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„Grün ist gratis“

Zum Tod von Gildo Spagnolli, dem Alt-Stadtgärtner und Vater des grünen Bozens. Ein Spaziergang-Gespräch von vor 15 Jahren. Prophetisch.
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Foto: Privat/Stadtgärtnerei Bozen
Salto.bz: (im Talfergrün) Herr Spagnolli, Bozen leuchtet, nicht wahr?
 
Gildo Spagnolli: Wir leben im Paradies, nur verstehen die meisten nicht, was das Paradies ist. Es ist eine Frage der Kultur.   
 
Keine Umweltkultur?
 
Keine Kultur. Wer die Natur nicht kennt, kann die Natur nicht lieben, und wer nicht liebt, hat keine Kultur. Ganz einfach.
 
Sie waren 40 Jahre lang Chef der Stadtgärtnerei, Herr Spagnolli. Sie haben Bozen begrünt, aber die Bozner?
 
Ach, damit muss schon bei den Kindern begonnen werden: im Elternhaus, in der Schule. Welches Kind kennt noch die Bäume auf seinem Schulweg? Nicht einmal die Lehrer kennen sie.
 
Sie hätten Lehrer werden müssen, Herr Spagnolli.
 
Bin ich ja. Ich habe an alle Bäume in den Parks und längs der Promenaden Täfelchen anbringen lassen mit den Namen der Bäume. Jahrzehntelang.
 
Vergebens, glauben Sie?
 
Man darf nicht aufgeben. Ich bin fest überzeugt, der Mensch hat ein anderes Verhältnis zu einer Blume, zu jeder Pflanze, wenn er sie beim Namen nennen kann. Er personalisiert sie dadurch. Der Bauer kennt seine Tiere doch auch alle beim Namen.
 
Nicht alle Städter wollen Bauern sein.
 
Leider. Aber wer einen Baum nicht beim Namen kennen will, liebt ihn nicht. Du wirst nicht jahrelang ein Mädchen verehren und es nicht nach seinem Namen fragen.
 

Wer einen Baum nicht beim Namen KENNT, liebt ihn nicht. Du wirst nicht jahrelang ein Mädchen verehren und es nicht nach seinem Namen fragen.

 
Aber sehen Sie doch, hier im Talferbett, die vielen Menschen auf den Wiesen ...
 
Stimmt schon. Und wenn Sie bedenken, dass wir diese Talferwiesen eigentlich einer Naturkatastrophe verdanken. Ohne die Überschwemmung von 1966 gäbe es sie nicht.
 
Die großen Promenaden, St. Oswald, Guntschna, die Wassermauern, beweisen aber eigentlich eine frühe Liebe der Bozner zu ihrer Natur.
 
Das war eine große Liebe, ja, aber halt leider keine ewige. Stellen Sie sich vor, vor 120 Jahren, als diese Promenaden angelegt wurden, da ließen die Bauern damit freiwillig durch ihre Weingüter fahren. Welcher Grundbesitzer würde das heute noch erlauben?
 
 
 
 
Die verbliebenen Weinberge sind zwar fest eingezäunt, aber immerhin sind es noch Weinberge.
 
Allerdings, aber sehen Sie sie sich an. Die Pergeln verschwinden, alles wird einförmig, kein Pfirsichbaum mehr drin, keine Sträucher. Wir haben eine mechanisierte Natur, und das ist nicht Natur. Es sind Plätze, bedeckt mit Weinreben.
 
Wollen wir uns doch aufs öffentliche Grün beschränken.
 
Was heißt öffentliches Grün? Die Stadt ist weiterhin vom Auto beherrscht. Die Autos gehören aus der Stadt. Zu Fuß gehen und Rad fahren muss gefördert werden.
 
Das geschieht aber doch.
 
Dem Reden nach schon. Es geht nicht um ein paar Bäume mehr oder weniger. Es geht um die Qualität. Die Menschen in der Stadt, sogar die Bozner, haben geradezu Angst vor zuviel Natur in der Stadt, vor zu großen Bäumen.
 
Angst vor zuviel Natur?
 
Sehen sie sich an, wie wir – ich sag nicht die Straßen, nein, wie wir die Parkanlagen und die Promenaden ausleuchten. Hinter jedem Baum ein Scheinwerfer!
 
Sicherheit geht vor.
 
Was heißt Sicherheit? Das zu viele Licht muss uns Angst machen, nicht die natürliche Dunkelheit der Nacht. Man sieht ja die Sterne nicht mehr, vor lauter Lampen und Leuchten.
 
Ich sagte, die Sicherheit.
 
Ach, diese Sicherheitshysterie! Je mehr Sicherheitsgetue, desto mehr Angst haben die Leute. Ich erinnere mich, da wurde den Soldaten in der Kaserne aufgetragen, sie sollten bei ihren abendlichen Ausgängen den Petrarca-Park meiden. Soldaten sollten vor einem Park Angst haben, Soldaten! Stellen Sie sich das vor!
 
