Umwelt | Natur und Menschen

Wenn eine Ducati zur Landschaft wird

Natur ist nicht nur irgendeine äußere Umgebung, die Kulisse für unser traditionelles Ferragosto-Picknick.
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Nature
Foto: Unsplash

Landschaft existiert nur zusammen mit uns; sie ist das, was wir wahrnehmen, was wir leben. Eine Naturlandschaft ist nicht einfach nur Natur; sie ist das, was wir mit kreativer Kraft geschaffen haben und über was wir durch unser Handeln bestimmen. Das Röhren einer Ducati auf den Passstraßen rund um die Sella ist Landschaft, und zu Landschaft werden die Rennradler, die still das Pordoijoch hochstrampeln. In unserer privilegierten westlichen Welt spüren wir stark das Bedürfnis nach Rationalität, Pragmatismus, geistiger Schärfe. Wir leben in einer Welt des Wissens. Unser Drang zu wissen, zu lernen, zu verstehen ist enorm, und uns steht ein ganzer Ozean an Information zur Verfügung. Gelehrsamkeit, mit der wir unseren Verstand füttern könnten. Und doch wird die Welt immer komplexer, immer schwieriger zu verstehen. Das macht uns Angst, wir begreifen das nicht und ziehen Schutzmauern hoch, isolieren uns. Wir sind von unserem eigenen Licht geblendet und verschließen deshalb die Augen von den Dramen unserer Zeit. Wir sind wie einst die Aufklärer; wir glauben ausschließlich an die Macht des Verstands und verweigern uns dem Irrationalen. Mit einem Unterschied: Die Aufklärer damals glaubten fest an die positive Entwicklung der Menschheit, während wir heute den ein oder anderen Zweifel nähren. Doch nicht alles lässt sich allein mit rationalem Denken begreifen.

Wir sind wie das Meer, müssen uns also nur auf die Suche machen; es steckt alles schon in uns

Wir können die Welt nicht nur mit dem Kopf verstehen. Tatsächlich denkt der Mensch mit dem ganzen Körper, denn Gelehrsamkeit bezieht sich nicht nur auf den Verstand. Wir tragen auch etwas in uns, das Sensibilität heißt. Und die hat nichts mit Wirtschaftswachstum zu tun, denn unser Planet ist nicht nur der Ort, der Geld hervorbringt, und Sensibilität erreicht man nicht mit der Bildung. Die wahre Rundumerfahrung, zu der wir fähig wären, ist so tief wie das Meer – und das Meer ist tief, wie Lucio Dalla singt. Im Meer steckt aber auch das Unbekannte, steckt buntes Leben, steckt die Entdeckung immer neuer Lebensformen. Wir sind wie das Meer, müssen uns also nur auf die Suche machen; es steckt alles schon in uns. Das „Gnothi Seauton“, die Selbsterkennung – das ist es, was das Leben von uns will. Und darum ist der Moment gekommen, über reines Wissen hinauszugehen. Darum ist die Zeit gekommen, ein feines Gespür für das zu entwickeln, was die Natur betrifft. Denn die Natur ist nicht einfach nur irgendeine äußere Umgebung, die Kulisse für unser traditionelles Ferragosto-Picknick. Die Natur ist in uns selbst, ist ein ungelöstes Geheimnis. Ein äußerst kompliziertes Getriebe, in dem jedes noch so kleine Teil eine wichtige Rolle spielt, damit das Ganze funktioniert. Denn wenn das Wasser weniger wird, wenn die Artenvielfalt abnimmt, wenn wir den Dingen nicht mehr auf den Grund gehen, nur weil sie uns im rein utilitaristischen Sinne nutzlos vorkommen, dann bricht das ganze System zusammen. Trotzdem hat die Natur immer auch ihre ureigene Schönheit. Und selbst diese Schönheit hat einen Sinn: Sie versetzt jenen Bereich in unserem Kopf in Schwingungen, der sich mit dem Nicht-Greifbaren beschäftigt. Dem Geheimnis.

Beobachten wir sie, diese majestätischen Lilien, lassen wir uns von ihnen verzaubern

Wunderschön sind die Lilien, die auf den Wiesen zwischen Corvara und La Villa wachsen und sich mit ihrem leuchtenden Orange wie kleine Gottheiten gebärden. Wie es im Matthäus-Evangelium heißt: „Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.“ Beobachten wir sie, diese majestätischen Lilien, lassen wir uns von ihnen verzaubern. Die Lilie wird dadurch zu unserem Weg zur Weisheit.

Wenn wir es zulassen, dass die Natur unser Führer ist und Kunst, Musik und Lyrik unsere Inspiration, wenn wir das Irrationale in uns zulassen, dann wird es uns gelingen, die Welt zu retten. Mehr Sensibilität zu entwickeln, bedeutet freilich auch, sich dem Anderen zu öffnen. Wenn wir uns aber dem Anderen öffnen – und auch dem Anderen, der in uns selbst steckt – begreifen wir allmählich, dass wir nur durch die sensibilisierte Vorstellung unserer selbst zum Anderen werde können.