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Gesellschaft | Fritto Misto

Die Fleischeslust

Was das Schwitzen in den Hitzen mit unserer Ernährung zu tun hat.
Und, habt ihr auch ordentlich zu heiß? Falls ihr hofftet, zusätzlich zur äußeren Hitze jetzt hier etwas andersartig Heißes zu lesen: Bedaure, die Überschrift führt etwas in die Irre, obwohl: Ein bisschen schweinisch wird es schon. Und mit unsrer Schwitzerei hat’s auch zu tun, nur halt auf unangenehme Art und Weise. Rekordtemperaturen in Spanien und Portugal, fürs Wochenende steht auch hier die nächste Hitzewelle ins Haus, Realität Klimakatastrophe eben. Wenn frau dann in der letzten Ausgabe der Zeit liest, dass die Tierhaltung drei Fünftel (!) der Emissionen unserer Ernährung ausmacht, und das so viel ist, wie „alle Autos, Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe der Welt zusammengerechnet verursachen“ (!!), dann ist das schön-schaurig zugleich. Schaurig weil (!!!), schön aber, weil es ja anders als Kohleabbau oder die Herstellung von Verbrennungsmotoren etwas ist, das jede*r von uns ganz unmittelbar in der Hand, oder besser, im Mund hat.
Dann gibt’s halt seltener, aber dafür besseres, wertigeres Fleisch.
 
Bevor ihr jetzt angewidert von der sich ankündigenden Predigt das Schnitzel auf den Teller spuckt (was ja doch wieder zielführend wäre), beziehungsweise just in dem Moment beschließt, dass es heute eine luftige Schweinshaxe im Speck mit vitello tonnato und Fleischkrapfln sein muss weil sell fahlat no, dass i mir beim Essen drinreden loss von der, also vorher ein Eingeständnis: Natürlich habe ich leicht predigen von wegen Fleischverzicht und bewusstem Konsum, denn: Ich mag gar kein Fleisch. Mochte es nie, schon als Kind nicht. Bis auf manchmalige Gelüste nach Wurstwaren oder einem Speckbrot (letzteres wahrscheinlich genetisch bedingt) hat mich Fleisch immer gegraust. Gab es sonntags Fleisch, hatte am ehesten noch das Huhnschnitzel eine Chance verspeist zu werden, aber auch nur nach gründlichster Untersuchung auf Sehnen, Knorpeln oder irgendwelche dunklen Stellen. Wurden die gefunden, was meist der Fall war, war sowieso game over, weshalb meine Eltern stets gespannt-genervt die Ergebnisse meiner Analysen abwarteten: „Schaug, iatz seziert sie wieder“, raunten sie sich zu, und ich glaube, sie sind bis heute ein bisschen enttäuscht darüber, dass aus meiner Chirurgenlaufbahn nichts wurde, obwohl sie sich doch so vielversprechend beim Giggerlezerfleddern angekündigt hatte.
Wenn immer noch so getan wird, als würde der Mensch eingehen, wenn er mal einen Tag kein Fleisch zu sich nimmt.
Jedenfalls, mir fällt es leicht, auf Fleisch zu verzichten, das Opfer ist kein großes für mich. Umso mehr Respekt habe ich für diejenigen, die bei Bratengeruch verzückt delirieren und für die Grillen ein Menschenrecht ist, dem sommers mindestens zweimal wöchentlich nachzugehen ist, also wenn hochgradig fleischophile Menschen im Hinblick auf die Klimaschädlichkeit ihres Fetischs bewusst weniger Fleisch konsumieren. Viel weniger. Es dürfte auch gar nicht so schwerfallen, da wir ja wieder einmal das Glück haben, in einer Region zu leben, in der man sich an den Landwirt seines Vertrauens wenden kann um ein Stück Fleisch aus zumindest artgerechter Tierhaltung um zugegeben sehr viel mehr Euri zu erstehen und die traurigen Kadaverteile im Supermarkt links liegen lassen kann. Dann gibt’s halt seltener, aber dafür besseres, wertigeres Fleisch. Make Fleisch special again, sozusagen: Immerhin musste ein Lebewesen dafür sterben. Es ist eine Logik, die in vielen (Schul-)Mensen und auf Speisekarten erst ankommen muss, wenn immer noch so getan wird, als würde der Mensch eingehen, wenn er mal einen Tag kein Fleisch (von tierischen Produkten allgemein reden wir ja noch gar nicht) zu sich nimmt.
 