Sie würden die Laternen in den Parkanlagen einwerfen?
 
Die Hälfte abschalten würde ich. Und in die andere Hälfte Sparlampen einsetzen oder sie in den Boden einlassen. Es genügt doch zu sehen, wo man hintritt. Der Rest ist Energieverschwendung und Lichtverschmutzung.
 
Nachtstrom ist nicht gar so teuer.
 
Strom ist Strom, und was glauben Sie, warum immer weniger Tierarten in unseren Grünanlagen leben. Die finden ja keine Ruhe mehr bei dem ganzen Lichtmüll. Und wenn dann auch noch ab und zu ein Feuerwerk dazu kommt ...
 
Apropos Lichtmüll. Gibt es in unseren Parkanlagen nicht auch einen regelrechten Schildermüll?
 
Ach, dieser Schilderwahn! Wir haben die Leute dran gewöhnt, dass sie sich gar nicht mehr bewegen, wenn sie nicht ein Verkehrsschild vor sich haben.
 
Sie könnten sich verlaufen.
 
Würden Sie sich wahrscheinlich sogar. Wir haben uns abgewöhnt, uns an den Bäumen zu orientieren. Bäume führen uns. Wir müssen unsere Straße wieder mit Bäumen säumen.
 
In Zukunft werden wir uns nur mehr mit dem Navigationssystem orientieren.
 
Ja, dann werden wir endgültig keinen Baum mehr sehen. Und folglich werden die Bäume aus der Stadt verschwinden.
 
Man merkt aber doch viel Liebe der Leute zu Pflanzen. Man sehe sich nur die gepflegten Balkone an.
 
Bin ich nicht der Meinung. Diese Kondominiumbalkone werden doch in der Regel von irgend welchen Gartentechnikern betreut. Und so uniformiert sehen sie auch aus.
 
Das wird Martina Schullian aber nicht auf sich sitzen lassen.
 
Die Martina Schullian führt ihren botanischen Garten. Ich sage, die ganze Stadt müsste ein botanischer Garten sein.
 
Grün kostet eben.
 
Das Grün kostet nichts. Grün ist gratis. Wer sagt, Gärten kosten, der hat nie nachgedacht darüber, was kein Grün kostet. Das wäre viel teurer.
 
Das Grün kostet nichts. Wer sagt, Gärten kosten, der hat nie nachgedacht darüber, was kein Grün kostet. Das wäre viel teurer.
 
Momentan heißt es Beregnungswasser sparen.
 
Unsinn! Natürlich sollen wir vernünftig umgehen mit unserem guten Wasser. Aber Grünanlagen pflegen, ist aktiver Klimaschutz. Was kostet es, Tomaten aus Südafrika zu importieren? Was kostet es, Staublungen zu produzieren? So müssen wir rechnen.
 
Trotzdem, es muss Wasser gespart werden.
 
Das ist ein scheinheiliges Argument. Jeder vernünftig beregnete Garten bereitet Freude, und das nicht nur seinem glücklichen Besitzer, sondern auch den Nachbarn und der Stadt insgesamt. Sparen wir bitte nicht am falschen Ort.
 
(an der Talferbrücke) Wie wunderbar, die Mohnblumen in den Beeten!
 
Ja, die Beete! Das sind halt die Reißer einer jeden Stadtgärtnerei. Aber nicht das Wichtigste. Sind für die Autofahrer, hauptsächlich. Für die braucht es solche Kracher. Sonst sehen sie ja nichts.
 
Ist das nicht verschwenderisch: die Beete jeden Monat neu bepflanzen?
 
Nein, das muss sein. Sonst würden die Auto fahrenden Bozner nicht einmal merken, welche Jahreszeit ist.
 
Herr Spagnolli, sagen Sie: Was ist Ihr Lieblingsbaum?
 
Ich hab keinen Lieblingsbaum.
 
Sie müssen doch einen haben.
 
Wie könnte ich? Ich habe fünf Kinder, und alle sind sie mir gleich lieb. Mit den Bäumen geht’s mir genau so.
 
 
 
 
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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer So., 31.07.2022 - 16:44

Ermengildo Spagnolli hatte bereits vor 15 Jahren außer den gesunden Ansichten über sein Stadtgrün, eine gesunde Abneigung gegen die unsinnige und inzwischen sehr kostspielige Lichtverschmutzung, die sich mit Näherungsschaltern auf einen Bruchtteil ließe.
Heute würde er sicher den Privatverkehr, der die Straßen zuparkt und verstopft, aus der Stadt hinaus wünschen.

So., 31.07.2022 - 16:44 Permalink
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Profil für Benutzer Evi Keifl
Evi Keifl So., 31.07.2022 - 19:07

Gildo Spagnolli,
ein großartiges Geschenk für diese Stadt! Danke für alles, Gildo!

So., 31.07.2022 - 19:07 Permalink