Chronik | Italien

„We want justice“

Ein Mann prügelt einen nigerianischen Straßenhändler im Zentrum einer Küstenstadt zu Tode. Die afrikanische Gemeinschaft fordert die gerechte Aufklärung des Falls.
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Foto: Rollingstone.it
Am vergangenen Freitag, den 29. Juli, hat ein Italiener in Civitanova Marche einen beeinträchtigten Nigerianer zu Tode geprügelt. Das erklärte die Polizei am Samstag. Claudio Giuseppe Ferlazzo (32) hatte Alika Ogorchukwu (39) angegriffen und getötet, danach habe er das Handy des Mannes mitgenommen. Das Verbrechen dauerte nur wenige Minuten und spielte sich auf der Einkaufsstraße im Zentrum der Stadt ab.
Die Kombination aus Rassismus und Gleichgültigkeit, die sie ausgelöst hat, ist ein Zeichen für den Hass, der unser Land durchzieht - Monica Cirinnà
Alika Ogorchukwu ist ein bekannter Straßenhändler des Orts und bewegte sich mit einer Krücke fort. Er hatte dem Täter und seiner Frau seine Ware angeboten und anschließend um eine Spende gebeten. Auf einem Video, das im Internet veröffentlicht wurde, sind Stimmen der Passant:innen zu hören: „Hör auf“, „Holt doch die Polizei“; Ein Mann stoßt die Krücke weg, die der Angreifer als Waffe benutzte, doch das hindert diesen nicht, mit bloßen Händen weiterzumachen.
 
 

Aufklärung des Verbrechens

 
Der Fall löste italienweit Entsetzen aus. Ein Augenzeuge geht davon aus, dass der Italiener den Mann aus rassistischen Gründen getötet hat. Auch PD-Senatorin Monica Cirinná äußert sich zu der Tat: „Der Mord an Alika Ogorchukwu in Civitanova Marche macht mich traurig und besorgt. Die Kombination aus Rassismus und Gleichgültigkeit, die sie ausgelöst hat, ist ein Zeichen für den Hass, der unser Land durchzieht“, schreibt sie auf Facebook. Der Regionalpräsident der Marken, Francesco Acquaroli, verurteilt das Verbrechen als „wahnsinnig und beispiellos“.
 

 
Die Polizei nimmt an, dass der Täter aus verschiedenen Gründen gehandelt hat. Es sei eine übertriebene Reaktion des Verdächtigen auf den Verkaufsversuchs des Straßenhändlers gewesen. Der Bürgermeister der Stadt, Fabrizio Ciarapica, traf die Frau des Getöteten am Samstag am Tatort, wo Blumen niedergelegt wurden. Viele Menschen aus der afrikanischen Gemeinschaft protestierten und riefen „We want justice“. Die Versammlung war von dem „Komitee des 29. Juli“ organisiert worden. Es wurde in Gedenken an Alika Ogochukwu gegründet und setzt sich für den Schutz der Rechte aller ein, gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung.
Der Täter, Claudio Giuseppe Ferlazzo, befindet sich in Haft und bat über seine Anwältin bei der Familie des Getöteten um Entschuldigung. Der Täter soll psychisch instabil sein. Der Anwalt der Familie von Alika Ogorchukwu fordert nun, dass geprüft werden soll, wer die Betreuungsaufsicht über ihn hatte und, ob es einen psychiatrischen Hintergrund gibt. „Wir haben volles Vertrauen in die Arbeit der Staatsanwaltschaft von Macerata“, so ihr Rechtsanwalt Francesco Mantella.
 
 
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gorgias Mo., 01.08.2022 - 16:23

Es ist eine verstörende und grausame Tat. Bevor man aber laut Rassismus schreit, sollte man abwarten.
Der Hauptauslöser könnte durchaus die aufdringliche Art des Opfers sein. Und in diesem Fall hätte es auch einen dieser zwielichtigen Gestalten aus Süditalien treffen können, die einem irgend ein Dreck in die Hand drücken, um dann eine "Spende" abzuschwatzen.

Die Tat war impulsiv und ohne Vorsatz. Es wäre atypisch sich so was in Anwesenheit der eigenen Frau vorzunehmen.

Die Person war schwarz. Na, und?

Für mich war es ein Mensch.

Mo., 01.08.2022 - 16:23 Permalink
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Michael Bockhorni Sa., 06.08.2022 - 10:03

Antwort auf von gorgias

"Der Hauptauslöser könnte durchaus die aufdringliche Art des Opfers sein". Das erinnert mich an die Argumentation von "zu kurzen Röcke von Frauen". Warum haben wir Männer uns einfach nicht im Griff, wenn uns etwas ärgert? Warum nicht in der typisch wienerischen Art "net amol ignorieren" damit umgehen. Es fehlt uns echt an Kompetenz bestimmte Erlebnisse in den richtigen Rahmens setzen (wodurch gewisse Gefühle erst gar nicht entstehen) bzw. den richtigen Mittelweg zwischen Ärger runterschlucken und hemmungslos ausleben zu finden. P.S. möglicherweise liegt die Ursache der Handlung wirklich mehr im psychischen Zustand / psychiatrischen Erkrankung. Dazu gab es ja einen ähnlichen Fall auf einem Markt in Wien mit umgekehrten "Vorzeichen". Wirklich tragisch ist die Teilnahmslosigkeit der Passant*innen, welche den Tod wahrscheinlich verhindern hätten können.

