Jahr ausgebucht.
Wir haben 20.000 landwirtschaftliche Betriebe verteilt vom Talboden bis ins Hochgebirge, aber laut Landesinstitut für Statistik ASTAT nur 3.261 Betriebe mit „Urlaub auf dem Bauernhof" (UaB). Erkennen Sie das Potential, wenn wir auf Landeskosten jeden Hof zu einem 5-Blumen-UaB umbauen? Und wenn ein Standort gut läuft, wandeln wir die fünf Blumen in fünf Sterne um. Kosten? Genau Null. Rechen Sie mal. Qualitative Erweiterung der maximal 5 Ferienwohnungen zu 50 Luxussuiten: 5 + 0 = 50. Genial, oder?

Die Endlösung

Und damit wir die ganzen Maßnahmen tippitoppi bis 2026 hinkriegen, knicken wir das mit den europaweiten Ausschreibungen. „Direktvergabe“ heißt das Zauberwort. Bloß kein weiteres Desaster mit walschen Wischiwaschifirmen, die im Tunnel von Kastelbell zehn Meter vor dem Durchstich die Hufe strecken oder wie beim Knastbau und Bibliothekspool erst gar nicht den Grundstein legen. Die Baufirma aus dem Hoametl würde mir spontan einfallen. Sie wissen schon. Die, deren Besitzer uns in Bozen Moritzing immer mit seinem Hubschrauber heimsucht, wenn er auf Heimaturlaub kommt. Das ist es! Wir wollen ja nur die eingangs beschriebene, finanzkräftige Gästeschicht, die sich uns leisten kann. Wenn die alle mit dem Hubschrauber kämen, müssten wir vor jedem Hotel und UaB nur einen schnuckeligen Hubschrauberlandeplatz bauen und sparen uns den klimaschädlichen Beton für Tunnel und Viadukte. Generationengerechter geht's nicht!

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Josef Lechner Fr., 24.06.2022 - 20:12

Herrlich-fantastisch- die pure Wahrheit,
So eine Schreibweise liebe ich.
Besser geht Wahrheit nicht.
Aber Arno und Thomas, Philipp und Daniel usw. werden von weiter oben dirigiert.
Die dürfen das nicht verstehen.
DANKE

Fr., 24.06.2022 - 20:12 Permalink
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Josef Fulterer Sa., 25.06.2022 - 06:26

Antwort auf von Josef Lechner

Die PIEFKE SAGA von Felix Mitterer, hat 1990 einen beleidigten schmerzlichen Aufschrei "bei den sich selbst als Guttäter ADELnden Vertretern des gastlichen Gewerbes" ausgelöst.
Inzwischen stellen sich "die Erstickungsphasen am eigenen Erfolg ein, "befeuert durch die mit Steuergeld bezahlte, abstruse Werbung von IDM, Welness bis zum Überdruss, Krebs-artig wuchernde Riesen-Hotels, um Koch und Mitarbeiter "voll auszulasten," sehr beliebte Hüttendorf-Hotels und neurdings sogar mit Malediven Flair.
Keine Sorge um die Urlauber!
Die Karavane wird weiterziehen, wenn Südtirol nur mehr Stunden-langes Stehen im Stau, nicht nur bei der An- und Abreise zu bieten hat und andere andere Destinationen, mit Preis-werteren Angeboten die Gästeströme umleiten.

Sa., 25.06.2022 - 06:26 Permalink
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Stefan S Sa., 25.06.2022 - 07:50

Antwort auf von Josef Fulterer

Um das Standing braucht sich keiner Sorgen zu machen das entspricht etwa dem Mallorcas mit dem Vorteil das der Anteil der Gehirnzellen im Schnitt pro Touri ein wenig höher ist. Das rytmische bewegen in Blechlawinen erzeugt dabei noch Heimatnähe und stärkt das Wirgefühl.

Sa., 25.06.2022 - 07:50 Permalink