 
Und auch unser Verhältnis zum Provinzialheiligtum, dem Speck, sollten wir schleunigst gehörig überdenken: So viele Notscher kann es in ganz Südtirol nicht geben, sogar wenn man die menschlichen dazuzählte, dass der sogenannte Südtiroler Speck tatsächlich ein solcher wäre. Vielmehr beißen wir da in den allermeisten Fällen herzhaft in den traurigen Popsch eines weitgereisten deutschen, holländischen oder welschen Grunzers aus Massentierhaltung, dem mit ziemlicher Sicherheit nicht besonders oft in seinem Schweineleben sauwohl war. „Südtiroler Speck g.g.A.“ steht somit für „garantiert gaga Angabe“, wenn das vermeintliche Südtiroler Schwein nie ebenjenen Boden betreten hat, weil es reicht „wenn, genau wie es beim Südtiroler Speck der Fall ist, die Endverarbeitung in Südtirol stattfindet, also das sogenannte Pökeln, das Verarbeiten mit Gewürzen und Salz, sowie das darauffolgende Lufttrocknen und Räuchern des Schweinefleisches“ (Quelle: BARFUSS-Interview mit Joachim Raich). Wieder gilt: Wenn es doch mal Speck sein muss, dann einfach beim lokalen Produzenten des Vertrauens erstehen. Dort löhnt man dann vielleicht das Dreifache vom Supermarktpreis, aber das muss es uns wert sein: Für das Klima, für das Tier, aber auch für unsere Geschmacksknospen und nicht zuletzt für unsere Selbstachtung. 
 
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M A Fr., 15.07.2022 - 07:59

Nur so eine Frage ganz nebenbei...
Was bedeutet das "frau" in "Wenn frau dann in der letzten Ausgabe der Zeit liest..."?
Das ersetzt wohl das üblich verwendete "man"...
Aber warum frau dafür verwenden? Das man hat doch nichts mit Mann zu tun - wo es doch so klein und nur mit einem n geschrieben wird - das würde für einen richtigen Mann doch niemals reichen!
Wäre vielleicht einen eigenen fritto-misto-Schrieb wert...
Übrigens - auch beim Landwirt oder Produzent des Vertrauens fehlt ja auch das "*In"
...nur so ganz nebenbei gefragt

Noch einen schönen Sommertag - mir ischs schun zu worm!!

Fr., 15.07.2022 - 07:59 Permalink
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Herta Abram Fr., 22.07.2022 - 08:41

Schweine sind faszinierende Tiere: Sie sind sehr sozial, aber gleichzeitig so klug, dass sie Konkurrenten auf Futtersuche austricksen. Sie sind äußerst neugierig, erkunden mit ihrem Rüssel die Welt und riechen damit besser als Hunde. Für Schweine sind Ställe mit Vollspaltenböden deshalb die Hölle auf Erden. Auf dem harten Betonboden können sie nicht wühlen, sind zur Langeweile verdammt und beißen einander blutig. Durch die Spalten im Boden fallen Kot und Urin in eine Güllegrube darunter. Dauernd steigt den reinlichen, geruchssensiblen Tieren bestialischer Gestank in den Rüssel. Ein Vollspaltenboden ist legalisierte Tierquälerei.

Fr., 22.07.2022 - 08:41 Permalink
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Peter Gasser Fr., 22.07.2022 - 09:20

Antwort auf von Herta Abram

Sie haben natürlich absolut recht (!) - und: wir sitzen da mit dem sprichwörtlich “armen Schwein” im selben Boot:

eine 49-Quadratmeter-Wohnung im Hochaus und ein 1-Quadratmer-Arbeitsplatz 8 Stunden in einem Betonbau sind ebenso “legalisierte Tierquälerei” des Säugetieres Mensch, der ja eigentlich ein in Kleingruppen lebender Steppennomade ist.

Fr., 22.07.2022 - 09:20 Permalink