Sa., 06.08.2022 - 10:03 Permalink
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Michael Bockhorni Sa., 06.08.2022 - 10:03

Antwort auf von gorgias

"Der Hauptauslöser könnte durchaus die aufdringliche Art des Opfers sein". Das erinnert mich an die Argumentation von "zu kurzen Röcke von Frauen". Warum haben wir Männer uns einfach nicht im Griff, wenn uns etwas ärgert? Warum nicht in der typisch wienerischen Art "net amol ignorieren" damit umgehen. Es fehlt uns echt an Kompetenz bestimmte Erlebnisse in den richtigen Rahmens setzen (wodurch gewisse Gefühle erst gar nicht entstehen) bzw. den richtigen Mittelweg zwischen Ärger runterschlucken und hemmungslos ausleben zu finden. P.S. möglicherweise liegt die Ursache der Handlung wirklich mehr im psychischen Zustand / psychiatrischen Erkrankung. Dazu gab es ja einen ähnlichen Fall auf einem Markt in Wien mit umgekehrten "Vorzeichen". Wirklich tragisch ist die Teilnahmslosigkeit der Passant*innen, welche den Tod wahrscheinlich verhindern hätten können.

Sa., 06.08.2022 - 10:03 Permalink
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Josef Ruffa Mo., 01.08.2022 - 16:53

Wenn die gerichtlichen Untersuchungen auch den Art. 593 des Strafgesetzbuches im Visier haben, dann wird es für Handybesitzer am Tatort ungemütlich werden.

Mo., 01.08.2022 - 16:53 Permalink
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Sepp.Bacher Mo., 01.08.2022 - 16:57

Eine unverständliche und nicht nachvollziebare Tat. Sie ist mit nichts zu entschuldigen!
Ich denke dabei an jene schwarzen Straßehändler, denen ich oft begegne. Einer ist, so schätze ich, schon 20 Jahre im Bozner Zentrum unterwegs und er ist sehr lästig. Da ich im Zentrum wohne, begegne ich ihm öfters am Tag und immer haut er mich an. Das macht mich verrückt! Soll ich ihm etwa jedes mal etwas abkaufen oder eine Spende geben? Ein anderer ist ebenfalls lästig. Irgendmal habe ich ihm erklärt dass ich diese Aufdringlichkeit nicht mag und dass er mir nichts mehr anbieten soll, denn ich brauche die Sachen, die er anbietet, nicht. Jetzt hat er es eingesehen und wir grüßen uns. Da ich ihn öfters in einer Bar treffe, bezahle ich ihm gelegentlich einen Kaffee. Und er nimmt das an.
Vor Jahren zirkulierte noch ein jüngerer Schwarzer, der auch die üblichen Dinge anbot. Er hat aber schnell gelernt. Er ist freundlich und nicht aufdringlich. Er lässt Männer großteils in Ruhe. Bei den Frauen hat er Erfolg; er ist schön und scharmant. Mit ihm bin ich bekannt geworden, wir haben uns ausgetauscht, auch ihm habe ich öfters einen Kaffee oder anderes bezahlt und auch Spenden gegeben. Inzwischen hat er eine Arbeit gefunden und er ist nicht mehr auf der Straße.
Mein Resümee: agressives Kauf- und Bettelverhalten ist lästig und macht agressiv. Die Bettler und Händler sollten sich vom Letztgenannten etwas abschauen. Aber nicht alle kapieren und sind flexibel; ja und nicht alle sind schön und scharmant. Auch das spielt eine Rolle.

Mo., 01.08.2022 - 16:57 Permalink
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Manfred Klotz Di., 02.08.2022 - 08:26

Antwort auf von Sepp.Bacher

Ich wohne auch im Stadtzentrum Bozens und wahrscheinlich begegnen wir den gleichen Straßenhändlern, aber um ehrlich zu sein, haben mich deren Versuche, mir etwas zu verkaufen, noch nie aggressiv gemacht. Ich erwidere ihren Versuchen einfach immer mit einem Lächeln und einem "no grazie" und gut ist. Die unterschwellige Botschaft, dass Straßenhändler oder Bettler an der Aggressivität, die ihnen widerfährt, Schuld seien, ist m.E. nicht korrekt und führt zu Reaktionen, wie im besagten Fall.

Di., 02.08.2022 - 08:26 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mo., 01.08.2022 - 22:37

Es ist interessant, dass hier nicht mehr Kommentare stehen.
Das Thema Migration, das in diesem Zusammenhang durchaus eine Rolle spielen mag, ist ein sehr heikles. Wenn man der Verhaltensforschung glauben mag, ist Fremdenfurcht durchaus Bestandteil des menschlichen Verhaltens, ideologisch und politisch aufgeheizt, kann so etwas leicht entgleiten - Beispiele dazu gibt es zuhauf. Wer hier einfache Antworten anbietet - oder erwartet - ist nicht ernst zu nehmen. Nicht selten ist auch ein mehr oder weniger ausgeprägter Kulturschock hinderlich. Jedenfalls wäre es wünschenswert, wenn hier auch Problemlösungen angegangen würden, bis hinauf nach Brüssel.
Auch ich sehe die Migration argwöhnisch - sie wird sich aber nicht verhindern lassen, darauf werden wir uns einstellen müssen.
Eine sehr interessante und verstörende Erzählung ist "Das Meer am Morgen" von Margaret Mazzantini. Nach dieser Lektüre habe ich das Thema Migration für mich neu bewertet.

Mo., 01.08.2022 - 22:37 Permalink